Süddeutsche Zeitung

Zäsur im Schäftlarner Gemeinderat:Karl-Otto Saur geht

Der ehemalige SZ-Redakteur gibt sein Amt ab. Rund drei Jahre war er Mitglied des Gremiums, dabei hatte er anfangs gar nicht gewollt.

Von Marie Heßlinger

Karl-Otto Saur nimmt, wie immer, gleich den Hörer ab. Es gehe ihm gut, sagt er. "Ich hab' das Ganze besser als erwartet überstanden." Der 78-Jährige hat kürzlich einen Schlaganfall erlitten und wird sein Amt als Gemeinderat deshalb niederlegen. Damit legt der "Impresario" Schäftlarns auch seine letzte öffentliche Rolle nieder.

Ein paar Wochen zuvor. Karl-Otto Saur sitzt hinter dem Schreibtisch in seinem Büro in Ebenhausen, die Hände über dem Bauch gefaltet. Ihm gegenüber, im knautschigen Besuchersessel, sitzt man niedriger als er, versinkt förmlich darin, während Saur Anekdoten erzählt. Seine Stimme klingt heiser, nasal, doch sein Blick ist wach, die Augen blitzen. Irgendwann klingelt das Telefon. Saur nimmt ab, grinst und scherzt, und legt nach einem kurzen Gespräch ganz unvermittelt auf. "Das war mein Sohn", sagt er.

Karl-Otto Saur war 21, als er heiratete, und 24, als er bereits drei Kinder hatte. "Mit 21 zu heiraten hieß, wir wollten beide aus dem Elternhaus raus", sagt er. Er hatte damals gemeinsam mit seinem Bruder den Verlag des Vaters, der Literaturnachweise für technische Neuerscheinungen herausgab, übernommen. Doch schon nach zwei Jahren verkaufte er seinen Anteil an den Bruder, der den Verlag zum Wachsen brachte. "Er ist sicher der Tüchtigste von uns gewesen und auch der Erfolgreichste", sagt Saur, der noch drei Schwestern hat, "aber nur, wenn man es auf den reinen Erwerb reduziert."

Saur besuchte anschließend die Deutsche Journalistenschule in München. Mit dem Erlös aus seinem Verlagsanteil finanzierte er währenddessen den Unterhalt seiner Familie. "Dann war mein Geld auch weg." Er wurde Redakteur der Süddeutschen Zeitung, zunächst im Lokalteil München, später als Leiter der Medienseite. "Ich behaupte, Glück gehabt zu haben. Weil ich war gerne Journalist", sagt Saur. Er sagt das oft: "Ich behaupte." Er fügt hinzu: "Auch dieser Leichtsinn, drei Kinder zu zeugen, darüber behaupte ich bis heute: Etwas Besseres ist mir nicht passiert."

Vor mehr als 20 Jahren kaufte Saur zusammen mit seiner Frau, seiner Tochter und deren Familie eine Villa in Ebenhausen-Schäftlarn. Seine Tochter war es, die, als sie das Kellergewölbe mit der Bar erblickte, sagte: "Da musst du was draus machen!" Und Karl-Otto Saur machte was draus. Im "Mariandl" genannten Kellergewölbe veranstaltete er regelmäßige "Kultur-im-Keller-Abende", zu denen zahlreiche Filmschaffende und Interessierte kamen. Aus seiner Zeit als Leiter der Medienseite kannte Saur einige Regisseurinnen und Schauspieler. Zu Beginn sei die technische Ausstattung nicht die beste gewesen. "Da kommt nie wieder jemand zu uns", fürchtete Saurs Tochter nach dem ersten Abend. Doch es kam anders.

Saurs Keller im Rodelweg wurde in den folgenden Jahren zum Treffpunkt für Künstlerinnen und Intellektuelle. Erst im Januar 2018 gab Saur bekannt, seine Kellerbar zu schließen. Er werde nun 74 Jahre alt, sagte er damals, "man soll sich als Alter nicht für unentbehrlich halten." In der Gemeinde aber hielt ihn mindestens einer für unentbehrlich.

"Sehr witzig", erinnert sich Saur gesagt zu haben, als Hans-Jürgen Heinrich, damals Vorsitzender und einziger Gemeinderat der örtlichen SPD, ihn fragte, ob er sich für die Kommunalwahl aufstellen lassen wolle. "Ich hatte grundsätzlich keine Lust, in den Gemeinderat zu gehen", erzählt er. Saurs Antwort: "Sie können mich sehr gerne aufstellen, aber nur auf den vorletzten Platz." Denn auf den letzten Platz, fürchtete er, würden Mitleidsstimmen entfallen. Sein Kalkül ging nicht auf. "Ich bin auf Platz zwei vorgerutscht", sagt Saur. Als Heinrich im Juni 2018 starb, rückte er im Gemeinderat und kurz darauf auch als Vorsitzender des SPD-Ortsvereins nach. Als ein Jahr später wieder Wahlen anstanden, ließ er sich auf Listenplatz 1 setzen - aus Höflichkeit. "Das sieht arrogant aus, dann nicht mehr weiterzumachen."

Mehr als zwei Jahre lang ist Saur Mitglied im Gemeinderat. "Und ich habe es auch nicht bereut." Er fügt hinzu: "Manchmal ist es stinklangweilig. Aber es ist ganz ok." So ein Amt im Gemeinderat sei eine der wenigen Möglichkeiten, sich einbringen zu können. "Ich bin zwei- oder dreimal richtig ausgerastet", sagt Saur, "was man sich bei mir nur schwer vorstellen kann."

"Otto?", ruft seine Frau in diesem Moment aus einem Nebenraum. Saur lächelt. "Ja, ich komme!", ruft er und hebt den Zeigefinger. "Der Kaffee ist wichtiger!" Saurs Blick ist schelmisch. Er erhebt sich, schlurft aus dem Zimmer, den Rücken ein wenig vornübergebeugt, die Hose an seinem schmalen Körper lässig und weit. Mit einer Tasse Kaffee kommt Saur zurück. "Wo waren wir stehen geblieben?"

Wann er ausgerastet sei? Einmal wegen der Umgehungsstraße. Seit vielen Jahren diskutiert Schäftlarn schon darüber. "Ich fand schon seit Langem, dass die Ortsdurchfahrt eine Katastrophe ist", sagt Saur. In einer Sitzung habe die Diskussion darüber wieder von vorne angefangen. "Ich fand, dass es sachlich notwendig war, zu einer Lösung zu kommen." Etwas Nennenswertes ausgerichtet habe sein Ausraster jedoch nicht. Womöglich aber unterschätzt er seine Wirkung, die er auf den Gemeinderat hatte.

Saur verfolgte die öffentlichen Diskussionen des Gemeinderates oft stillschweigend. Manchmal vergaß er die Sitzungstermine, manchmal kam er zu spät. Und einmal, als seine Tochter beschloss, ihn aus einer besonders langen Sitzung abzuholen, entfuhr ihm bei ihrem Anblick im Gremium ein etwas zu lautes "Gott sei Dank!". Wenn Karl-Otto Saur jedoch das Wort im Gemeinderat ergriff, wurde es leise im Saal. Es war, als brächten ihm die übrigen Gemeinderäte, möglicherweise aufgrund seines Alters, seiner Position und seines Wesens, besonders viel Respekt entgegen.

Einmal, und darauf sei er stolz, sagt Saur, habe der Grünen-Gemeinderat Gerd Zattler ihn um Unterstützung gebeten: Er wollte eine Gedenktafel für die in Schäftlarn ermordeten Spartakisten anbringen lassen. Saur befürchtete eine Niederlage, doch es kam anders. "Zu meinem großen Erstaunen haben die anderen uns eine Mehrheit gegönnt."

Seinen Verdienst im Gemeinderat sieht Karl-Otto Saur jedoch in einer anderen Sache. "Ich halte mich für relativ schlagfertig und habe es sehr gerne, wenn man eine Sitzung auflockert. Manchmal mache ich blöde Bemerkungen. Ich achte aber sehr darauf, dass es nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben geht."

Am Tag des Gesprächs ist es inzwischen 18.20 Uhr. In zehn Minuten wird eine seiner letzten Gemeinderatssitzungen beginnen. "Gemeinderat?", fragt Saur hinter seinem Schreibtisch, und das Vergnügte weicht aus seinem Blick. Bevor er zu seiner Tochter ins Auto steigt, kann er trotz der Eile nicht widerstehen: "Die Zeit nehmen wir uns", sagt Karl-Otto Saur. Und knipst für einen kurzen Blick noch einmal das Licht im ehemaligen Kulturkeller an.

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