Süddeutsche Zeitung

Handarbeit im Oberland:Der Kaffee ist fertig

In ihrem Sachsenkamer Röststüberl veredeln Carolin Hirschberger und Katharina Roithmeier Rohware aus der ganzen Welt zur "Tölzer Bohne" - und lüften das Geheimnis, wie jeder seine perfekte Sorte findet.

Von Petra Schneider

Die kleine Ortschaft Sachsenkam ist die Heimat des Reutberger Biers. Dass dort auch seit zehn Jahren eine Kaffeerösterei daheim ist, dürfte weniger bekannt sein. Vor einem Einfamilienhaus weht eine Fahne mit dem Schriftzug "Tölzer Bohne", der Weg führt über den Hof in den ehemaligen Hobbyraum - große Leinensäcke voller Rohbohnen, Holzregale mit Kaffeepäckchen, ein Klavier, antike Holzstühle mit farbigen Polstern. Das Herzstück ist eine mannshohe Maschine: Ein Kaffeeröster, der aussieht wie eine kleine Jim-Knopf-Lokomotive. An jedem Donnerstag ist Rösttag im "Röststüberl" von Carolin Hirschberger und Katharina Roithmeier. Im August 2012 haben die beiden im Elternhaus von Hirschberger angefangen - ein Wagnis, "wir wussten nicht, wo die Reise hingeht".

Die Frauen, die in Sachsenkam aufgewachsen und seit ihrer Jugend befreundet sind, wollten etwas gemeinsam auf die Beine stellen, als die Kinder aus dem Haus waren. Und weil sie beide ausgewiesene Kaffeeliebhaberinnen sind - warum nicht eine Rösterei? Heute, fast zehn Jahre später, liefern sie ihre "Tölzer Bohne" an Edeka-Filialen und Firmen in der Region, das Klosterbräustüberl Reutberg ist ein guter Kunde, Cafés in Bad Tölz, Lenggries, Rothenrain, Dietramszell, die Stiftung Nantesbuch in Bad Heilbrunn, die Stadt Bad Tölz, Privatleute.

Auf Holzregalen stehen fünf verschiedene Sorten in eleganten, schwarzen Verpackungen mit farbigen Schleifen, damit die Kundinnen und Kunden ihren Lieblingskaffee leicht wiederfinden können: Türkis aus Guatemala, orange aus Äthiopien, pink aus Indien, grün aus Brasilien, blau aus Costa Rica. Hirschberger, 61, ist eigentlich Sekretärin. Roithmeier, 58, arbeitet in Teilzeit bei der Stadt München im Kultur- und Veranstaltungsbereich. Die beiden haben einen Kurs beim Wiener Kaffee-Institut belegt und mit einer Prüfung zur "Kaffee-Sommelière" abgeschlossen.

Sie haben viel über die Geschichte des anregenden, schwarzen Getränks erfahren. Dass der Kaffee als Kriegsbeute beim Sieg über die Türken vor Wien im Jahr 1683 seinen Siegeszug im deutschsprachigen Raum angetreten hat, ist übrigens eine Legende. Denn bereits 1673 wurde in Bremen ein Kaffeehaus eröffnet, vier Jahre später in Hamburg. "Wir waren total fasziniert", erinnert sich Roithmeier. Der Kurs lieferte das Grundwissen, die Feinheiten des Röstens haben sich die beiden selbst beigebracht. Ein Jahr lang haben sie verschiedene Sorten durchprobiert, zum Teil mit einem kleinen Handröster, der mit Spiritus erhitzt und von Hand gekurbelt wird. Sie waren sich einig: Nur Arabica-Hochlandbohnen sollten es sein, die erst von einer Höhe von 1000 Metern an wachsen. Viel langsamer als die Sorte Robusta, die höhere Erträge liefert, leichter zu ernten und bei Südländern beliebt sei, weil sie eine schöne Crema mache. Aber sie habe eben auch einen höheren Anteil an Chlorogen-Säure, die schon mal auf den Magen schlagen könne, erklärt Hirschberger. Italiener und Spanier mischten mehr Sorten und rösteten die Bohnen eher dunkler. Der Kaffee erhalte dadurch mehr Bitterstoffe, sagt Roithmeier, "Südländer mögen das." Die "Tölzer Bohne" sei bekömmlicher und könne für Espresso genauso verwendet werden wie für Filterkaffee und Kaffeevollautomaten.

Wer meint, in einer Rösterei duftet es nach Kaffee, irrt. "Gottseidank nicht", sagt Roithmeier, denn sonst wäre das Aroma ja verpufft. Das Geheimnis ist, die Bitterstoffe und Säuren zu eliminieren und das Aroma in den Bohnen einzuschließen, das erst beim Mahlen frei wird. Rösten ist ein chemisch komplizierter Vorgang, aber mechanisch einfach. Die harten, grünen Rohbohnen, die nach Wiese riechen, werden über einen Trichter in den Trommelröster gefüllt, der sechs Kilo fasst. Die Trommel dreht sich, "wie bei einer Waschmaschine", über einem Gasbett. Nach einigen Minuten platzen die Silberhäutchen ab, die Bohnen "crackeln" wie Popcorn. 15 bis 20 Minuten dauert der Röstvorgang, bis die Bohnen glatt sind und einen "leicht samtigen Glanz haben", erklärt Hirschberger. Dann werden sie von Hand ausgelassen - "vollautomatisch läuft bei uns gar nichts" - und unter Zufuhr von Luft "kalt gerührt." Beim Rösten vergrößert sich das Volumen der Bohnen, aber wegen des Verlusts von Säure und Feuchtigkeit verlieren sie 15 bis 20 Prozents ihres Gewichts.

Wenn die beiden von ihrem Projekt erzählen, spürt man, wieviel Leidenschaft und Herzblut darin steckt. Dann sprudeln sie, zeigen, erklären. Denn mit rein finanziellen Gründen ließe sich das kaum erklären: Die schwierigen ersten fünf Jahre hätten sie überstanden, weil sie keine Miete und keine Mitarbeiter bezahlen müssten, erklärt Roithmeier. Auch Corona haben sie überlebt, "zwar mit einer ganz schönen Delle", aber langsam erhole sich die Gastronomie wieder und damit auch ihr Geschäft. Werbung haben sie nie gemacht, "das läuft alles über Mundpropaganda". Zwei Tage die Woche arbeiten die beiden in ihrem kleinen Unternehmen - ein Tag rösten, ein Tag verpacken, liefern, den aufwendigen Papierkram erledigen. Denn für den Zoll müssten "Röstprotokolle" geführt werden, damit die Steuern berechnet werden können. Je Kilo Kaffee sind das 2,19 Euro. Die Rohbohnen aus aller Welt beziehen sie von einem Händler aus Hamburg, der auf die Einhaltung sozialer Standards bei den Produzenten achte. Drei Tonnen pro Jahr rösten sie in Sachsenkam.

Um herauszufinden, welche Sorte am besten passt, hat Hirschberger einen Tipp: Einen Kaffee solle man immer heiß, warm und kalt probieren. "Und wenn er Ihnen kalt auch noch schmeckt, dann ist das der Richtige für Sie."

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