Süddeutsche Zeitung

Schäftlarn:Unterm Rad

Der Bürgermeister zensiert ein Kunstwerk: Warum viele Schäftlarner den Anblick der Rotoren nicht ertragen.

Von Ingrid Hügenell, Schäftlarn

Die Wand im Schäftlarner Rathaus ist leer. Wo für kurze Zeit eine Foto-Collage hing, die ein Windrad als Gänseblümchen zeigte, hängen noch die Nylonaufhängung und das Schildchen mit dem Namen des Künstlers und dem Titel des Bildes: "Zeit, dass sich was dreht". Das Werk hat die Frau des Künstlers am vorigen Freitag abgeholt. Bürgermeister Matthias Ruhdorfer (CSU) hatte es abnehmen lassen, weil es seiner Ansicht nach die Gefühle der Menschen zu sehr verletze.

In Neufahrn hängen an vielen Häusern und Zäunen Plakate. Sie zeigen, wovor die Menschen in dem Schäftlarner Ortsteil Angst haben: Vor den Windrädern, vor Infraschall, Schlagschatten und Wertverlust ihrer Häuser. Sie zeigen auch, wen sie dafür verantwortlich machen: Rupert Monn, den Bürgermeister von Berg, Robert Sing, den Geschäftsführer der Bürgerkraft Berg VerwaltungsGmbH, Landrat Karl Roth und Kreisbaumeister Christian Kühnel aus Sternberg. Monn und Roth sind auf einem Poster fast ohne Beine zu sehen, darunter steht: "Lügen haben kurze Beine."

Von der Zensur des Bürgermeisters haben die meisten Schäftlarner am Dienstag noch gar nichts mitbekommen. Nur eine Frau, die in Hohenschäftlarn Besorgungen macht, regt sich darüber auf. "Zensur, das haben wir schon mal gehabt, das können wir nicht wieder brauchen", sagt sie. Von der DDR habe man mitbekommen, was da gelaufen sei. Zu den Windrädern haben alle eine Meinung, die meisten eine negative, und jeder weiß, von wo aus sie zu sehen sind: von der Terrasse oder aus dem Küchenfenster. Manche sehen sie gar nicht, weil Bäume oder ein bewaldeter Hügel im Weg sind. Am besten sieht man sie von der Autobahn A95 aus.

Ein 82-Jähriger, der ursprünglich aus dem Raum Hannover stammt und wie die meisten Passanten nicht mit dem Namen in der Zeitung stehen will, wird wegen der Windräder auf die andere Seeseite ziehen. Seit 30 Jahren lebe er in Neufahrn, aber nun werde das Dorf kaputt gemacht. Die Berger Windräder hätten nur eine Alibifunktion für Bayern, schimpft er, damit man anderen Bundesländern zeigen könne, dass man auch was mache. Und dabei seien die Dächer voller Solaranlagen, und genügend Wind wehe in den Wadlhauser Gräben auch nicht.

Außerhalb Neufahrns gibt es durchaus andere Meinungen, wie die der Frau, die gegen die Zensur des Gänseblümchen-Windrads ist. Windräder seien ihr immer noch lieber als ein Atomkraftwerk, sagt sie, und da niemand wirklich Energie spare, müsse die ja irgendwo herkommen. "Einen Tod müssen wir sterben." Ein Ebenhauser sagt, er finde den ganzen emotionalen Streit lächerlich, und es wäre doch besser, wenn jetzt wieder Ruhe einkehren würde. Doch danach sieht es derzeit nicht aus.

Den Neufahrnern, so empfinden es viele, ist durch die Windräder ein tiefes Unrecht zugefügt worden, und dafür haben viele auch in den anderen Ortsteilen Verständnis. "Ich finde es frustrierend, dass nicht beachtet wird, was der Bürger will", sagt eine Hohenschäftlarnerin, und in ihrem Bekanntenkreis sähen das alle so. Die Art und Weise, wie die Windräder geplant und aufgestellt worden seien, sei schon ärgerlich, sagt eine andere. Denn der Landkreis Starnberg und die Gemeinde Berg haben die Windräder ja in den äußersten Zipfel ihres Gebiets gestellt, und die Schäftlarner mussten zuschauen, aller Protest und alle juristischen Schritte halfen nichts.

"Wie soll es denn da ruhiger werden?", fragt eine 60-jährige Neufahrnerin hilflos. "Wir wissen ja gar nichts." Nicht, wie es mit der Geräuschkulisse weiter geht, und nicht, ob nicht viele Neufahrner auch finanzielle Einbußen haben werden.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2015
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