Süddeutsche Zeitung

Schwerpunkt Erziehungswissenschaften:Bildung aus Bad Heilbrunn

Der Verlag Julius Klinkhardt gibt in sechster Generation Fachliteratur heraus. Weder die großen Verlagshäuser noch die Digitalisierung scheinen ihm etwas anhaben zu können

Von Marie Heßlinger

Das Gebäude des Verlags Julius Klinkhardt in Bad Heilbrunn hat blaue Fensterläden. Und sieht auch sonst eher aus wie ein Familienhaus. Tatsächlich ist es das: Seit 187 Jahren werden Bücher der Erziehungswissenschaften von Julius Klinkhardt und seinen Nachfahren verlegt. Andreas Klinkhardt, Abkömmling der sechsten Generation, lebt und arbeitet mit seiner Familie im Verlagshaus. Und steuert das Unternehmen zuversichtlich in die Zukunft, während die Anzahl anderer kleiner Verlage in Deutschland schwindet.

Mosaikparkett und Bücherregale, draußen rote Blätter, drinnen drei Männer. Geschäftsführer Andreas Klinkhardt, sein Sohn und Werkstudent Robert Klinkhardt und sein Stellvertreter Thomas Tilsner sitzen zu dritt um einen Stapel Bücher. Ihre ruhigen, brummigen Stimmen werden gedämpft von Holz und Papier. Die ganze Szene macht Lust auf Herbst und auf Lesen. Man könnte sich jetzt eines der Bücher schnappen, mit deren Haptik die Männer so zufrieden sind. Man könnte es in der Mitte aufklappen und seine Nase reinhalten. Man würde feststellen, dass sich das gelbliche Papier so weich anfühlt, dass man die ganze Zeit darüber streichen möchte. Und dass es auch ein bisschen gut riecht.

Man könnte aber auch stattdessen die Einbände der Bücher betrachten. Und feststellen, dass es sich um Erziehungsliteratur handelt. Und zwar nicht die Art Literatur, die strebsame oder verzweifelte Eltern lesen, sondern jene, mit der sich Wissenschaftlerinnen, Studierende und Lehrer auseinandersetzen.

"Über die Notwendigkeit der historischen Bildungsforschung", lautet ein Titel. "Schule entwickeln: Jahrgangsmischung in der Grundschule" ein anderer. Vermutlich hätte bei diesen Titeln nun doch nur noch ein kleiner Teil Menschen Lust auf auf Lesen. Aber diesen Teil der Menschheit bedient Julius Klinkhardt konsequent.

Ein Autorenverlag

Seit 1834 veröffentlicht der Verlag Julius Klinkhardt Bücher über Bildung. Da er in der Nazizeit auch Propagandaliteratur druckte, sah er sich gezwungen, nach dem Zweiten Weltkrieg für einen Neuanfang von Leipzig nach Bad Heilbrunn umzuziehen. Sein heutiger Geschäftsführer Andreas Klinkhardt hat die Verlagsgeschichte kritisch aufgearbeitet. Unter seiner Leitung gehen heute in Bad Heilbrunn pro Jahr rund 80 000 Bücher in den Druck. Mehr als 80 Titel erscheinen jedes Jahr neu. Darunter Sachbücher, Praxisbände sowie Forschungsreihen und Dissertationen. Nur acht Mitarbeiter sind im Hause beschäftigt, darunter Klinkhardts Ehefrau als Buchhalterin. Der Kontakt mit den Autoren ist eng.

"Wenn wir keine Autoren haben, sind wir gar nichts", sagt Geschäftsführer Andreas Klinkhardt. Eine Tatsache, die im Verlagswesen manchmal vergessen werde. Denn immerhin: 50 Prozent der Manuskripte lehnt auch der Verlag Julius Klinkhardt ab. Doch jene Autoren, mit denen die Zusammenarbeit funktioniere, versuche der Verlag zu halten. "Das geht bis zu engen, persönlichen Freundschaften, die sich da bilden." Aus einzelnen Büchern würden manchmal ganze Reihen. Zufriedene Autorinnen und Autoren empfählen den Verlag in ihren Netzwerken weiter. So komme Julius Klinkhardt an neue Themen.

Erscheint eine Autoren-Idee vielversprechend, sieht der Verlag seine Aufgabe darin, das Thema zu strukturieren. Aufgabe der Autorinnen und Autoren ist es, diesen Rahmen mit Inhalt zu füllen. Der Austausch darüber geschieht manchmal bei einer gemeinsamen Bergtour, manchmal auch bei Zoom-Konferenzen und Tagungen.

Ebendieser Austausch, sagt Robert Klinkhardt, der einzige Sohn Andreas Klinkhardts, habe ihn dazu bewogen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Der 27-Jährige passt mit seinem orangefarbenen Karo-Jackett, mit dem rötlichen Bart und seinem förmlichen Auftreten optisch gut in das Bild eines Verlags aus dem 19. Jahrhundert.

Genau wie sein Ur-ur-ur-ur-Großvater und genau wie sein Vater hat Robert Klinkhardt eine Lehre zum Buchhändler gemacht. In Leipzig, wo sein Ur-ur-ur-ur-Großvater den Verlag Julius Klinkhardt gründete, begann er sein Studium der Erziehungswissenschaften. "Ab dem Moment war klar, dass die Reise hierher geht", sagt der 27-Jährige im Büro seines Vaters, wo er nebenbei als Werkstudent arbeitet.

Seine Bewährungsprobe hatte er im Jahr 2012, als er ebenfalls im Verlag mitarbeitete. Genau in diesem Jahr erlebte das Unternehmen einen gewaltigen Digitalisierungsschub. Der Sohn widmete sich der kleinteiligen Aufgabe, die Bücher in PDF-Dateien und E-Books umzuwandeln. "Und das hat gut geklappt", sagt der Vater.

"Sehr spezielle Nische"

Die Digitalisierung ist auch heute noch ein großes Thema im Verlag. Die Buchwelt hat sich verändert in den vergangenen Jahren. Während Verlage früher über Jahre von den Einnahmen ein paar weniger Besteller leben konnten, können sie sich darauf nicht mehr verlassen. "Entscheidend ist, dass die Bedeutung des Buches nicht zunimmt", sagt Andreas Klinkhardt. Ein über Jahre gut verkaufter Atlas etwa wurde längst abgelöst von Navigationsgeräten. Studierende beziehen ihr Wissen nicht mehr über nur über Bücher, sondern über Podcasts, Videos und frei zugängliche Dokumente. Kleine Buchhandlungen verlieren gegen große Konkurrenten. Immer mehr kleine Verlage werden von ein paar wenigen großen übernommen.

Der Verlag Julius Klinkhardt aber scheint von alledem unbeeindruckt seinen Weg zu gehen. Julius Klinkhardt tat gut daran, früh einen Schwerpunkt auf Bildungsliteratur zu setzen. Diese "sehr spezielle Nische" sei es, sagt Andreas Klinkhardt, die den Verlag nun vor allzu viel Konkurrenz von großen Verlagen bewahre. Dass Klinkhardt außerdem früh auf die Digitalisierung einging und E-Books veröffentlicht, hat ihm während der Corona-Krise sogar zu neuen Umsatzaufschwüngen verholfen: "Buchhandlungen waren geschlossen, Bibliotheken waren geschlossen", zählt Andreas Klinkhardt auf, viele Studierende hätten ihre Bücher stattdessen digital bezogen.

In der Wissenschaft zeichnet sich außerdem ein weiterer Wandel ab: Immer mehr wissenschaftliche Arbeiten sind mittlerweile kostenfrei für alle zugänglich - also "Open Acces." Auf Internet-Seiten wie oapen.org oder pedocs.de kann man Aufsätze und ganze Bücher aus Klinkhardts Verlag kostenfrei als PDF-Dokumente herunterladen. Zuschussgeber sind oft Universitäten. Hat ein Autor an einer bestimmten Universität geforscht, erklärt sich diese oftmals bereit, das Buch zu kaufen und öffentlich zugänglich zu machen. Während Klinkhardt vor ein Jahren fürchtete, dass die Finanzierung von Open-Access-Modellen schwierig würde, sagt er heute: "Im Moment schaut das sehr stemmbar aus."

Und auch dass das gedruckte Buch verschwindet, fürchtet der Verleger nicht. Noch immer arbeiteten viele Studierende lieber mit greifbaren Büchern als mit E-Books, den Buchautorinnen und -autoren selbst ergehe es ähnlich: "Ich habe keine Kollegin, keinen Kollegen, die auf ihr gedrucktes Exemplar verzichten würden", sagt Klinkhardt. Wahrscheinlich wegen der Haptik der Seiten. Und wegen ihres Geruchs.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2021
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