Sagen und Mythen:Der schreckliche Tod des weißen Pferdes

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In der Schimmelkapelle in Ascholding soll sich ein Ross eingeschlossen haben, das dort dann elendiglich zugrunde ging. Das Kirchlein, das dem heiligen Georg geweiht ist, ist aber auch aus anderen Gründen ein spannender Ort

Von Christa Gebhardt, Dietramszell

Kein elektrisches Licht, das finstere Nächte erhellte, keine Naturwissenschaften, die unheimliche Phänomene hätten erklären können - kein Wunder, dass die Menschen früherer Zeiten versuchten, mit Geschichten zu erklären, was sie ängstigte. Auch historische Ereignisse wurden als Geschichten weitererzählt, oft ausgeschmückt und verfremdet. So entstand über die Generationen ein reicher Schatz an Sagen, Mythen und Legenden. Einige davon werden nun zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag in der SZ nacherzählt.

Die sagenumwobene Kapelle Sankt Georg, die auf einem Hügel bei Ascholding steht, ist für Josef Bilgeri ein vertrauter Ort. Für ihn wie für alle Ascholdinger seit Generationen, auch wenn, wie der 57-Jährige sagt, die junge Generation nicht mehr viel darüber wisse. Fragt man bei unterschiedlichen Quellen, wer am besten geeignet sei, das Kircherl samt Historie zu erläutern, kommt die übereinstimmende Antwort: "der Bilgeri Sepp". Er kenne auch die Legenden und Sagen, die sich um es ranken. Und so ist es.

Der Sepp aus Ascholding, Demeter-Bauer und Harfenist, ist ein großer, stattlicher Mann, der sich bücken muss, um durch die Tür in die Kapelle einzutreten. Dabei handelt es sich um eine neuere Tür, die nachträglich im 16. oder 17. Jahrhundert eingebaut wurde. Die ursprüngliche Türe, die aus dem Mittelalter stammt, der ungefähren Entstehungszeit der Kapelle, ist so niedrig und schmal, dass gerade mal eine zierliche Frau durch passt. Eine, die so klein ist, wie die Menschen im Mittelalter halt waren. Und doch - so geht die Sage - soll sich dort ein kräftiges Ross hindurchgezwängt haben.

Jedenfalls gab der legendäre Schimmel der Kapelle des Heiligen Georg ihren Beinamen. Sie steht auf einem Hügel im weiten flachen Isartal zwischen Ascholding und Bad Tölz. Ein dreifacher Wegring zieht sich um den "Bühel", der einen Waldschopf trägt, darin ist das Kirchlein versteckt. "S' Büankircharl" heißt das Heiligtum bei den Einheimischen oder "d'Schimmikapejn", weil sich eben ein weißes Pferd in die Kirche verirrt und nicht mehr herausgefunden hat.

Die "Büan", eine am Bühel ortsansässige Hexe, soll nachts dort in mittelalterlichen Zeiten die Flößer erschreckt haben. Zudem sprengte angeblich ein gespenstischer Reiter rund um die Kirche. Es ist auf alle Fälle auch heute noch ein spürbar magischer Ort mit einem grandiosen Ausblick über die Ebene Richtung Tölz und auf die Berge. Die Legenden erzählen von den dunklen, hexenhaften und tragischen Seiten. Josef Bilgeri spricht von den hellen. "Es ist ein Gnadenort", erklärt er. Wer hier bete, meditiere und Trost suche, der werde auf einer höheren Ebene erhört. Das muss seit jeher so gewesen sein. In den finsteren Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs, als die Schweden auch das Oberland verheerten, suchten die Menschen hier Zuflucht. Wie in jedem Krieg seien die Folgen Elend, Armut, und Krankheit gewesen, sagt Bilgeri, die Pest habe schrecklich gewütet, viele Bewohner des Dorfes Ascholding seien vom Schwarzen Tod hinweg gerafft worden. Eine wirksame Medizin gab es noch nicht, da blieb nur das Gebet. An wiederkehrende Epidemien erinnern die beiden Holzskulpturen der Pestheiligen St. Sebastian und St. Rochus auf dem Altar, die den heiligen Georg einrahmen. Spätgotische und frühbarocke Stilelemente sind in dem stillen Kirchlein zu finden, die liebevoll mit Rosen ausgemalte Holzdecke könnte wohl noch älter sein, ebenso die Wandmalereien der Stationen vom Martyrium des Hl. Georg.

Sie erzählen von den vielen Foltermethoden, die an der Standhaftigkeit des heiligen Georg scheiterten, bis man den ehemaligen römischen Soldaten, der zum Christentum konvertiert war, schließlich enthauptete. Mittelpunkt des fein renovierten Altars ist sein farbenprächtiges Bildnis, das ihn als Drachentöter zeigt, der kraftvoll und harmonisch mit seinem Pferd verwachsen die Lanze in den Rachen des Ungeheuers sticht. Der Drache, Sinnbild des Bösen auf der Welt, findet sein Gegenstück im Erzengel Michael, der mit seinem Schwert für das himmlische Böse zuständig ist. Die "Zwei", das duale Prinzip, die Waage, wie sie dem Denken im Barock entspricht, sei in der Kapelle an diesen Beispielen zu finden, erläutert Josef Bilgeri.

Den vermutlich vorchristlichen, vielleicht keltischen Ursprung der Kapelle kann man nur an den Opfersteinen sehen, wenn man mit ihm um die Kapelle herumgeht. An verschiedenen Stellen ruht das Fundament der Kirche auf mächtigen Steinblöcken, in denen Rinnen erkennbar sind, durch die das Blut von Opfertieren abgeflossen sein könnte und die einen Zusammenhang mit ehemaligen Opferkultstätten für den germanischen Gott Wotan nahelegt. Der wurde, wie zum Beispiel in der isländischen Edda-Handschrift, oft als einäugiger Reiter mit Schwert und Dreizack dargestellt. Sein Pferd ist ebenfalls ein Schimmel. Könnte also der Schimmel, der angeblich in der Kirche zu Tode kam, ein Sinnbild dafür sein, dass das weiße Pferd des heidnischen Wotan mit einem bäuerlichen Schimmel-Opfertier besänftigt wurde und dem christlichen Märtyrer Georg auf seinem weißen Pferd den Weg in den Himmel der katholischen Heiligen gebahnt hat?

Josef Bilgeri hat jedenfalls jenseits der Sage einen herzenswarmen wie auch spirituellen Bezug zu diesem Kirchenraum, und auch einen ganz profanen. Als Bub kam er mit den anderen Kindern aus dem Dorf herauf zum Schlittenfahren, und sie gingen da hinein, um sich aufzuwärmen. Er erinnert sich, dass die gesamte linke Wand der Kirche mit Votivtafeln übersät war, die später gestohlen wurden. All diese Tafeln erzählten von den Sorgen der Menschen. Viele Tafeln stammten aus den beiden Weltkriegen, als die Frauen um ihre Männer, Brüder und Söhne bangten und zum heiligen Georg beteten, dass sie zurückkehren mögen.

Die Menschen, die Bilgeri aus der Gemeindepolitik und der Volksmusikszene gut kennen und schätzen, halten ihn für einen sehr feinsinnigen Mann, der sich für seine Heimat einsetzt. In den 1980er-Jahren schrieb er eine preiswürdige Geschichte über sein Dorf Ascholding, das von der kritischen Stimme Bayerns, Dieter Wieland, verfilmt wurde. In der BR-Dokuserie "Grün kaputt" prangerte dieser die Verschandelung und Zerstörung der bayerischen Kulturlandschaften und deren traditioneller Ortschaften an. Da geriet auch Ascholding mit seinen Bausünden in den Fokus, was vielen Einheimischen damals nicht gefallen hat. Vielleicht aber hat dies mit dazu beigetragen, dass das idyllische Bachzeilendorf Ascholding mit seinen alten Bauernhäusern und seinem Kircherl heute eines der unberührtesten und schönsten im Umland ist.

© SZ vom 28.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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