Süddeutsche Zeitung

Hilfe für Scheidungskinder:Zwischen Trauer, Wut und Verlustangst

Die Ökumenische Erziehungsberatungsstelle im Landkreis hilft sieben- bis zehnjährigen Kindern, die Trennung der Eltern in Gruppentreffen zu verarbeiten. Nach den Corona-Lockdowns besteht großer Nachholbedarf.

Von Klaus Schieder

Am Ende des Treffens geht es laut und fröhlich zu. Die vier Mädchen und drei Jungen im Grundschulalter beteiligen sich feuereifrig an dem Kreisspiel im Keller des Tölzer Jugendcafés. Alle sitzen auf kleinen Kindergartenstühlen im Rund, daneben liegen Teddybären und Mappen mit Malbildern auf dem Boden, alle schauen immer wieder hoch zu Christian Hoffmann und Jessica Rusch, die diverse Gesten vorgeben. Es ist ein guter Spätnachmittag für den Diplom-Pädagogen und die Sozialarbeiterin, die Atmosphäre ist entspannt unter den Kindern, die eine leidvolle Erfahrung gemeinsam haben: Ihre Eltern wurden in der Corona-Pandemie geschieden oder befinden sich gerade in Trennung. In den Gruppentreffen der Ökumenischen Erziehungsberatungsstelle sollen die Sieben- bis Zehnjährigen erfahren, dass sie mit ihren Ängsten und Sorgen nicht alleine sind.

An der Wand hängt ein großes Plakat, das die Überschrift "Stimmungsbarometer" trägt. Alle Kinder können bei ihrer Ankunft auf einer Skala von 1 bis 10 eintragen, wie ihre Laune ist. Das Gleiche geschieht dann auch nach der Gruppenstunde. An diesem sonnigen Juli-Nachmittag ist alles bestens, die meisten tragen ihre Stimmungswerte bei 8, 9 oder gar 10 ein. Das ist freilich nicht immer so. Manchmal ist es auch eine 1, eine 5 oder 6, weil es in der Schule nicht so gut lief, weil Mama und Papa mal wieder heftig gestritten haben. Das Thema Scheidung sei immer schwierig für Kinder, sagt Hoffmann. "Da ist viel Belastendes dabei, und wir versuchen, dies durchs Spiel aufzulockern."

Die Corona-Pandemie hat die Lage für Scheidungskinder noch zugespitzt. Früher konnten sie sich vom versöhnungslosen Zank der Eltern zumindest ein wenig erholen, wenn sie sich mit Schulfreundinnen oder -freunden zu Sport und Spiel trafen. Aber in den Lockdowns fielen selbst diese Auszeiten von Zuhause weg. Auch die Ökumenische Erziehungsberatungsstelle musste ihre Gruppentreffen canceln. Jetzt sei ja wieder Schule, meint Hoffmann. "Aber wir haben schon gemerkt, dass ein Nachholbedarf im Zusammensein und beim Spielen bestand. Nun ist es so, dass die Trennung der Eltern als beherrschendes Thema auch mal in den Hintergrund rückt."

Trotzdem schwingt es immer mit, mal stärker, mal schwächer. Und so mannigfaltig die Scheidungsgeschichten sind, so individuell gehen auch die Kinder damit um. "Manche erzählen frei und offen darüber, andere sind zurückhaltend, manche muss man beim Erzählen bremsen, andere dazu bringen", berichtet Hoffmann. Oftmals sind finanzielle Probleme oder ein neuer Partner der Grund für das Zerwürfnis der Eltern, was die Kleinen zwar mitbekommen, aber nicht immer vollends verstehen. Hoffmann berichtet von einem Jungen, der in Männermanier sagte, dass er jetzt viel harte Arbeit habe. Er müsse nämlich daran arbeiten, dass Papa und Mama wieder zusammen kommen. Andere Kinder befürchteten, sie dürften Oma und Opa nicht mehr sehen, müssten umziehen und sich neue Freunde suchen. Die meisten, so der Diplom-Pädagoge, wüssten ja durchaus, wie es um die Ehe, respektive die Partnerschaft der Eltern bestellt sei. Bei einem Ampel-Spiel mit roten und grünen Karten zeigten fast alle auf die Frage, ob sich Vater und Mutter denn wieder versöhnen werden, die rote Karte.

Zu den Zielen des Gruppentreffens gehört es, über Gefühle und Wünsche mit den kleinen Teilnehmenden zu reden, ihr Selbstwertgefühl zu stärken, Vertrauen aufzubauen, Akzeptanz und Toleranz zu fördern, andere Formen von Familie aufzuzeigen, die seelische Belastung zu reduzieren. Die kann oftmals groß sein, wie Sozialarbeiterin Rusch berichtet. Ein Ausdruck davon sind beispielsweise das Einnässen oder andere psychosomatische Beschwerden. "Darauf sollten Eltern achten", sagt sie. In der Schule nähmen sich Scheidungs- und Trennungskinder nicht selten als Außenseiter war, weil sie sehen, dass bei anderen in der Familie alles normal läuft. In der Gruppe können sie über ihre Wut oder ihre Traurigkeit sprechen, auch mal in ein Kissen boxen. Und sie lernen, dass andere Kinder die gleichen Probleme haben.

Und die Eltern? Denen bietet die Ökumenische Erziehungsberatungsstelle ebenfalls Hilfe an, zum Beispiel mit Elternabenden oder mit dem Kurs "Kinder im Blick", bei dem sie unter anderem lernen, wie man weiterhin eine gute Beziehung zu seinem Nachwuchs pflegen kann. Die Gruppentreffen für die Grundschulkinder finden zehn Mal mittwochs von 16 bis 18 Uhr statt. Die nächste Runde startet am 21. September. Je nachdem, woher die meisten Mädchen und Jungen kommen, wird der Kurs im Tölzer Jugendcafé an der Hindenburgstraße oder in der Kita "Die Buntstifte", Adalbert-Stifter-Straße 56 in Geretsried, abgehalten. Die Teilnahme kostet einmalig 15 Euro fürs Material, hinzu kommen zehn Euro bei Geschwisterkindern. Eine Anmeldung ist unter Telefon 08041/793 161 30, oder per E-Mail an ebtoelz@caritasmuenchen.de möglich.

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