Süddeutsche Zeitung

Unterwegs mit der Skiwacht:Der tägliche Kampf gegen Lawinen

Rolf Frasch und seine Kollegen von der Skiwacht erstellen am Brauneck Schneeprofile. Sie sind für die Sicherheit von tausenden Wintersportlern verantwortlich.

Von Benjamin Engel

Der Föhnwind bläst an dem Januartag kräftig über das Brauneck. Kurzzeitig muss die Gipfelbahn sogar den Betrieb einstellen. Zu gefährlich sind die Böen für die weit über dem Hang dahinschwebenden Gondeln und damit die Sicherheit der Wintersportler. Gleichzeitig treibt der warme Wind die Temperatur auf Frühlingswerte nach oben. Kurz vor Mittag hat es bei der Ski- und Bergwachthütte auf dem Kamm unterhalb der Gipfelstation in 1500 Höhenmetern sechs Grad plus. Am Nordosthang wenige Meter unterhalb der Hütte hat sich hauchdünner Harsch auf der Schneeoberfläche gebildet.

Zwischen den Fingern zerdrückt Rolf Frasch prüfend die plattenförmig verfestigten Schneekristalle. Die Kruste könnte problematisch werden, sollte es darauf schneien. Der Neuschnee könnte bei entsprechenden Witterungsbedingungen auf dem Harsch abgleiten und als Lawine den Hang hinunterdonnern. Doch an diesem Tag wird der Föhn den Harschdeckel zunichtemachen. "Durch den warmen Wind ist der bald weg", sagt Frasch.

Der 56-Jährige arbeitet in der Wintersaison für die Skiwacht auf dem Brauneck. Zudem meldet er die wichtigsten Schnee- und Witterungsdaten als Frühbeobachter des Bayerischen Lawinenwarndienstes an die Zentrale in München. Rund alle zwei Wochen erstellt er mit seinen Skiwachtkollegen ein Schneeprofil. Mit der Schaufel graben sie sich bis auf den Boden durch. Aus allen Daten erstellt der Lawinenwarndienst die täglichen Lageberichte für die Wintersportler.

Wie wichtig die Daten des Lawinenwarndienstes sind, wurde am dritten Januar-Wochenende deutlich. Bei drei Lawinenabgängen in Oberbayern waren vier Menschen verletzt worden, ein Skifahrer starb im Krankenhaus an den Folgen. Der 30-Jährige war von einer Lawine verschüttet und schwer verletzt worden.

Für das erste Profil im Januar assistieren die Skiwachtler Michi Haugeneder und Markus Wasensteiner ihrem Kollegen Frasch. Der setzt zunächst die Rammsonde auf die Schneeoberfläche. Darauf lässt er ein Gewicht von einem Kilo fallen. Wie leicht oder schwer es einsinkt, verrät ihm den Härtegrad des Schnees. Als die Rammsonde schon fast den Grasboden erreicht hat, sackt sie plötzlich fünf Zentimeter auf einmal ganz nach unten. Diese bodennahe lockere Schicht aus großen, kantigen Schneekristallen können Skifahrer an steileren Hängen - eine Neigung von mindestens 30 Grad gilt als potenziell lawinengefährlich - zum Abgleiten bringen. Am weniger steilen Nordosthang auf dem Brauneck ist die Schicht aber ungefährlich, wie Frasch sagt.

116 Zentimeter tief - so hoch liegt der Schnee - graben die Männer mit der Schaufel vertikal bis auf den Boden. So erhalten sie einen Querschnitt der Schneedecke mit ihren verschiedenen Schichten, die sich nach Härte, Kornform der Schneekristalle und Feuchtigkeit unterscheiden lassen. Auf 82 bis 80 Zentimetern Schneehöhe stößt Frasch auf eine Eislamelle. Die hat sich gebildet, weil es damals auf den Schnee geregnet und nachher gefroren hat. Neuschnee hat die Eislamelle inzwischen überdeckt. Als Gleitschicht für Lawinen könnte diese potenziell gefährlich werden. Vom wärmeren Boden steigen die Schneekristalle nach oben auf, bis sie von der kälteren Eislamelle gebremst werden. Darunter würden die Kristalle verdunsten, größer, runder und kantiger werden. "Je größer und runder die Kristalle sind, desto weniger halten sie zusammen", erklärt Frasch. "Das ist wie Zucker, der keine Haftung hat." Unter einem Lupenglas erfasst er die Form und Dimension der Schneekristalle.

Doch im Januar ist der Schnee auf dem Nordosthang am Brauneck gut verfestigt. Bis zum Boden sind die Temperaturunterschiede in den einzelnen Schichten gering, was Frasch mit einem Messgerät, dass er in den Schnee steckt, genau erfasst. Minus 0,6 Grad hat es an der Schneeoberfläche, 15 Zentimeter über dem Boden Minus 0,5 Grad. Durch die gleichmäßig warme Schneedecke ist die Lawinengefahr nur gering. "Das gilt aber nur für genau diese Stelle", sagt Frasch. An anderen Hängen mit anderen Expositionen und Höhenlagen könne das ganz anders aussehen. Für das Schneeprofil braucht das Trio etwa eine Dreiviertelstunde. Alle Daten protokollieren sie in einer Tabelle. Später geben sie ihre Messergebnisse in der Skiwachthütte in den Computer ein.

Auf der Hütte übernachtet Frasch von Montag bis Freitag. Als Mitglied der hauptamtlichen Skiwacht ist er mit seinen Kollegen unter der Woche für die Sicherheit auf dem Brauneck verantwortlich. Am Wochenende übernehmen die Ehrenamtlichen der Bergwacht die Arbeit. Zur Skiwacht zählen am Brauneck neun Mitglieder. Vier sind fest oben am Berg, Je nach Skifahreraufkommen wird aufgestockt.

Die Stiftung "Sicherheit im Skisport" des Deutschen Skivereins (DSV) bezahlt die hauptamtlichen Skiwacht-Mitglieder. Die ARAG-Versicherung zahlt 500 000 Euro im Jahr dazu. Laut Frasch gibt es 270 hauptamtliche Skiwachtler in Deutschland, 70 sind wie er fest angestellt, der Rest sind Aushilfen. Zweimal im Jahr finanziert die Stiftung Behindertenfreizeiten, engagiert sich für Natur- und Umweltschutz.

Für Frasch beginnen die Arbeitstage in der Wintersaison früh. Er steht um 6 Uhr auf, prüft die Wolkenbildung und die Windstärke, erfasst, ob Schnee gefallen ist und wie sich die Schneeoberfläche anfühlt. Seine Beobachtungen gibt er an die Lawinenwarndienstzentrale weiter. Nach 7 Uhr fahren die Skiwachtler nach und nach die Abfahrten ab. Noch vor Skibeginn überprüfen sie, ob alle Pistenmarkierungen stehen. Sie achten auf Gefahrenstellen wie Wasserlöcher im Frühjahr oder Eisbrocken auf der Piste, und beseitigen diese. Bei Unfällen werden sie aktiv. Nach Skibetriebsende gehen die Skiwachtler auf Kontrollfahrt auf den Pisten.

Nach einem langen Tag im Freien sind Frasch und seine Kollegen abends müde. "Wir haben oben auf der Hütte kein Halligalli", sagt er. Übernachteten noch andere Skiwachtler auf der Hütte, kochten sie gemeinsam. Dann werde beispielsweise noch ferngeschaut. Doch um spätestens 22 Uhr seien alle im Bett.

Geschlafen wird in dem rund 30 Quadratmeter großen Raum auf der Eck- oder Ofenbank. Seit 2004 ist Frasch bei der Skiwacht auf dem Brauneck tätig. Zur Wintersaison übernachtet er von Dezember an für rund vier Monate unter der Woche auf der Hütte. Um abends nach Hause bis nach Niederbayern zu fahren, wäre es zu weit. Gleichzeitig genieße er die Natur auf dem Berg. Die Morgen- und Abendstimmungen seien immer etwas Besonderes. "Wenn Du in der Früh zu den Tegernseer Bergen rüberschaust und die Sonne geht auf, ist das was Schönes", sagt Frasch.

Viel draußen zu sein, macht dem gelernten Krankenpfleger Freude. Nach acht Jahren in seinem Ursprungsberuf hielt er den Schichtdienst nicht mehr aus. Deshalb wechselte er zur Skiwacht. Seit 1990 war er im Winter erst in Mittenwald, Garmisch und schließlich am Brauneck aktiv. Frasch ist bei der Bergwacht Bayern angestellt. Außerhalb der Wintersaison arbeitet er als selbständiger Industriekletterer. Noch Anfang Dezember hat er in dieser Funktion beispielsweise Teile des Spitzes am Regensburger Dom gesichert. Er kümmert sich aber noch um die Taubenabwehr, schwer zugängliche Elektroinstallationen an Industriegebäuden oder Glasreinigungen in großen Höhen.

Auf die rund viermonatige Saison als Skiwachtler freut sich Frasch im Herbst. Doch nach Monaten am Berg ist er froh, wieder im Tal zu sein. "Mitte März wird es dann schon zäh", sagt er. "Wenn dann vierzehn Tage schlechtes Wetter ist, freust Du dich, wenn Du wieder unten bist", sagt der Skiwachtler.

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SZ vom 20.01.2018/huy
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