Süddeutsche Zeitung

Schwacher Rettungsschirm:Für Künstler geht's ans Ersparte

Die Kulturwirtschaft leidet besonders unter den Corona-Beschränkungen. In Gelting und Münsing haben sich am Wochenende deshalb viele Kreative für eine Protestaktion versammelt. Sie fordern vom Freistaat Nachbesserungen beim Rettungsprogramm

Von Petra Schneider, Geretsried

Am Sonntagvormittag füllt Musik den Platz vor dem Geltinger Dorfladen - echte Livemusik in diesen stillen Corona-Zeiten. Die Sonne strahlt, im Pavillon spielen die Bonny Tones mit fetzigem Rock 'n' Roll ein. Open-Air-Atmosphäre, die gut tut. Ohne Regeln geht es freilich nicht: Der Bereich vor dem Dorfladen ist mit Sperrband abgetrennt, betreten ist nur nach Anmeldung erlaubt. Mundschutz und Sicherheitsabstand sind obligatorisch. Der Geretsrieder Polizeichef Franz Schöttl wacht mit zwei Kolleginnen darüber, dass die Corona-Auflagen eingehalten werden. Maximal 50 Leute sind zugelassen, nach einer Stunde muss Schluss sein.

Was nach Minifestival aussieht, ist eigentlich eine Protestversammlung. Denn nach Wochen der geschlossenen Bühnen und abgesagten Veranstaltungen, steht den Künstlern und Kulturschaffenden finanziell das Wasser bis zum Hals. Der Kulturverein Isar-Loisach (KIL) und die Kulturbühne Hinterhalt haben sich deshalb der bayernweiten Aktion des Verbands für Popkultur angeschlossen, die unter dem Slogan "Kulturrettungsschirm Bayern" von der Staatsregierung eine Nachbesserung des Nothilfeprogramms für Kulturschaffende fordert. "Den großen Firmen wird geholfen, die Künstler müssen schauen, wo sie bleiben", sagt eine Teilnehmerin, die aus Solidarität eigens aus Germering nach Gelting gekommen ist. Auch in Münsing gibt es am Sonntag parallel eine solche Protestaktion.

Filmkomponist und Gitarrist Titus Vollmer lässt sich trotz der desaströsen Lage die Laune nicht vermiesen. "Ich verdiene im Moment Null", sagt er. Filme würden derzeit nicht gedreht, Konzerte abgesagt. "Bis Weihnachten sieht's so aus, als wäre ich arbeitslos", so Vollmer. Er habe sich für eine Förderung als Solo-Selbständiger beworben, sei aber mit "völlig unklarer Begründung" abgelehnt worden. Nun werde er die dreimonatige Soforthilfe beantragen, auch wenn 1000 Euro im Monat natürlich nicht reichten. "Ich habe drei Kinder in Ausbildung", sagt der 51-Jährige. Momentan lebe die Familie von den Rücklagen für die Altersversorgung. "Dass die Assunta unermüdlich für Hanswurschten wie mich kämpft, das finde ich richtig gut", sagt er, schnappt sich eine Gitarre und legt ein spontanes Solo hin.

"Die Assunta", das ist Hinterhalt-Chefin Assunta Tammelleo, die mit Andrea Weber vom KIL die Protestaktion organisiert hat. Bei ihren kurzen Einführungsworten zitiert sie Staatsminister Bernd Sibler (CSU): "Als Kunstminister blutet mir das Herz, das Kulturleben am Boden zu sehen", hatte Sibler in einer Pressemitteilung Mitte Mai geschrieben. "Mit Verlaub", sagt Tammelleo, "ein Künstlerherz ist ebenso schnell ausgeblutet wie ein Ministerherz", so Tammelleo. Die Maßnahmen des Künstlerhilfsprogramms reichten nicht aus, die Kulturszene drohe auszubluten. "Wir fordern keine Gewinne. Wir fordern die zum Überleben unerlässlichen Notbetriebskosten", sagt die Hinterhalt-Chefin. Andernfalls breche die Infrastruktur der freien Kultur weg. Ihre Kulturbühne, die seit 9. März geschlossen ist, habe noch "keinen Cent" Förderung bekommen.

Die Kritik des Kulturvereins richtet sich aber nicht nur gegen die "unzureichenden Maßnahmen" der Staatsregierung. Klare Worte findet Tammelleo auch für die Kommunalpolitik. Von den Kulturämtern in Geretsried und Wolfratshausen fühle sie sich im Stich gelassen. "Für uns ist es sehr entmutigend, dass sich niemand aus den Rathäusern der beiden Städte auch nur einmal nach uns erkundigt, vielleicht ein paar aufmunternde Zeilen geschickt oder gar angeregt hätte, dass man sich mal trifft, um vielleicht gemeinsam alternative Kulturformate zu entwickeln", sagt sie. Dann gehört die Bühne Martin Ruhland aus Weipertshofen und Cellistin Heidi Gröger. Seit 30 Jahre sei er Profi-Schlagzeuger, sagt Ruhland, nun leide er unter existenziellen Sorgen. Zuschüsse seien ihm verweigert worden, weil er Musik neuerdings nur noch nebenberuflich mache. Auch er lebe im Moment von seinen Ersparnissen.

Ähnlich geht es den meisten, die sich am Sonntag vor dem Dorfladen zusammengefunden haben: Hansi Huber von "Tromposound" klagt, dass der Bläsercombo in diesem Jahr alle Auftritte abgesagt wurden - obwohl die Biergärten wieder öffnen dürften, allerdings ohne Musik. Oder der Trompeter Florian Sagner, dem wegen abgesagter Konzerte 20 000 Euro Einnahmen fehlten, wie er erklärt. Dass er zweimal wöchentlich an der Geretsrieder Musikschule unterrichtet, in den vergangenen Wochen online, sichere ihm wenigstens ein Grundeinkommen.

Pünktlich zum Zwölfuhrläuten schließen die Bonny Tones mit dem Spider-Murphy-Gassenhauer "Schickeria". Die Leute klatschen begeistert und singen gegen die Mund-Nasen-Masken an. Dann löst sich die Versammlung ordnungsgemäß auf. Es ist wieder coronastill im Dorf.

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Quelle:
SZ vom 02.06.2020
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