Wenn Familien zerbrechen:„Wunden können geschlossen werden“

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Bei einer Trennung der Eltern will die Ökumenische Beratungsstelle den Kindern eine Stimme geben.
Bei einer Trennung der Eltern will die Ökumenische Beratungsstelle den Kindern eine Stimme geben. (Foto: Ute Grabowsky/photothek.net/imago/photothek)

Trennungen stellen Eltern und Kinder vor besondere Herausforderungen. Die Ökumenische Beratungsstelle in Bad Tölz unterstützt sie dabei, den oftmals schwierigen Prozess zu meistern.

Von Paul Schäufele, Bad Tölz

Aber das Reh hat nun einmal auch den Löwen und die Eselin in sich. Was zoologisch nicht ganz aufgeht, hat in der Familienberatung wachsende Bedeutung. Die Tierfiguren machen Konstellationen anschaulich und geben die Möglichkeit, kindgerecht Positionen zu verdeutlichen, wenn es um die Trennung der Eltern geht. Wie sieht das Kind sich selbst? Wie sieht es die Familiensituation? Die vom Psychologen Alfons Aichinger entwickelte Methode bereichert nun auch die Arbeit der Ökumenischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Bad Tölz.

Wenn Verletzungen und unlösbare Konflikte den Alltag eines Paares bestimmen und konstruktive Kommunikation nicht mehr möglich ist, dann ist die Trennung oftmals der schmerzhafte, aber richtige Weg. Zumal in Familien, die Kinder haben, ist das so. Denn ständiger Streit zuhause gefährdet die kindliche Psyche, da sind sich die Experten einig. „Es ist keine gute Idee, nur wegen der Kinder zusammenzubleiben“, sagt Eva Burchard. „Im besten Fall geht es nach einer Trennung allen besser.“ Die Psychologin und Systemische Familientherapeutin ist Teil des siebenköpfigen Teams in Bad Tölz, das familiäre Trennungsprozesse in allen Varianten begleitet – nur mit einem Elternteil, mit beiden Eltern, oder auch nur mit dem Kind. Es gehe darum, einen Umgang mit der neuen Situation zu finden.

Eine neue Aufstellungsmethode mit Holzfiguren lassen Eva Dietl, David Loetzner und Eva Burchard (v.l.) von der Ökumenischen Beratungsstelle in ihre Arbeit einfließen.
Eine neue Aufstellungsmethode mit Holzfiguren lassen Eva Dietl, David Loetzner und Eva Burchard (v.l.) von der Ökumenischen Beratungsstelle in ihre Arbeit einfließen. (Foto: Harry Wolfsbauer/Harry Wolfsbauer)

Ein Beispiel führt David Loetzner an, der die Beratungsstelle als Sozialarbeiter ergänzt – als „Mädchen für alles“, wie er sagt. In Trennungsfamilien sei der Moment, in dem das Kind nach einem Wochenende beim Papa zur Mutter zurückkehrt, einer der wenigen Momente, in denen noch Kommunikation zwischen den Eltern stattfinde. „Da wird dann zum Beispiel der Jahresurlaub in einem Nebensatz abgehandelt“, sagt Loetzner. Die Folge seien Konflikte, die vor dem Kind ausgetragen werden. „Wir begleiten die Eltern, damit sie wieder handlungsfähig werden“, sagt Loetzner. „Wir helfen, dass die Eltern ein Team werden“, stimmt Eva Burchard zu.

Dabei sei es ebenso wichtig, auf die betroffenen Kinder zu hören. „Wie kann man Kindern eine Stimme geben?“, fragt Erzieherin und Sozialpädagogin Eva Dietl. Eine Möglichkeit ist, die Familienkonstellation mit Tieren darzustellen. Das Kind darf sich dabei eine Holzfigur aussuchen, mit der es sich selbst identifiziert – das Reh. Die Eltern könnten repräsentiert werden durch die Eselin (Mutter) und den Löwen (Vater). Schon dieser Schritt sei für die Eltern aufschlussreich. „Die Eltern übersehen häufig, dass Kinder beide Teile in sich haben“, sagt David Loetzner. Sind die Kinder Konflikten ausgesetzt, in denen ein Elternteil das andere mit Schuldvorwürfen überzieht oder sich im Gespräch mit der besten Freundin über den (Ex-)Partner auslasse, werte es damit auch die Hälfte des Kindes ab. Das Kind fühlt sich wie zerrieben zwischen den Elternteilen. Eine eigentlich positive Erfahrung wie ein Kindergeburtstag könne so zur Belastung für das Kind werden. Allein die Frage, wo dieser zu feiern sei: „So eine Frage ist zu groß für ein Kind“, sagt Loetzner.

„Kinder können Trennungen gut verkraften, wenn sie begleitet werden“

Diese belastenden Situationen können in der Tier-Aufstellung nach Aichinger zum Beispiel durch das Nilpferd illustriert werden, das bedrohlich das Maul aufreißt und eines der Kinder-Tiere verdeckt. „Man zeigt damit, wie die Eltern den Alltag gestalten können, dass alle Anteile dabei sind“, sagt Eva Burchard. Man gebe den Kindern damit auch die Möglichkeit, eigene Bedürfnisse zu formulieren, die sie im Fall einer Trennung der Eltern oft zu unrecht hintanstellen. „Kinder können Trennungen gut verkraften, wenn sie begleitet werden“, betont sie. „Wunden können geschlossen werden. Es bleibt eine kleine Narbe, aber das Kind kann gesund aufwachsen“, so Loetzner.

Die Wege zur Beratungsstelle sind vielfältig. Das Jugendamt oder die Schulsozialarbeiter können den Familien eine Beratung nahelegen, auch Anwälte oder andere Institutionen verweisen auf das kostenlose Angebot. „Manche Eltern kommen auch schon vor der Trennung und fragen: Was müssen wir beachten? Das ist natürlich am besten“, sagt Burchard. Auch Jugendliche kommen aus eigener Initiative, natürlich ohne die Eltern informieren zu müssen. „Wir sind eine neutrale Stelle, hier kann man alles sagen“, betont Eva Dietl.

Die Wartezeiten sind mit wenigen Wochen moderat, wobei die Beratungsstelle dringenden Fällen Vorrang einräumt. Doch die Beratungsstelle mit den drei Standorten in Bad Tölz, Geretsried und Kochel sei voll ausgelastet, darin sind sich die drei Mitarbeiter einig. Im vergangenen Jahr sind 615 Familien beraten worden, und die Fallzahlen nehmen seit Jahren beständig zu. Eva Burchard fasst es so zusammen: „Die Fälle werden komplexer, aber auch die Bereitschaft, das Angebot anzunehmen, nimmt zu.“

Anmeldungen nimmt die Ökumenische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche per Telefon unter 08041/79316130 oder per Mail an eb-toelz@caritasmuenchen.org entgegen. Weitere Informationen und Anmeldung zur Online-Beratung unter www.caritas-erziehungsberatungsstelle-bad-toelz.de.

 

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