Serie: Sagen und Mythen:Die Geister ungetaufter Kinder

Früher versetzten Irrlichter die Menschen in Angst und Schrecken. Heute weiß man, dass es sich um Phosphorwasserstoff handelt, der im Moor entsteht und sich selbst entzündet

Von Martina Schulz, Königsdorf

Kein elektrisches Licht, das finstere Nächte erhellte, keine Naturwissenschaften, die unheimliche Phänomene hätten erklären können - kein Wunder, dass die Menschen früherer Zeiten versuchten, mit Geschichten zu erklären, was sie ängstigte. Auch historische Ereignisse wurden als Geschichten weitererzählt, oft ausgeschmückt und verfremdet. So entstand über die Generationen ein reicher Schatz an Sagen, Mythen und Legenden. Einige davon werden nun zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag in der SZ nacherzählt.

Als eines der vier Elemente hat Wasser von jeher eine große Bedeutung. Es gilt als Lebensspender und Veränderer; es gestaltet Landschaften und schafft Lebensräume. Es gilt aber auch als unberechenbar und bringt Tod und Verderben. Das gilt sicher gerade für Flüsse wie die Isar, deren Name sich wohl aus den keltischen Begriffen für "reißend" ("ys") und "Fluss" ("ura") zusammensetzt. Und mit der Isar und ihrem launischen Verhalten verbinden sich viele Geschichten, mit denen die Menschen der vergangenen Jahrhunderte sich Unerklärbares zu erklären suchten. So hat die Isar eine eigene Loreley - die Isarnixe von Grünwald, die mit betörendem Gesang, der verdächtig an das Trällern eines Wasservogels erinnert, und ihrem wallenden grünen Haar die Tölzer Flößer in Angst und Schrecken versetzte, um sie vom rechten Weg abzubringen und in die unergründlichen Tiefen zu reißen. Noch heute soll sie mit ihrem Gatten, dem Wassermann, in einer Höhle bei Großhesselohe wohnen. Auf Grund des modernen Lärmpegels hört man sie allerdings nur noch selten.

Serie: Sagen und Mythen: Das Bild zeigt einen Ausschnitt einer Skizze von Johann Wilhelm Cordes für sein Gemälde "Die Wilde Jagd" von 1856/57.

Das Bild zeigt einen Ausschnitt einer Skizze von Johann Wilhelm Cordes für sein Gemälde "Die Wilde Jagd" von 1856/57.

(Foto: oh)

Wie von Wassergeistern gibt es auch Geschichten von Moorgeistern, von Irrlichtern die den Menschen ins Verderben leiten wollen. Viele Menschen mussten früher die weglosen Feuchtgebiete durchqueren und auch in ihnen arbeiten. Moore gelten den meisten Menschen noch heute als bedrohlich. An einem eisigen Dezembernachmittag scheint die Sonne fahlgelb hinter grauen Wolken hervor. Das Sonnenhofer Filz bei Königsdorf wirkt düster, obwohl man nur wenige Meter von der Straße nach Mooseurach entfernt ist. Es könnte die Kulisse für Annette von Droste Hülshoffs Ballade "Der Knabe im Moor" bilden: "O schaurig ist's übers Moor zu gehn." Elisabeth Pleyl dagegen sagt: "Ich fühle mich im Moor wohl. Eben weil Moore einsam sind. Unheimlich sind nur die Schüsse der Jäger." Pleyl, 50, ist Naturschutzreferentin und setzt sich als Gebietsbetreuerin für die ökologisch besonders wertvollen Lebensräume ein, unter anderem im Arbeitskreis "Tölzer Moorachse", der für die Renaturierung und den Erhalt der Flächen arbeitet, die immerhin elf Prozent des Landkreises bedecken. Allein die vereinzelt stehenden, teils verfallenen Katen, die als Heulager genutzt werden, findet sie unheimlich, "wegen der Verwahrlosung". Sie sind stumme Zeugen des Versuchs, das Moor zu kultivieren. Von 1780 an siedelten vier Familien aus der Oberpfalz in dem feuchten Gebiet, das kaum genug zum Leben bot. Deshalb wurden drei der Anwesen auch siebzig Jahre später nach Königsdorf verlegt. Nur das vierte war bis 1953 bewohnt. Daran erinnert eine Tafel auf Höhe des Mühlbachs, der durch das Filz fließt.

Für einen Moment schiebt sich die graue Wolkendecke beiseite und die Sonne taucht die weiten Flächen in ein bernsteinfarbenes Licht. Auf dem teerig dahin strömenden Mühlbach glitzern goldene Flecken. Irrlichter wie in der Sage "Das Irrlicht an der Wackersberger Leiten" sind das aber nicht. "Die entstehen durch die Freisetzung von Phosphorwasserstoff, der im naturnahen Moor vorkommt", erklärt Pleyl. "Wenn dieser mit Sauerstoff in Berührung kommt, entzündet er sich."

Sagen im Moor

Elisabeth Pleyl fürchtet sich im Moor nicht. Für die Menschen früher waren die Feuchtgebiete von allerlei unheimlichen Wesen bevölkert.

(Foto: Manfred Neubauer)

Im Volksglauben handelt es sich um die Geister tot geborener und nicht getaufter Kinder, die die Reisenden vom Wege abbringen, damit diese in den Moorlöchern versinken. "Das ist eigentlich gar nicht möglich, denn das Moor hat eine größere Dichte als ein menschlicher Körper", sagt Pleyl. Nur wenn man in Panik gerate und die eng verwobene Torfsubstanz lockere, könne man sich "reinwühlen", aber dass das Moor einen nach unten ziehe, gehöre ins Reich der Legendenbildung. Dieser Glaube hängt vermutlich mit den Moorleichen zusammen, die immer wieder beim Torfstechen gefunden wurden, wenn auch nicht im Landkreis. "Es gibt zwei Arten von Moorleichen. Menschen, die auf Grund eines Verbrechens im Moor hingerichtet wurden, oder Menschenopfer für den Gott Thor." Sie mussten beschwert werden, um überhaupt versinken zu können. Pleyl zeigt Wandergruppen gerne ein Foto des sogenannten Tollund-Manns, der durch den sauren Torfboden und den Sauerstoffabschluss in einem Moor in Dänemark perfekt konserviert wurde. Er sieht aus, als ob er mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen schliefe.

Aus einem zugefrorenen Wasserloch ragt ein knorriger Kiefernzweig empor, der im Dämmerlicht auch ohne viel Fantasie wie ein menschlicher Arm aussieht. Und die kleinen Kiefern, die doch schon 25 bis 30 Jahre alt sind und im nährstoffarmen Hochmoor nicht größer werden, wirken bei aufziehendem Nebel wie bucklige, alte Frauen. "Vielleicht kommt die Vorstellung der Moosweiblein daher", sagt Pleyl. Die "Wilde Jagd", die von November an bis Heilig Dreikönig unter der Führung von Wotan durch die Moose jagt, ist ein Sinnbild für die oft heftigen und gefährlichen Winterstürme. Die furchterregenden Vorstellungen hängen auch mit der Nebelbildung und den Geräuschen zusammen, die in der Einsamkeit des Moores besonders weit zu hören sind und durch die Weite hallen. "Gerade Tierrufe wirken oft unheimlich", sagt Pleyl und nennt als Beispiel das schaurige "Huhp Huhp" der Rohrdommel, eines Vogels, der auch als Moorkuh bekannt ist. Im Winter kommen die Balzrufe der Uhus dazu, die Bettelrufe junger Schleiereulen, die wie Fauchen und Zischen klingen. Früher jagten auch Wölfe durch die Moore, deren Heulen ebenfalls schauerlich wirkte. "Aber in Sommernächten liegt ein bezaubernder Klangteppich über den Mooren", sagt Pleyl. Dann sind Sumpfrohrsänger, Wachtelkönig, Maulwurfsgrille und verschiedene Amphibien zu hören.

Nixe, Irrlicht, Moorweiblein

1487 ehelichte Bayernherzog Albrecht IV. die schöne Kunigunde. Zur Hochzeit, so erzählt es die Sage von der Isarnixe, kamen Gaukler und Spielleute aus allen Teilen des Landes, darunter auch ein Edelmann, der hervorragend Dudelsack spielte und seine Zuhörer begeisterte. Besonders schön flötete er, wenn Kunigunde ihm lauschte, denn er hatte sich unsterblich in sie verliebt. Leider beruhte das nicht auf Gegenseitigkeit - die Edeldame hielt sich für etwas Besseres. Nur wenn er bereit sei, sein Leben für sie aufs Spiel zu setzen, würde sich ihr Herz erweichen lassen. Der junge Spielmann sagte ihr dies zu. Daraufhin warf Kunigunde höhnisch lachend ihren kostbaren Schmuck in die Isar, die hier besonders reißend war. Der junge Mann sprang sofort hinterher - er und der Schmuck wurden nie wieder gesehen. Die herzlose Kunigunde verschwand drei Tage später. Seit diesem Tag kann man ihre verführerischen "Tutli"-Rufe im Schilf hören.

Flößer, die den Ruf der Wassernixe hörten, würden unweigerlich auf der nächsten Fahrt ertrinken, wurde erzählt. Viele Flößer entgingen ihrem Schicksal nur, weil sie sich wie einst Odysseus die Ohren verstopften. Einige entkamen der Nixe, indem sie so laut beteten, dass sie das Locken nicht vernahmen, oder weil sie sich mit Amuletten vor der Wirkung des Gesangs schützten.

Geschichten von Irrlichtern gibt es viele, besonders eindrucksvoll ist die von der Wackersberger Leiten: Viele Bauern, die am Waldrand entlang nachts vom Wirtshaus zu ihren Höfen eilten, sahen eine unerklärliche Lichterscheinung pfeilschnell am Waldrand umherhuschen. Mal war sie links zu sehen, mal rechts, manchmal sah man sie an der Friedhofsmauer, mal begleitete sie den Bauern für eine ganze Weile. Man sagt, bei dem Licht handele es sich um den Geist der Frau eines österreichischen Soldaten, die 1800 von ihrem Mann erschlagen worden sei.

In dem moorigen Waldgebiet von Tölz, dem heutigen Lettenholz, gab es nicht nur Irrlichter, sondern auch das unheimliche Moorweiblein vom Lettenweiher. Die Menschen sahen immer wieder eine Frauengestalt, die ganz von Nebel umwoben war. Sie stand im Wasser, mit einem Strohhut auf dem Kopf, gerade so, als käme sie vom Heumachen. Angst hatten die Menschen vor dieser unheimlichen, aber eigentlich harmlosen Erscheinung vor allem deshalb, weil die Wilde Jagd unter Führung des Gottes Wotan es oft auf diese Gestalt abgesehen hatte und sie in der Luft zerriss.

Martina Schulz

Nicht aber im Winter. Es ist still, totenstill. Allein das Knirschen der Schuhe beim Gehen über die dünne Schneeschicht ist zu hören. Wie ein feines, weißes Leichentuch bedeckt sie die Torfmoose. "Als Kind fand ich das Moor eintönig und flach", sagt Pleyl. Heute fasziniert sie die karge Schönheit der einsamen Wildnis.

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