Süddeutsche Zeitung

Schäftlarn:Aus der Luft gefischt

Die Wasserstiftung hat in Marokko einen "Cloud-Fisher" errichtet. Die Anlage gewinnt Trinkwasser aus dem Nebel

Von Benjamin Engel, Schäftlarn

Längere Trockenperioden prägen den Alltag der marokkanischen Bevölkerung rund um den Berg Boutmezguida im Antiatlas-Gebirge. Es regnet äußerst selten. In Dürreperioden trocknen die öffentlichen Brunnen aus. Die Bewohner müssen Wasser entweder teuer einkaufen oder von weit her holen. Doch oft ist der rund 1200 Meter hohe Berg - nur rund 30 Kilometer von der Küstenstadt Sidi Ifni am Atlantik - in Nebel gehüllt. Die Wasserstiftung mit Sitz in Ebenhausen hat sich die günstigen meteorologischen Verhältnisse zunutze gemacht und eine Testanlage errichtet, mit der sich aus dem Nebel Trinkwasser gewinnen lässt. Der sogenannte Cloud-Fisher fängt den Nebel in Netzkonstruktionen auf und hält Windgeschwindigkeiten von bis zu 120 Stundenkilometern stand.

Die Wasserstiftung kooperiert in Marokko eng mit der Stiftung Dar Si Hmad. "Die Zusammenarbeit ist hervorragend", sagt Ernst Frost, Vorstandsvorsitzender der Wasserstiftung. Die marokkanische Stiftung entwickelt Projekte, welche die Fähigkeiten und Kenntnisse der lokalen Bevölkerung hinsichtlich natürlicher Ressourcen und der Umwelt stärken sollen. Die Mitarbeiter halfen mit, den Aufbau der Pilot-Anlage vorzubereiten, wirkten bei der Montage mit und warten den Nebelfänger. Die Münchener Rück Stiftung und die Stadtwerke unterstützten das Projekt finanziell. Hinzu kam Geld privater Sponsoren. Wissenschaftler der Technischen Universität München (TU) begleiteten den Pilotversuch.

Nahe der Testanlage will die Wasserstiftung eine noch größere errichten. Damit sollen von 2016 an insgesamt 161 Familien und damit 897 Personen in fünf Dörfern mit Trinkwasser versorgt werden. Über ein 6,9 Kilometer langes Leitungssystem fließt es direkt in jeden Haushalt. "Das soll unser Referenzprojekt sein", sagt Frost. Der Standort eigne sich auch deshalb gut, weil er sich in militärischem Sperrgebiet befinde und so vor Zerstörung geschützt sei.

Mit dem Vorhaben hat die Wasserstiftung ein bereits bestehendes Projekt weiterentwickelt. Schon 2007 hatte sie Nebel-Kollektoren beim Ort Arborobue im ostafrikanischen Eritrea errichtet. Die zehn Nebelfänger mit einer jeweiligen Netzfläche von zehn mal vier Metern sammelten täglich bis zu 1700 Liter Wasser. Damit versorgten sieden Ort und eine Schule. Doch die Netze hielten den vorkommenden Windgeschwindigkeiten von bis zu 120 Stundenkilometern nicht stand und zerrissen. Heute funktioniere die Anlage in Arborobue nur noch in verkleinerter Form, sagt Frost.

Der Münchner Industriedesigner Peter Trautwein hat die Test-Anlage in Marokko für die Wasserstiftung entwickelt. Er hat die Fläche der einzelnen Module auf jeweils neun Quadratmeter verkleinert. So bieten sie dem Wind weniger Angriffsfläche. Alle Bauteilen halten auch starke Winde aus. Bei Böen mit mehr als 120 Stundenkilometern reißen lediglich die Gummiexpander, an denen die Netze befestigt sind. Die Stützkonstruktion bleibt unbeschädigt.

Die Testphase für den Cloud-Fisher in Marokko dauerte von November 2013 bis zu diesem Juni. Währenddessen waren TU-Wissenschaftler wiederholt an Ort und Stelle, nahmen Messungen vor und experimentierten mit verschiedenen Netztypen. Zwei parallel kurz hintereinander angeordnete Hagelschutznetze erwiesen sich am ertragreichsten. Das vordere fange den Nebel und das hintere nehme zusätzlich Wassertropfen auf, welche der Wind aus dem vorderen hinaus wehe, sagt Frost. Im Gewebe bleiben feinste Wassertröpfchen hängen, die sich zu größeren verbinden und nach unten in eine Auffangrinne laufen. Von dort fließt das Wasser in eine Zisterne. Laut Frost lassen sich so je nach Region täglich zwischen vier und 14 Liter pro Quadratmeter gewinnen.

Der Cloud-Fisher könne neben der Trinkwassergewinnung auch für die Landwirtschaft oder Aufforstungsprojekte genutzt werden. Geplant sei es, derartige Projekte etwa in Eritrea zu realisieren, wo die Wasserstiftung bereits andere Vorhaben unterstützt. In der eritreischen Maakel-Region, die mehr als 2000 Meter über dem Meer liegt, ließen sich mehrere hunderttausend Menschen mit Wasser versorgen.

Die Wasserstiftung arbeitet in Eritrea eng mit der katholischen Kirche zusammen. So hatte Frost die Idee, dass Frauen in ihren Gärten Bäume und Gemüse pflanzen, die der Generalsekretär der Diözese Keren im Nordwesten des Landes ausgearbeitet hat und organisiert. Die Frauen können damit ihre Familien ernähren und überschüssige Früchte verkaufen. Zudem unterstützt die Wasserstiftung "Green Clubs", in denen Schulkinder lernen, nachhaltig mit Wasser umzugehen, Gärten anlegen und bewirtschaften.

Die Wasserstiftung existiert seit 15 Jahren. Sie engagiert sich in Ländern, in denen Wassermangel die Lebensgrundlagen gefährdet, und bietet Hilfe zur Selbsthilfe. Sie finanziert sich hauptsächlich aus Spenden und Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Laut Frost könnte der Cloud-Fisher in Regionen an der Westküste Süd- und Nordamerikas, aber auch in Südafrika, Äthiopien, Namibia, Tansania, im Oman, Nepal oder Australien eingesetzt werden. Auch kommerzielle Anbieter könnten die Nebel-Kollektoren kaufen.

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SZ vom 20.06.2015
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