Die Zeugnisse werden wieder verteilt sein, in den Klassenzimmern wird aufgestuhlt und Wochen sommerlicher Unbeschwertheit erwarten Schülerschaft und Lehrkräfte. Doch das neue Schuljahr wird ein wenig anders als sonst. Als Reaktion auf die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie – vielfach als neuerlicher „PISA-Schock“ bewertet – hat das bayerische Kultusministerium die Stundentafel in den Grundschulen angepasst. Vielfach wurde grundlegende Kritik daran geäußert. Die Einschätzungen der Grundschulen in der Region zu den bald in Kraft tretenden Änderungen sind dagegen differenzierter.
Eine Rekapitulation: Im vergangenen Winter wurde die Auswertung der 2022 durchgeführten PISA-Studie präsentiert. Dabei wurde deutlich, dass 15-jährige Schülerinnen und Schüler aller Schularten in den getesteten Kompetenzen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften deutlich schlechter abschnitten als bei der letzten Studie 2018. Die durchschnittlichen Leistungen sind in vielen OECD-Staaten gesunken, in Deutschland hingegen besonders stark, was für Verwunderung sorgte. Für diejenigen, die Tag für Tag in der Schule sind, waren die Ergebnisse erwartbar.

„Die Ergebnisse waren für mich keine Überraschung, sie spiegeln wider, was ich vor Ort an der Schule feststelle“, sagt etwa Jakob Dondl, der die Grundschule in Kochel leitet. Elke Goymann, Leiterin der Karl-Lederer-Grundschule in Geretsried, sieht es genauso: „Es ist nicht wirklich überraschend, da wir das ja im Schulalltag feststellen.“ Rechen- und Lesefähigkeiten nähmen merklich ab, zudem schrumpfe die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder, so die Lehrkräfte.

Um dem entgegenzuwirken, stellte das Kultusministerium ein Maßnahmenpaket vor, das die Leistungen in den Hauptfächern Deutsch und Mathe verbessern sollte durch neue Schwerpunkte im Grundschulunterricht. Die „Pisa-Offensive Bayern“ sorgte für Wirbel, weil in einer Erklärung Ende Februar die Rede davon war, die kreativen Fächer Werken und Gestalten, Musik und Kunst in einem „Fächerverbund“ zusammenzufassen. Später wurde präzisiert: Die Fächer bleiben als Einzelfächer erhalten, doch die Stundentafel wurde angepasst. Bald bekommen die Kinder aller Klassen je eine Deutschstunde mehr, in der ersten und dritten Klasse auch eine Stunde Mathematik. Das geht zulasten der kreativen Fächer, für die insgesamt fünf Wochenstunden vorgesehen waren.

Das Kultusministerium spricht von einer Flexibilisierung der Stundentafel, die in Zukunft vier oder fünf Stunden für den Fächerverbund einkalkuliert. Den Schulen bleibt de facto aber kaum etwas anderes übrig, als bei den kreativen Fächern zu kürzen, da das Kontingent an Wochenstunden insgesamt nicht wächst. Die Anpassung der Stundentafel per se wird auch nicht als schockierend wahrgenommen. „Dass die Stundentafel gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst wird, finde ich einen ganz logischen und natürlichen Prozess – sie ist nicht in Stein gemeißelt“, sagt etwa Jakob Dondl.

„Masse macht nicht unbedingt mehr Klasse“, merkt dagegen Judith Rupp an, Schulleiterin aus Königsdorf. Rupp verweist darauf, dass Deutsch und Mathe besonders viel Konzentration erfordern. Jede erfahrene Lehrkraft wisse, dass die Schülerinnen und Schüler nach einer gewissen Zeit an eine Grenze kommen. „Die Kinder sind kein offener Trichter, in die man länger oder mehr Lernstoff reinschütten kann“, so Rupp. Gerade die kreativen Fächer seien daher notwendig als Ausgleich zu Mathe und Deutsch. Ein Kind, das eine Dreiviertelstunde lang Textaufgaben bearbeitet hat, brauche Entlastung, nicht noch mehr Lernstoff. „Der Ausgleich zu den reinen Lern-Fächern ist immens wichtig, die Kinder brauchen die Auflockerung“, sagt Gabi Reumuth. Sie unterrichtet an der Grundschule in Wolfratshausen-Waldram.

Das Argument, die Kinder könnten auch in der Freizeit Musik machen oder Bilder malen, hält Reumuth für nicht stichhaltig: „Kann sich das jeder leisten? – Eben nicht.“ Und für Arbeitsgemeinschaften fehlt in den Schulen Zeit und Personal. Zudem sind sich alle der befragten Pädagoginnen und Pädagogen einig, kreative Fächer seien wichtig für das Selbstwertgefühl der Kinder. „Da machen auch Kinder mit, die sich sonst nicht melden,“ sagt Gabi Reumuth. Zumal solche, die nicht gut Deutsch sprechen. In Musik, Werken und Kunst können sich Kinder als Schaffende erleben, ihre „Selbstwirksamkeit“ erfahren, wie Elke Goymann sagt – Bilder werden im Schulgebäude ausgestellt, Musik vorgespielt.
Die Offensive sei „ein Tropfen auf den heißen Stein“
Der Frage, ob die PISA-Offensive mit dem Motto „Lesen, Schreiben, Rechnen im Fokus“ ihren Zweck erfüllt, begegnen die meisten Lehrkräfte mit Skepsis. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, nennt Reumuth die Offensive. „Das wird nicht das alleinige Mittel sein, da es nicht die alleinige Ursache ist“, sagt Goymann. Doch wer nach den Ursachen fragt, rührt an Themen, die die gesamte Gesellschaft betreffen: den Fachkräftemangel, der sich auch in den Grundschulen ausprägt; die mangelnden Deutschkenntnisse von Kindern aus Einwandererfamilien oder von Kindern geflüchteter Familien – wobei die in der PISA-Offensive angekündigten verpflichtenden Sprachtests generell begrüßt werden; der Medienkonsum der Kinder; die fehlende Zeit notwendigerweise berufstätiger Eltern, die sonst in Lektüre investiert werden könnte. „Die Schule kann nicht alles leisten, was in der Gesellschaft nicht funktioniert“, fasst Judith Rupp zusammen. Und dennoch würde den Schulen immer mehr Verantwortung übertragen. Der Druck steigt, die Aufgaben nehmen zu. Dennoch ist sich Schulleiterin Goymann sicher: „Ich würde den Beruf nochmals ergreifen. Die Kinder geben viel zurück, man kann schon einiges bewegen.“
Abwartend bis vorsichtig pessimistisch
Was den Effekt der bald startenden PISA-Offensive angeht, zeigen sich die Vertreter der Grundschulen abwartend bis vorsichtig pessimistisch. „Es ist kein Thema, das mich mit Blick auf meine Kochler Schule besonders aufregt“, sagt jedoch Jakob Dondl und ergänzt: Erfahrenen Lehrkräften würde immer etwas einfallen. Schließlich könne man auch im Religionsunterricht, dessen Stundenzahl auch nach den Sommerferien unangetastet bleibt, Lieder singen.