Schullandheim Bairawies:"Wie schmecken Lebensmittel?"

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Grünes Vanilleeis und Wüstenmelonen: Rotraut Drexler leitet das Schullandheim in Bairawies - und lehrt dabei die Schüler, wie das Leben schmeckt.

Bernhard Lohr

Ein Mädchen stapft nachdenklich mit Zettel und Stift in der Hand durch die Wiese. Ein anderes kommt mit roten wehenden Haaren aufgeregt vom Schullandheim runtergerannt. "Frau Drexler, wo ist das Abenteuerhaus?" Doch die Hausleiterin sagt nur. "Schau mal rundrum. Das heißt ja nicht umsonst Hausrallye." Und schon rennt das Mädchen weiter.

In Bairawies steht ein Schullandheim mit einer besonderen Leiterin: Rotraut Drexler lehrt den Kindern ihr Wissen über gutes Essen und seltene Pflanzen. (Foto: Manfred Neubauer)

Rotraut Drexler ist der Dreh- und Angelpunkt im Schullandheim in Bairawies. Seit zwölf Jahren managt sie das Haus, nimmt Anmeldungen entgegen, kocht, plant Umbauten und ist Ansprechpartner, wenn es ums Mittagessen, dreckige Wäsche oder die Hausrallye geht. "Ich sehe mich nicht bloß als Verwalterin", sagt sie. Hunderte Kinder sind bei ihr übers Jahr zu Gast. Und die 57-Jährige ist fest gewillt, dass bei denen in der Zeit auch etwas hängenbleibt.

Beim Gang durch das Haus, durch Anbauten, lange Gänge treppauf und treppab, durch Werkstatt und Schulungsräume ist Drexler Hausherrin durch und durch. "Bei uns ist alles multifunktionell", sagt sie beim Blick in einen Mehrzweckraum mit Fernseher und Schautafeln wie aus dem Biologieunterricht, die den menschlichen Körper und seltene Pflanzen zeigen. Sie berichtet davon, wie die Schlafräume saniert wurden, und die Küche und schwärmt von ihrem Hausmeister Karsten Köchel, der Schränke und Wandverkleidungen selbst schreinert.

Die Verwalterin Drexler erzählt von 20.000 Euro Fixkosten im Monat, wie knapp sie mit einem Tagessatz von 24,50 Euro pro Kind kalkulieren muss. Doch immer dringt durch, dass Drexler eigentlich Hauswirtschaftsmeisterin ist und sich als Pädagogin versteht.

Sie ist vom Glauben durchdrungen, dass zum Leben gutes, selbst gekochtes Essen aus natürlichen Zutaten gehört. Die 57-Jährige war einst Wirtschaftsleiterin an den Nymphenburger-Privatschulen in München, wo sie am Ende für 700 Schüler kochte. Sie erregt sich, dass Kinder nur noch aus dem "Papierl aus der Mikrowelle" essen und schimpft - ohne verbittert zu sein - auf die "Kelloggs-Gesellschaft".

Immer wieder kämen Kinder, die sich die Schuhbänder kaum binden könnten und nur noch mit dem Löffel essen könnten. "Und das stimmt", bekräftigt sie und gibt sich in dem Moment fest entschlossen, die in ihren Augen doch etwas aus den Fugen geratene Welt wieder ein Stückweit ins Lot zu bringen. Sie wolle vor allem auch den Stadtkindern zeigen, was das freie Leben auf dem Land heißt - und zwar den von Mama und Papa "Überbehüteten" genauso wie den zu Hause "vernachlässigten".

Fast logisch scheint da, dass sie einen Kurs gibt "Wie schmecken Lebensmittel?", in dem Drexler Vanilleeis grün färbt oder Karotteneis anbietet und sich diebisch freut, wenn niemand erkennt, was er da isst. Das ganze Haus ist vom pädagogischem Sturm und Drang der Frau aus Kochel am See durchdrungen. Eigene Fotografien von Reisen hängen an den Wänden, aus Indien und Afrika, die seltene Pflanzen zeigen und genau beschriftet sind. Die Wüstenmelone aus Namibia: "Die ist salzig", sagt Drexler. Man soll ja was lernen.

In den vergangenen Jahren entstand so langsam ein gut bestelltes Haus, in dem bis zum Hausschuhzwang ab der Haustüre alles geregelt ist, und ein pädagogisches Programm, das die Schulklassen und Gruppen buchen können. In Zusammenarbeit mit Wald- und Kräuterpädagogen wurden Konzepte entwickelt. Man kooperiert mit einem Biobauernhof in der Nähe und ein Förster nimmt die Kinder mit in die Isarauen.

Gerade sind Realschüler aus Bruckmühl und der evangelischen Lukasschule in München in Bairawies. Die Sport- und Sozialpädagogin Magdalena Schrijner arbeitet mit 23 Kindern einer 6. Klasse aus Bruckmühl in einem der Schulungsräume. Einige stehen sich gegenüber, auf den ausgestreckten Fingern einen Meterstab, den sie gemeinsam auf dem Boden ablegen sollen, ohne dass er runterfällt. Das misslingt, es kommen gegenseitige Vorwürfe.

Erst wenn alle ruhig sind und zuhören, wenn einer das Kommando gibt, klappt die konzertierte Aktion. "Mir ist wirklich wichtig, den Kindern Kommunikation beizubringen", sagt Schrijner. Meist seien sie gewohnt, gegeneinander anzureden, aber zuhören, das falle schwer.

Es geht auf Mittag zu. Ein Mädchen rennt zur Küche und schaut dort auf die Tafel neben der Tür. "Was gibt's heute zu essen?" ruft es und liest laut "Schweinebraten, Putenschnitzel, Kartoffeln, Blaukraut - oh, wie lecker." Und rennt die Treppe hoch.

20 Minuten später sitzen die Kinder in den beiden Speisesälen, wo Johanna mit ihrer gerade neu gewonnenen Freundin Nathalie von der Lukasschule die Tische gedeckt haben. Tischdienst gehört in Drexlers Welt genauso dazu, wie die Teller selbst abzuräumen. Johanna und Nathalie sind gerade von einer Isarwanderung zurück. Und Johanna sagt, "das hat Spaß gemacht, das war spannend, mit den ganzen Blättern, die man ausfüllen musste". Und sie lässt sich davon auch nicht abbringen, als eine andere Freundin immer sagt: "Langweilig." Sie kontert: "Lustig." "Langweilig - lustig - langweilig -lustig", so geht das eine Weile.

Johannas Lehrer sind jedenfalls auch angetan. Ursula Hofer-Hutter genießt es, in Bairawies differenzierte pädagogische Programme vorzufinden, die man dann nur buchen muss. "Vom Haus hier wird sehr viel angeboten für Kinder", sagt sie. Patricia Klesch: "Toll, dass die Umweltproblematik hier groß geschrieben wird." Und Thomas Thiele ist noch ganz beeindruckt von der Isarwanderung. "Wir haben an jedem Baum gehalten."

© SZ vom 06.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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