Süddeutsche Zeitung

Essen & Trinken:Zwischen Welt- und Dorfwirtschaft

Viele Münchner Gastronomen hat es in den vergangenen Jahren ans Südostufer des Starnberger Sees verschlagen. In Seeshaupt versucht dort nun auch Jan Smeets mit seiner Dorfwirtschaft sein Glück

Von Benjamin Engel

Der optische Kontrast zum früheren Berufsumfeld könnte für Jan Smeets kaum größer sein. Zwischen China, Südafrika und Deutschland hat er sich jahrelang in der Welt der Luxushotellerie bewegt. Bis 2012 als Direktor für Essen und Getränke in der noblen Bayerpost im Zentrum Münchens. Im Vergleich klingt schon der Name seines gerade neu eröffneten Lokals "Unsere Dorfwirtschaft" in Seeshaupt bescheidener. Die Stühle im Shabby Chic wirken nicht nur wie aus einer Schule, sondern stammen tatsächlich daraus. Die Theke ist ein alter Verkaufstresen aus dem Penzberger Spielwarengeschäft Kaindl. Von der Decke hängen ehemalige Wirtshaus- und Industrielampen. Das wirkt wie das Patentrezept für ein urban-modernes Lokal in München.

Fehl am Platz fühlt sich der 42-jährige Smeets in Seeshaupt dennoch nicht. "Ich bin sehr froh, dass ich aus der Welt der Luxushotellerie raus bin", macht er deutlich. "Da, wo ich jetzt bin, fühle ich mich sehr gut angekommen." Für ihn ist der Starnberger See viel zu lange schon in einem "Dornröschenschlaf" verharrt. Touristisch und gastronomisch sei die Gegend im Vergleich etwa mit dem Chiemsee oder Tegernsee noch unterentwickelt, findet er.

Von einem unkomplizierten Lokal mit hochwertigem und trotzdem geldbeutelfreundlichem Essensangebot hatten Jan Smeets und seine Frau Lisa schon lange geträumt. "Wir wollen die moderne Variante des bayerischen Wirtshauses mit guten Produkten umsetzen", erklärt er. Das soll der Name Dorfwirtschaft verdeutlichen. Das Lokall will Smeets als eine Art zweites Wohnzimmer für alle Seeshaupter verstanden wissen, für den Jogginghosen- genauso wie für den Anzugträger.

Die Seeshaupter Dorfwirtschaft steht damit exemplarisch für eine neue Art der Gastronomie in der Südostecke des Starnberger Sees, im Spannungsfeld zwischen moderner Urbanität und naturverbundenem Landleben. In Sankt Heinrich ziehen Christopher Rübcke und seine Frau Pamela schon im fünften Jahr mit ihrer "Strand Bar & Kitchen" ein Publikum fernab üblicher Schickimicki-Klischees an den See. Dafür hat das Paar den einfachen Holzkiosk am Wassersportzentrum hergerichtet. Es gibt regelmäßig Live-Musik, vegane und vegetarische Bowls - und wenn die Biergläser aus sind, wird eben aus der Flasche getrunken.

Mit Jan Smeets teilt Christopher Rübcke, dass beide ursprünglich aus Seeshaupt stammen. Damit sind sie klassische Rückkehrer. Sie haben jahrelang in München gelebt und sind wieder an den Starnberger See gezogen. Ein paar Kilometer weiter nördlich haben sich in Ambach Sandra und Henning Dürr einen Lebenstraum erfüllt. Das Paar aus München hat den dortigen Campingplatz am Seeufer übernommen und mit viel Holz modernisiert. Zum Mieten haben sie einige Wohnwägen individuell ausgebaut. In der Schwaiblbar auf dem Campingplatz verkaufen sie zusätzlich zu Pommes und Leberkäs-Semmeln jetzt auch Bowls, etwa mit Fisch oder Falafel. In München betreibt das Paar zudem erfolgreich den Kiosk "Fräulein Grüneis" im Englischen Garten und das Lokal "Heinrich Matters" in der Maxvorstadt.

Wenn man sich die Entwicklung in der Gastroszene am See so anschaut, könnte die "Beach Bar" am Kleinen Seehaus von Markus Sulzmann und Veronika Tauber durchaus als etablierter Trendsetter durchgehen. Sulzmann war schon Geschäftsführer der Ochsenbraterei auf dem Oktoberfest, seit dem Jahr 2000 betreibt er auf einer Halbinsel bei Sankt Heinrich sein Lokal. Warum so viele Gastronomen den Weg aus München in den äußersten Südosten des Sees gefunden haben, vermag keiner so eindeutig zu beantworten. Der gebürtige Seeshaupter Christopher Rübcke will darüber gar nicht lange spekulieren und verrät nur so viel: "Die Ostseite ist eben die Sonnenseite des Starnberger Sees. Hier ist der Tag eben länger als auf der Westseite." Er ist heuer schon wieder stark beschäftigt. Über den Winter hat er einen alten Kutschenwagen aus den 1950er Jahren zu einer Schnellkasse für Getränke und Eis ausgebaut. Am ersten warmen Maiwochenende war die Wiese vor seiner Strandbar voller Leute. Solange die Inzidenz im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen nicht unter 50 fällt, belässt er es beim To-go-Verkauf. Um an Tischen negative Corona-Tests zu kontrollieren, fehlten ihm die Kapazitäten, sagt er.

Im vergangenen Sommer war Jan Smeets selbst häufiger Gast in der Schwaiblbar am Ambacher Campingplatz. Dass die Familie Dürr das Areal neu belebt hat, findet er gut. "Das war vorher ein wenig altbacken", sagt er. Ein etwas moderner Campingplatz habe am Starnberger See total gefehlt. "Das ist eine Entwicklung, die der See braucht."

Seit 2014 lebt Smeets wieder in Seeshaupt. Mit seinem Team entwickelt er Geschäftskonzepte für die Gastronomiebranche. Zu den Kunden zählen etwa die Brauereigruppe Heineken oder das Großhandelsunternehmen Metro. Als sich die Chance ergab, in Seeshaupt die Gaststätte am Sportplatz mitten im Ort zu pachten, hat sich Smeets sofort beworben. "Ich wollte einen eigenen kleinen Laden haben und nicht nur Theoretiker bleiben", erklärt er diesen Schritt.

Im Dezember bekamen er und seine Frau den Zuschlag und haben begonnen, umzubauen. Im März haben sie eröffnet, in der Pandemie bislang nur im To-go-Verkauf. Auf der Karte stehen eine Bowl mit Spargel oder eine mit Tafelspitz, dazu Burger, Fish and Chips oder eher ein klassisch klingender Braten mit Knödel.

So weit wie möglich wollen Lisa und Jan Smeets Produkte aus dem direkten Umfeld verarbeiten. Sämtliches Fleisch stammt aus einem 50-Kilometer-Umkreis. Der Fisch, soweit wie möglich, aus dem Starnberger See. Fällt der Fang der Fischer einmal kleiner aus, kauft Smeets in Zuchtbetrieben wie der Aumühle ein. Die Semmeln für die Burger backt das Team um Küchenchef Andreas Burger selbst - aus Mehl der nahen Sindelsdorfer Off-Mühle. Das passende Bier stammt direkt aus dem Seeshaupter Dorfbräu. Experimentierfreudige Gäste können zwischen 20 wechselnden Craftbieren wählen oder zum Vogelwuid-Bier aus dem Fass des jungen, ständig wachsenden Hoppebräu aus Waakirchen greifen.

Sobald die Smeets Gäste auch wieder drinnen bewirten können, schwebt ihnen ein Sharing-Küchenkonzept vor, also viele kleine Gerichte, die sich die Gäste am Tisch untereinander teilen können. In München, so sagt Smeets, hätte er sich seinen Betrieb auch gut vorstellen können. Allerdings nur, wenn er alleine wäre. Für seine Familie mit den zwei kleinen Kindern sei Seeshaupt aber definitiv der bessere Ort, um in der Natur aufwachsen zu können. Daher ist die Familie auch ganz bewusst dorthin gezogen. In Seeshaupt ist Jan Smeets aufgewachsen und in die Schule gegangen. Seine Gastronomiekarriere hat klassisch als Tellerwäscher in einer Penzberger Pizzeria im Stadtteil Maxkron begonnen. Nebenher arbeitete er in der Gastronomie und der Hotellerie, ehe er in den Niederlanden Hotelmanagement studierte. Anschließend war er in internationalen Häusern tätig, auch in China und in Südafrika. Nach zwei Jahren in Peking fühlte er sich dort so fremd, dass er froh war, nach München zurückkehren zu können. Nach einer Zwischenstation in Südafrika arbeitete er zwischen 2009 und 2021 für das Hotel Bayerpost. Dort lernte er auch seinen heutigen Küchenchef Burger und Sabrina Kirch, die jetzige Serviceleiterin der Dorfwirtschaft, kennen. Bevor sich Smeets mit seiner Gastroberatung selbständig machte, entwickelte er bereits für die Paulaner Bräuhaus Consult GmbH Gastronomiekonzepte. In Seeshaupt, so sagt er, hat er sein Heimatgefühl wieder gefunden. "Von der großen weiten Welt habe ich genug gesehen."

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Quelle:
SZ vom 17.05.2021/van
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