Es ist ein Raum voll Empathie bei der Lesung in der Buchhandlung Isartal in Ebenhausen, die nach Erzählung der Fluchtgeschichten von Ahmad, Roya und Daisy mit persönlichen Gesprächen zwischen ihnen und Besuchern enden wird. So wird das Motto des Sammelbands "Die Hoffnung im Gepäck" wahr: Wir reden nicht übereinander, sondern miteinander. Stolz werden Familienfotos präsentiert, auch von den mittlerweile gut integrierten Kindern. Ahmad, Daisy und Roya haben es gewagt, sich zu zeigen, weil sie anderen Geflüchteten helfen wollen.
Sophie von Lenthe, die engagierte Geschäftsführerin der Buchhandlung stellt die Gäste vor, die aus Syrien, Sierra Leone und Afghanistan stammen und aufgewühlt, aber beherrscht mit ihren Begleiterinnen von Refugio auf der Bühne sitzen - der Therapeutin Gisela Framheim, der Mitherausgeberin des Buches, Cornelia von Schelling, und Nicola Bardola, einem Vertreter des namhaften Autorenteams. Daniela Arnu, Journalistin beim Bayerischen Rundfunk, führt feinfühlig durch den Abend.
Ahmad wurde als junger Akteur gegen das Assad-Regime verhaftet und gefoltert. Während Freunde das Gefängnis nicht überlebten, kam er gegen Lösegeld frei, und sein langer Weg nach Deutschland begann mit der Flucht über Jordanien, die Türkei, Italien, bis nach Füssen im Allgäu. Ahmads zehn Geschwister sind verstreut, seine Mutter hat er seit fünf Jahren nicht gesehen. Sehnsucht hat er manchmal nach dem prächtigen Vaterhaus mit 20 Zimmern, heute eine zerbombte Ruine in einer ehemals fruchtbaren Gegend bei Daraa, voller Olivenbäume, Weintrauben und Granatapfelhainen.
Das Bild, das er zuletzt auf Facebook gepostet hat, erzählt mehr über die innere Verfassung des jungen schüchternen Studenten, als er auf der Bühne auszudrücken vermag. Darauf ist ein Kind zu sehen, das auf einem Hochseil einen Abgrund überquert; dazu der Text: "Ich gehe langsam, aber nie zurück!"
Daisys Geschichte schildert unvorstellbare Grausamkeiten gegen Mädchen. Wer Daisy mit ihrem Charisma und ihrer Lebensfreude beim Vorlesen ihrer Geschichte erlebt, wird es kaum für möglich halten, dass diese junge Frau, heute 30 Jahre alt, nach ihrem Martyrium strahlend verkünden kann: "Ich bin glücklich und dankbar. Ich bin die Chefin über meine Vergangenheit." Mit elf Jahren mit anderen Mädchen von Rebellen entführt, gefangen gehalten, geschlagen und missbraucht, kehrte sie nach vier Jahren in ihr Dorf zurück - als Geächtete. Die Nachfolge ihrer Mutter, einer geachteten Beschneiderin aus der einflussreichen Bondo Society, einer mafiösen Machtelite, wollte sie nicht antreten. Weil sie sich gegen die Tradition ihres Dorfes stellte, sollte sie sterben. Ein Jäger rettete die Gequälte und verhalf ihr und ihrem Sohn zur Flucht nach Guinea. Schließlich kamen beide mit Unterstützung einer rätselhaften deutschen Frau allein gestellt am Münchner Hauptbahnhof an. Dort fiel sie in die Hände eines weißen Zuhälters, der Daisy unter Morddrohungen in die Prostitution zwang, bevor sie wiederum nach Jahren, versehrt an Leib und Seele, bei Refugio Hilfe, Beratung und Therapie für ein eigenständiges Leben erfuhr.
Auch Roya musste erleben, als Frau wertlos zu sein. Die junge Studentin aus wohlhabendem, liberalem Elternhaus aus Kabul heiratete unwissentlich einen radikalen Taliban. Sein Familienclan versuchte sie mit Psychoterror und Schlägen zu brechen. Immer wieder vom Ehemann vergewaltigt, gebar sie bald eine Tochter, was dieser wutentbrannt verdammte: "Ein Mädchen? Wirf es weg!" Auch zwei Söhne besänftigten die Familie nicht. Als der Ehemann die Jungen entführte und sie den Praktiken der Taliban aussetzte, beschloss Roya mit ihrer Tochter die Flucht über dramatische Stationen: Pakistan, Russland, Deutschland. Die Söhne konnte sie dem Ehemann nach Jahren abkaufen, mit ihren drei Kindern und den beiden Kindern ihrer verstorbenen Schwester schlug sie sich als Asylsuchende über Jahre unter miserablen Bedingungen durch.
Die Zuhörer in der Buchhandlung Isartal sind tief betroffen und stellen ihre Fragen, auf die es aber kaum klare Antworten gibt: Wie kann es sein, dass eine bedrohte Frau wie Roya in ihrer Heimat Afghanistan vom Ehemann und dessen Familie mit einer Formel nach islamischem Recht verstoßen werden kann und dann von ihrem Exmann, der sie nach Deutschland verfolgte, nochmals nach deutschem Recht geschieden werden muss? Warum muss sie in Bayern mit fünf Kindern über Jahre in einem Zimmer hausen? Was genau hat das Assad-Regime in Syrien Ahmad vorgeworfen, und welcher Schutz wird seiner Familie geboten? Warum hat man Daisy und ihr Kind allein auf dem Münchner Bahnhof stehen lassen und sie Zuhältern ausgeliefert, nach alldem, was sie in Sierra Leone erleben musste?
Diese drei und andere erschütternde Fluchtgeschichten sind im Sammelband von namhaften Autoren, Refugio-Mitarbeitern, und dem Verlag ehrenamtlich dokumentiert und produziert. Ein Teil des Erlöses geht an den Förderverein und trägt vielleicht dazu bei, dass Refugio ein paar Menschen mehr retten kann als bisher, da die Mehrheit abgewiesen werden muss, wie die Therapeutin Gisela Framheim bedauert. Refugio, erklärt sie den fassungslosen Zuhörern, sei das einzige Beratungs-und Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge und Folteropfer "von München bis an die tschechische Grenze".