Sehenswertes in Lenggries:Rührt euch!

Künstlervereinigung Lenggries

Leerstand und Idylle: Die aufgelassene Kaserne, einst von den Nazis in Lenggries errichtet, ist seit Jahren weitestgehend ungenutzt und teilweise Ziegen und Schafen vorbehalten.

(Foto: Manfred Neubauer)

Die Künstlervereinigung Lenggries verlegt ihre Kunstwoche unter dem Motto "Kraft-Werk(e)" heuer in die aufgelassene Prinz-Heinrich-Kaserne. Dort gibt es viel Platz zur Entfaltung und reichlich Raum für Assoziationen

Von Felicitas Amler

Das waren noch Zeiten, als der Pazifismus die Menschen so bewegt hat, dass bei einer Demo im Bonner Hofgarten 300 000 zusammenkamen. Konversion, also Rüstungs- und Kasernenkonversion war damals, in den Achtzigerjahren, ein zentraler Begriff. Und die Grünen forderten den Austritt aus der Nato. Heute steht Abrüstung in kaum einem Wahlprogramm. Deutschland ist politisch unangefochten viertgrößter Rüstungsexporteur der Welt. Und ein Bekenntnis zur Nato ist für Grüne Koalitionsbedingung.

Über all dies ließe sich in der nächsten Jahresausstellung der Künstlervereinigung Lenggries (KVL) reflektieren, vielleicht auch diskutieren. Denn die KVL geht dieses Jahr fremd. Statt in den edlen, lichten Räumen der früheren Brauerei stellt sie unter dem Titel "Kraft-Werk(e)" in der aufgelassenen Lenggrieser Kaserne aus. In muffigen, maroden Gelassen ohne unmittelbare Licht-, Strom- und Wasserversorgung, die erst einmal gründlich gereinigt werden müssen. Das schreckt die Künstlervereinigung aber nicht; sie ist vielmehr, wie ihr Sprecher Günter Unbescheid sagt, geradezu "wild" darauf, hier auszustellen. Mit Hilfe des gemeindlichen Bauhofs und anderer Unterstützer will sie auch die nötige Infrastruktur mit einem eigenen Generator, Lampen, Wasseranschluss und einem Bauzaun einrichten.

Reizvoll sind für die Kunstschaffenden vor allem die riesigen Flächen, die sie auf drei Ebenen in der ehemaligen Kasernenkantine nutzen können: allein 1000 Quadratmeter im Erd- und im ersten Obergeschoss, dazu Teile des Kellers. Für die neun Mitglieder der KVL sind das ungeahnte Möglichkeiten der Entfaltung. Jede und jeder kann einen eigenen Raum gestalten. Und erstmals können statt der üblichen zwei oder drei Gastkünstler zehn eingeladen werden, die ebenfalls jeweils einen Raum erhalten.

Einer von ihnen, Daniel McCharen, hat sich den finsteren Keller vorgenommen. Dafür bereitet er eine Audioinstallation vor, die an die Geschichte des Gebäudes als Kasernen-Kantine erinnern soll: Geschirrklappern, Gesprächsfetzen, Klänge marschierender Soldaten. Der Künstler arbeitet, wie es auf seiner Homepage heißt, tags für ein Tech-Start-up und erschafft in seiner Freizeit Kunst und Installationen mit Hardware, Software und Materialien wie Holz, Metall und Kunststoff.

Sehenswertes in Lenggries: Die großen Räume wie der frühere Speisesaal sind für Künstler ideal, das Ganze hat Werkstattcharakter.

Die großen Räume wie der frühere Speisesaal sind für Künstler ideal, das Ganze hat Werkstattcharakter.

(Foto: Künstlervereinigung Lenggries/oh)

Die KVL hat auf den Architekturplänen schon alle Abschnitte des Hauses einzelnen Künstlerinnen und Künstlern zugeordnet. Die ehemalige Küche - nach Ansicht der Videokünstlerin Veronika Partenhauser "der schönste Raum" - ist für die Bildhauerin Antonia Leitner reserviert. Für Gemälde wären die gekachelten Wände auch nicht geeignet - es ließe sich nichts hängen. Dass der Boden rau ist und in zwei Zeilen noch die offenen Anschlüsse früherer Großküchengeräte herausragen, dürfte für Leitner eine animierende Herausforderung sein. Wer sich an ihr verzauberndes Werk "Apate" mit seinem sphärischen Spiegel-Spiel auf der Kunstwoche vor zwei Jahren erinnert, wird gespannt sein, was sie diesmal in Szene setzt.

"Wir haben hier alle Freiheiten", sagt Veronika Partenhauser beim Gang durch die Räume. "Platz ist kein Problem. Das ist super." So könne etwa Gastkünstlerin Heidi Willberg mit ihren großformatigen farbstarken Blumenbildern den Hauptraum bespielen. Es ist der einstige Speisesaal, der zweimal 108 Plätze an langen Tischen bot. Und dazwischen ist immer noch genug Luft für die Stein- und Holzskulpturen des Gastes Hannes Kinau.

Künstlervereinigung Lenggries

Paul Schwarzenberger hatte die Idee, auf dem Kasernengelände auszustellen. Veronika Partenhauser und Günter Unbescheid (von links) bereiten die Jahresausschau der Künstlervereinigung Lenggries vor.

(Foto: Manfred Neubauer)

Für Günter Unbescheid kommt zum räumlichen Vorteil des großen Hauses noch die Atmosphäre hinzu; er nennt es den "Reiz des Maroden". So gesehen habe die aufgelassene Kaserne gerade für Künstler "ein unheimliches Potenzial". Weil alles brach liege, könne man hier "nur noch aufbauen". Ihm sei daran gelegen, dass man die Ambivalenz sieht. Und hier verbinden sich seine Assoziationen zum konkreten Ausstellungsraum mit den Überlegungen zum Titel: "Kraft-Werk(e)". "Wir wollen zeigen, dass man mit Kunst auch etwas bewirken kann", sagt er, "Kraft freisetzen, Impulse geben."

Sehenswertes in Lenggries: Unter den Gastkünstlerinnen ist diesmal Heidi Willberg mit ihren starken Farben und großformatigen Blumen.

Unter den Gastkünstlerinnen ist diesmal Heidi Willberg mit ihren starken Farben und großformatigen Blumen.

(Foto: Veranstalter/oh)

Ob es auch einen Impuls zur Ambivalenz Rüstung - Frieden geben wird? Klas Stöver jedenfalls, das lässt sich dem fast fertigen Katalog schon entnehmen, hat zwei tierische Besonderheiten des ehemaligen Kasernengeländes in eine "Postkarte", so der Titel, gefasst. Er hat in Schwarz-Weiß die Ziegen fotografiert, die frei über das riesige Gelände strawanzen können, und zwar vor dem Hintergrund eines Relikts der Nazi-Zeit, aus der diese Kaserne stammt: einem mächtigen steinernen Adler in Angriffshaltung. Beschaulich grasende Ziegen - bedrohliches NS-Raubtier. Womöglich ist auch dies eine Krieg-oder-Frieden-Perspektive.

Vernissage zur Kunstwoche "Kraft-Werk(e)" ist am Freitag, 17. September - falls die Corona-Regeln es zulassen; notfalls im Freien vor der Kantine und nur für geladene Gäste. Die Ausstellung ist bis 3. Oktober zu sehen. www.kv-lenggries.de

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