Süddeutsche Zeitung

Schäftlarner Geschichte:Wellness hinter heiligen Mauern

Im Kloster Schäftlarn wurde fast das gesamte 19. Jahrhundert lang eine Heilbadeanstalt betrieben. Kurgäste schätzten die Quelle und das Bier

Von Anja Brandstäter, Schäftlarn

Das beschauliche Ordensleben im Kloster Schäftlarn fand 1803 durch die Säkularisierung ein jähes Ende. Als der Papierfabrikant Johann Michael von Pachner aus München das Kloster erwarb, machte er sich die alkalischen Mineralquellen zunutze und eröffnete 1807 im Kloster eine Heilbadeanstalt. Die Quellen entsprangen dem Berg oberhalb des Pfarrhofs. Der Naturforscher und Arzt Johann Baptist Graf hatte das Mineralwasser 1805 analysiert und war zu positiven Ergebnissen gekommen.

In der Chronik der Gemeinde Schäftlarn ist zu lesen: "Das Gebäude, nun für Badegäste ausgestattet, eröffnet einen erheiternden Ausblick über frische Wiesen auf die Isar hin. Reinliche Zimmer, ein schöner Gemeinsaal stimmen das Gemüt zum Frohsinn um und laden freundlich zum Genuße ländlicher und gesellschaftlicher Freuden ein." Das Bad befand sich ursprünglich auf zwei Etagen der Nordseite des heutigen Klostergebäudes. Zwar erfuhr das Kloster einen regen Besitzerwechsel - das Immobiliengeschäft war schon damals eine lukrative Angelegenheit; die Heilbadeanstalt erfreute sich jedoch eines beständigen Zuspruchs. Georg Hagn führte sie von 1825 bis 1845. Er ließ über der Reserve der Heilquelle am Ebenhauser Fußweg die "Altöttinger-Kapelle" (heute "Waldkapelle") bauen und an den Spazierwegen Ruhebänke für seine Badegäste aufstellen. Im Sommer 1837 verbesserte sich die Anbindung nach München. Mehrmals täglich fuhren Kutschen nach Schäftlarn und zurück.

Mehr als 300 Badegäste unterzogen sich jährlich einer "vollständigen Bade- und Trinkkur". Das Wasser half ihnen angeblich bei Verschleimungen der Brust und des Unterleibs, bei Schwäche nach schweren Krankheiten oder Geburten ("hier ist besonders auch der Gebrauch der in Schäftlarn trefflich bereiteten Kräutermolke mit der Trinkkur zu verbinden"), bei Rheumatismus, Magenkrämpfen, Hysterie, Hypochondrie, Verdauungsschwäche, Magenkrampf, Hämorrhoiden, Gicht, Sand und Gries, Drüsenverhärtung, Beinfraß, Hautausschlägen und Flechten.

Der Chronist Johannes Gistel, der 1837 in Schäftlarn zu Gast war, hat eine genaue Schilderung der Heilbadeanstalt hinterlassen. Darin heißt es: "Das gegenwärtige Bad hat in seinen zwei Etagen hohe, lange und breite Gänge, schöne, sonnige, hohe Zimmer und drei herrliche Säle." Die Küche, in der sich ein laufender Brunnen befand, versorgte bis zu 100 Personen. Der Speisesaal war "so einladend, dass man darin wohl immer essen und tanzen möchte". Für musisch begabte Gäste stand sogar ein guter Flügel zur Verfügung. Ein Mittagessen an der allgemeinen Tafel kostete 36 Kreuzer, im Zimmer 48 Kreuzer, für ein Abendessen zahlte man 15 Kreuzer und für eine Tasse Kaffee mit Brot 8 Kreuzer. "Der Wein kann hier so gut, wie in München getrunken werden; Champagner, Malaga, Franken- und Rheinwein füllt die Keller und wird billig gegeben." Die Kurgäste lobten das Schäftlarner Bier, denn es enthielt Wasser aus der Anna-Quelle und war eine der gesündesten und besten Sorten weit und breit.

Auch über die Ausstattung der Zimmer gibt Gistel Auskunft. Demnach waren sie mit einem Spiegel, einer Kommode, einem Kanapée, zwei Stühlen, einem Stiefelknecht und einem guten Matratzenbett mit Plumeau eingerichtet. In manchen gab es hölzerne Badewannen, die an die Wasserleitungen angeschlossen waren. Zum Zeitvertreib standen ein Kiosk, eine Kegelbahn und ein Billard-Tisch im ersten Stock zur Verfügung. Ansonsten erfreuten sich die Kurgäste an der frischen Luft und an der herrlichen Natur. Zudem konnten sie eine Branntweinbrennerei, die Brauerei und eine Fayencefabrik besuchen. Der damalige Weiler Schäftlarn bestand aus dem Klostergebäude, dem Pfarrhaus, sieben weiteren Häusern, drei Mühlen sowie einer Ziegelhütte und gehörte zum Landgericht Wolfratshausen.

Auch die Englischen Fräulein, die das Klostergebäude samt dem Bad 1845 erwarben, führten dieses fort. 1866 übergaben sie es ihren Nachfolgern, den Benediktinern. Badegäste waren fortan hauptsächlich geistliche Herren aus München. Nachdem 1867 die Lehranstalt und das Erziehungsinstitut wieder ihren Betrieb aufnahmen, wuchs die Zahl der Zöglinge jährlich, die Räume wurden knapp. Etwa 20 Jahre später wurde das Bad geschlossen.

Alle Bewohner der Siedlung versorgten sich noch bis in die 1990er Jahre mit dem Quellwasser. Dann wurde Schäftlarn an die örtliche Wasserversorgung angeschlossen.

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SZ vom 24.12.2020
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