Süddeutsche Zeitung

Schüler fragen, Promis antworten:Gemeinsam für europäische Werte

Joschka Fischer diskutiert mit Paul Achleitner und Susanne Porsche am Günter-Stöhr-Gymnasium über Zukunftsfragen.

Von Benjamin Engel

Um eine schlagfertige Antwort ist Joschka Fischer kaum verlegen. Das zeigt der frühere Bundesaußenminister der Grünen bei der Schülertalkshow am Ickinger Günter-Stöhr-Gymnasium exemplarisch. "Mir ist die blaue Locke geblieben", antwortet er trocken, als er nach dem Youtuber Rezo und seinem millionenfach geklickten Video "Die Zerstörung der CDU" gefragt wird. Darauf habe die CDU idiotisch reagiert, meint Fischer. Der ganze teure Parteiapparat der Union sei in Panik geraten und habe "allen Ernstes" geglaubt, das Video allein sei wahlentscheidend.

Wie er es besser gemacht hätte, ist für Fischer klar. "Ich hätte mit der Schulter gezuckt", sagt er. Angst sei in der Politik ein schlechter Ratgeber. Shitstorms habe es auch schon in Zeiten ohne neue Medien gegeben. "Da musst du durch in der Politik."

So reagiert der frühere Außenminister auf die Frage, inwiefern die neuen Medien die Art und Weise der Politik veränderten. Neben ihm sitzen am Montag in Icking der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, Paul Achleitner, und die Filmproduzentin und Regisseurin Susanne Porsche auf dem Podium. Die Schüler des P-Seminars Sozialkunde haben das hochkarätige Trio zur Diskussion eingeladen und die Talkshow organisiert. Sie moderieren die Veranstaltung und fragen ihre drei Gäste zum Thema "Werte(los) in die Zukunft".

Direkt appelliert Fischer an die Schüler, deren Generation die Qualität der Auseinandersetzung an die demokratischen Erfordernisse anpassen müsse. Eine allgemein verbindliche Instanz wie der Qualitätsjournalismus sei verloren gegangen. Verschiedene Meinungen würden nicht ausgetauscht. Viele suchten nur in ihrer selbstreferenziellen "Blase" nach Bestätigung. "Ohne Regulierung wird es leider nicht gehen." In der Verantwortung sieht Filmproduzentin Porsche mehr noch als die Jugend die heutigen Erwachsenen. "Wir haben vergessen, Werte vorzuleben", sagt sie. Das denke sie sich etwa, wenn eine Mutter den Kinderwagen schiebe und währenddessen ständig auf ihr Handy starre. Die Menschen müssten lernen, mit den neuen Medien vernünftiger umzugehen.

Ob jeder mit dem eigenen Facebook-Account anfangen kann? Achleitner antwortet zumindest, dass dort gerne geschummelt werde, um sich besser darzustellen. Wichtigste Werte seien für ihn Integrität, Ehrlichkeit zu sich selbst und Intensität, das heißt immer, das Bestmögliche zu tun.

Alle drei auf dem Podium des Ickinger Gymnasiums sind sich einig, dass Demokratien wie Deutschland bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz mithalten können. Fischer mahnt, dass die Europäer allerdings zusammenarbeiten müssten, um nicht von den Vereinigten Staaten oder China abgehängt zu werden. Er wünsche sich nicht, dass Deutschland vom Silicon Valley oder Shenzhen abhängig werde. "Das muss verhindert werden." Für Achleitner fehlt es in Deutschland bislang an Risikokapital und militärischen Forschungsausgaben. "Das ist der Grund, warum die USA und Israel vorne sind." Aus seiner Sicht müsse man den Menschen helfen, die Angst vor der Zukunft hätten. Sonst suchten diese beispielsweise Halt im Populismus der Nationalisten. Nach der Finanzkrise stelle sich die Frage, wie die Gesellschaft mit dem Risiko umgehen. Darüber sei noch nicht diskutiert worden.

Zu den klassischen Akteuren in der Vermittlung von Werten zählt auch die Kirche. Porsche sieht die Institution aufgerufen, sich von innen heraus zu ändern. Wenn die katholische Kirche keinen Nachwuchs finde, frage sie sich, warum es dann noch den Zölibat gebe. Der Missbrauchsskandal sei zudem noch nicht aufgearbeitet. Sie selbst sei evangelisch. "Luther wollte die Menschen klüger machen", sagt sie. In ihrer Existenz bedroht sieht Fischer die Kirche, ändere sich nichts Dramatisches.

Von einem grünen Zeitgeist will der Ex-Außenminister nichts wissen. Die Welt habe sich dramatisch verändert, sagt er. Seit Mitte der 1980er-Jahre seien 700 Millionen Chinesen aus der Armut in die Mittelschicht aufgestiegen. Das verändere Konsum- und Mobilitätswünsche. Das Auto sei durch seinen eigenen Erfolg problematisch geworden. Die Weltbevölkerung wachse. Entweder die Menschheit schaffe es, Lösungen zu finden, oder sie werde auf der "Verliererseite" stehen.

Den Gymnasiasten rät Porsche, an sich selbst zu glauben. "Wenn es auf dem geraden Weg nicht geht, müsst ihr halt Umwege gehen." Jeder müsse ohne schlechtes Gewissen noch in den Spiegel schauen können, sagt Achleitner. Ex-Bundesaußenminister Fischer rief die Schüler auf, die europäischen Grundwerte zu verteidigen und zu erhalten. "Das ist eure Aufgabe." Das Brexit-Referendum habe gezeigt, dass jede Stimme zähle.

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SZ vom 02.07.2019
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