Auch der "Späte Strauss im frühen Mai", so der Untertitel zum Auftaktkonzert der "Schäftlarner Konzerte" am Samstag in der Klosterkirche, ist ein ganz typischer Richard Strauss. An seiner Tonsprache und vor allem an den vielen Selbstzitaten ist der zum Zeitpunkt der Komposition mehr als 80-jährige Tonschöpfer sofort festzumachen. Am Lächeln bei den Zuhörern wie bei den Musikern in Schäftlarn sieht man immer wieder, wenn sie ihn wiedererkennen. Der Rosenkavalier, Ariadne und viele weitere, besonders im letzten Satz auch Till Eulenspiegel, lassen deutlich grüßen. Giorgi Gvantseladze, der georgische Solo-Oboist des Münchner Staatsorchesters, muss sofort zeigen, was Sache ist. Seine schier unendliche Melodie gilt als "längste Oboenkantilene der Welt" und geht nur mit einer speziellen Bläser-Atemtechnik: Zirkularatmung ist eine Art Entkopplung des Einatmens vom gleichzeitigen kontinuierlichen Blasen, der Solist braucht scheinbar gar nicht mehr Luft zu holen.
Ein glühendes Meisterwerk
Er wird anfangs durch ganz kurze Einwürfe untermalt, dann von der Klarinette mit schwelgerischem, trotzdem dezentem Dudeln sekundiert, bis schließlich das ganze übrige Orchester in den unwiderstehlichen Bläserjubel einfach einfallen muss. Ob sich der amerikanische Soldat wohl so etwas Hinreißendes vorstellen konnte, der unmittelbar nach Ende des Kriegs in das Haus in Garmisch kam, um den verehrten Komponisten zu schützen und um ihn respektvoll nach einem Oboenkonzert zu fragen? Denn das war im Zivilleben sein Instrument. Strauss griff die Bitte auf, und was für ein glühendes Meisterwerk ist daraus geworden.
Vom nachdenklicheren zweiten Satz leitet eine erste Solokadenz, ungewohnt mit wiederholten Pizzicato-Einwürfen gewürzt, zum durchweg beschwingten Finalsatz über. In dem macht nicht nur eine weitere kurze Kadenz noch einmal klar, wer hier bei allem virtuosen Orchesterglanz unbestritten Chef im Ring ist: die Oboe. Gvantseladze, der nach Abschluss und ersten Erfahrungen schon als Solo-Oboist in Tiflis dann in München und Salzburg weiterstudierte und Wettbewerbserfolge feierte, begeisterte in Schäftlarn mit seinem leuchtend warmen Ton.
Ein Ohrwurm von Bach
Davor hatte der Dirigent und musikalische Leiter der Reihe, Michael Forster, einen regelrechten Ohrwurm von Johann Sebastian Bach aufs Programm gesetzt, den die neun Solo-Streicher - plus Kontrabass und Cembalo als Continuo - aus dem Orchester ohne ihn am Pult bestritten. Das dritte Brandenburgische Konzert (BWV 1048) ist eines von zwei homogenen Streicherkonzerten. Formal hat es zwar drei Sätze. Der zweite allerdings besteht nur aus zwei, drei Akkorden, in denen das sonst im riesigen Kirchenraum leider fast unhörbare Cembalo sich endlich einmal deutlich bemerkbar machen durfte. Diese wenigen Takte leiten vom betont rhythmischen ersten zum letzten Satz über, in ein swingendes Perpetuum-Mobile-Feuerwerk. Da war schiere Musizierfreude, sie passte perfekt zum hübschen Logo der Konzertreihe, dem hingegebenen Lauten-Putto. Allerdings sucht man die Figur in der reich ausgestalteten Kirche vergeblich. Das musikalische Engelchen steht im Kloster Rottenbuch, aber die Schäftlarner dürfen sein Bild nutzen.
Michael Forster schätzt Joseph Haydn ganz besonders, und diese Liebe überträgt sich unmittelbar auf die Musiker, wie immer Instrumentalisten aus den großen Münchner Orchestern, die sich als "Orchester der Schäftlarner Konzerte" zusammenfinden. Die Sinfonie Nr. 88 in G-Dur komponierte Haydn noch gegen Ende seiner fast 30 Jahre im Dienst des Fürsten Esterházy. Doch zu der Zeit konnte er schon regelmäßig auch Werke für andere Auftraggeber schreiben. Um die Druckrechte an dieser Sinfonie Nr. 88 (und ihrem Schwesterwerk Nr. 89) gab es zwar komplizierte Querelen, der sofortigen Beliebtheit der G-Dur-Sinfonie vom Erscheinen bis heute tat das aber keinen Abbruch.
Witzig-spritzig und immer geistvoll
Die Nachdenklichkeit der Adagio-Einleitung weicht schnell dem schwungvollen Allegro-Hauptthema mit seiner charakteristischen Wiederholung von drei Tönen. Sie prägen den gesamten Satz in vielfach variierter Form. Die Dynamik-Anweisung Largo des zweiten Satzes nimmt Forster sehr wörtlich, und der Musik bekommt dieses breite Maß wegen der Kirchenakustik mit ihrem langen Nachhall richtig gut. Im späteren Verlauf des Largo treten die sprichwörtlichen Pauken und Trompeten dazu und verstärken die feierliche Stimmung - ein Novum bei Haydn in einem langsamen Sinfoniesatz. Zum kräftigen, eher ein wenig bäuerlichen Menuett passen die "leeren" Bordun-Klänge des Trio-Abschnitts, sie wirken besonders folkloristisch. Geradezu ausgelassen endet die Sinfonie mit einem federleichten Allegro con spirito, das die Musiker witzig-spritzig und immer geistvoll hinfetzen. Wie so oft unterläuft Haydn die regelmäßigen Strukturen immer wieder durch irritierende rhythmische Überraschungsmomente.
Vor Beginn des Konzerts begrüßte Abt Petrus Höhensteiger - übrigens bekennender Fan von klassischer Musik wie von Heavy Metal - in der wieder fast voll besetzten Klosterkirche die Künstler und Besucher zur 56. Ausgabe der Schäftlarner Konzerte. Das Motto vom "Strauss im frühen Mai" übertrug er auf den reichen Blütenstrauß von Melodien, der die Besucher der beliebten Konzertreihe erwarten sollte. Und er wies auf ein wichtiges Bestehen hin: Den seit seiner Gründung unentbehrlichen Förderkreis gibt es heuer seit 25 Jahren. Möge sich der damit verbundene äbtliche Glückwunsch für alle erfüllen: "Ad multos annos!"