Interview:"Die S-Bahn kommt, weil sie kommen muss"

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Bürgermeister Michael Müller hat anlässlich einer Sonderfahrt auf dem Geretsrieder Industriegleis zum Spaß den Schaffner gegeben. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bürgermeister Michael Müller sieht im schienengebundenen Verkehr die einzige Chance für eine Mobilitätswende. In der Planung der S 7 bis Geretsried ist allerdings ein wichtiger Aspekt noch gar nicht berücksichtigt.

Von Felicitas Amler, Geretsried

SZ: Herr Müller, die Anbindung der Stadt Geretsried an die S-Bahn ist schon seit Jahrzehnten ein Thema. Sie sind Jahrgang 1969 - wann hat es für Sie zum ersten Mal eine Rolle gespielt?

Michael Müller: Seit 1978, seit ich in Geretsried lebe. Da hieß es immer: Auf die Böhmwiese kommt mal eine S-Bahn. Für uns als Schüler hätte das eine bessere Anbindung nach München bedeutet, wobei für uns ja schon Wolfratshausen die große weite Welt war.

Sie haben in München studiert. Wie sind Sie damals hingekommen?

Teilweise habe ich in München gewohnt, sonst mit der S-Bahn. Und von Geretsried nach Wolfratshausen mit dem Bus, die Taktung war nicht schlecht. Es ist halt immer ein Zeitverlust gewesen, weil es doch lange dauert. Der Bus nimmt ja auch noch die Staus auf der B 11 mit.

Die S-Bahnstrecken rund um München sind 1972 zu den Olympischen Spielen gebaut worden. War Geretsried damals so unbedeutend, dass es nicht gleich als Endpunkt gewählt wurde?

Ich weiß nicht zu hundert Prozent genau, was die Entscheidungsgrundlage war. Gerüchteweise habe ich gehört, wenn die Ruderregatta-Strecke nach Königsdorf gekommen wäre, hätte es eine Bahnanbindung gegeben. Was sicher ein Thema war: Es gab zuvor keine reguläre Bahnanbindung nach Geretsried, das ist natürlich historisch begründet.

So soll der S-Bahnhof in Geretsried Süd aussehen. (Foto: DB Netz AG/Vectorvision/OH)

Auf der Website "DB Netze" heißt es aktuell zur S-Bahn-Verlängerung bis Geretsried: "Regierung von Oberbayern führt das Anhörungsverfahren durch; ein Abschlussbericht wird Mitte 2022 erwartet. Abstimmungen zum Realisierungs- und Finanzierungsvertrag zwischen DB und Freistaat Bayern." Ist man da noch im Plan?

Zum Ablauf und Plan, den die DB Netz da verkündet, kann ich als Bürgermeister nichts sagen.

Aber Sie fragen sicher nach.

Ja, aber ich kriege genau die Auskunft, die Sie da auf der Website sehen.

Der Stadtrat hat Anfang des Jahres eine Resolution an Bundes- und Staatsregierung beschlossen, die Verlegung der B 11 "unverzüglich in Angriff zu nehmen" und diese mit der geplanten Verlängerung der S-Bahnlinie 7 bis Geretsried zu koordinieren. Ist hierauf etwas geschehen?

Da ging es natürlich schwerpunktmäßig um die Verlegung und den vierspurigen Ausbau der B 11. Wir haben über den Bundestagsabgeordneten Alexander Radwan Antwort vom Bundesverkehrsminister, dass die B 11 grundsätzlich im Fokus steht. Wir hatten Sorge, dass das Thema Straßenverkehr mit der neuen Bundesregierung hinten runterfällt. Aber da wurde uns gesagt, dass die B 11 nach wie vor im Plan ist; dass sie nicht gestrichen wird.

Nun hieß es in der Resolution auch, das Vorhaben B 11 solle mit der S-Bahnlinie bis Geretsried koordiniert werden. Dass dies bisher nie geschehen ist, scheint ein Knackpunkt zu sein.

Das ist ganz sicher eine der Herausforderungen. Ich gehe schon davon aus, dass beide Projekte noch ein Thema sind. Wir sind mit dem Staatlichen Straßenbauamt im Gespräch - das war eines der Ergebnisse des Besuchs der bayerischen Verkehrsministerin Kerstin Schreyer. Wir sind so weit, dass die Stadt Geretsried die Planung wieder aufgreift für die B 11 am Schwaigwaller Hang, und das Straßenbauamt dann von Geretsried Nord bis Wolfratshausen das VGV-Verfahren macht ( die öffentliche Auftragsvergabe, d. Red.). Wir bringen die Planung wenigstens so weit voran, dass sie angepasst wird an den heutigen Verkehrsstrom.

"Es gibt abschließend noch keine Antwort"

Und was könnte das für die S-Bahn-Planung bedeuten?

Die B-11-Verlegung ist bisher nicht im Planfeststellungsverfahren der S-Bahn berücksichtigt. Wenn im Bereich Geretsried-Nord bis Böhmwiese gleichzeitig eine S-Bahn und eine B 11 gebaut werden, muss man den Verkehr dieser Straße - mehr als 40 000 Autos am Tag - irgendwie umleiten. Das ist technisch eine Herausforderung. Verlegt man die Straße vorher, oder wartet man, bis die S 7 gebaut ist? Kann man die Verfahren parallel führen? All diese Fragen werden im Rahmen der B-11-Planung auf den Tisch kommen. Dazu gibt es aber abschließend noch keine Antwort.

Das heißt, dass die S-7-Planung aus Sicht der Bahn einen neuen Aspekt erhält?

Sagen wir mal so: Das Planfeststellungsverfahren, das die S-Bahn gerade betreibt, sieht noch keinen vierspurigen Ausbau der B 11 vor.

Das hört sich nicht so an, als ob das Ganze beschleunigt würde.

Das ist ein Thema, das wir noch auflösen müssen. Das Blöde ist: Wir sind als Stadt nicht selbst die Verfahrensträger.

Kann der neue Expressbus Bad Tölz - Starnberg für Geretsried nicht für viele die S-Bahn ersetzen? Man ist von zwei Haltestellen aus, am Stern und am Rathaus, stündlich in 18 respektive 13 Minuten am S-Bahnhof Wolfratshausen.

Die Intention des X-Busses ist eine Ringlinie an den Außenästen der Bahn. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass das kein Ersatz ist für eine S-Bahnanbindung, sondern eine Ergänzung. Das Rückgrat der Verkehrswende im ÖPNV ist erst einmal schienengebunden. Aber ohne die S-Bahn sehe ich das Thema Mobilitätswende als ganz schwierig.

Wieso?

Weil sie ganz andere Kapazitäten an Fahrgästen transportieren kann. Wenn Sie die mehr als 40 000 Autos, die da am Tag auf der B 11 fahren, reduzieren wollen; wenn Sie die Leute zum Umsteigen bringen wollen, dann wird die Kapazität des X-Busses nicht ausreichen.

Das heißt, Sie halten auch unter neuesten ökologischen Anforderungen die S-Bahn für das Mittel der Wahl?

Ja. Unter dem Aspekt Umwelt sehe ich die S-Bahn als das Mittel der Wahl. Der X-Bus kann das nicht leisten.

"Was wäre die Alternative? Noch mehr Autos?"

Obwohl der Bau der S-Bahn doch ein gewaltiger Eingriff in die Umwelt ist?

Ja, das ist richtig, das ist immer eine Abwägung. Aber dann dürften Sie gar nichts mehr machen. Ich glaube, wenn man den Pkw-Verkehr reduziert, ist das auch eine Gegenrechnung. Wie wollen Sie in so einem Ballungsraum, der ja auf Mobilität angewiesen ist, Massen an Menschen transportieren? Was wäre die Alternative? Noch mehr Autos?

Das Stichwort Alternative bringt uns zum jüngsten Vorschlag des Wolfratshauser S-Bahn-Ausbau-Gegners Heinz Wensauer: der Ottobahn. Das ist eine Art Schwebebahn mit hängenden Kabinen auf sieben Meter hohen Schienen, für die es alle 20 bis 40 Meter Betonpfeiler bräuchte.

Solche Fragen einer Seilbahn sind im Zuge der S-Bahn-Planung schon mit untersucht worden. Damals wurde keine ausreichende Leistungsfähigkeit festgestellt. Wenn ich ein schnelles, bequemes und leistungsfähiges Verkehrsmittel im Bereich des ÖPNV haben will, mit unmittelbarer Anbindung an das Bahnnetz München, dann ist diese Seilbahn keine Alternative.

Und rein städtebaulich?

Auch nicht. Es ist aber begrüßenswert, dass sich Leute Gedanken machen. Solche Beiträge fördern den Diskussionsprozess. Aber es ist aus meiner Sicht keine leistungsfähige Alternative.

Im November 2020 sagten Sie: "Die S-Bahn kommt." Im Februar 2021: "Die S-Bahn kommt so sicher wie das Amen in der Kirche." Ihre aktuelle Prognose?

Ich bin immer noch überzeugt, dass die S-Bahn kommen wird. Wenn die Regierung und wenn wir als Gesellschaft das Thema Mobilitätswende ernst nehmen, dann brauchen wir einen leistungsfähigen ÖPNV. Das Rückgrat dafür ist die S-Bahn. Letztlich haben auch die beiden Bahnunfälle in unmittelbarer Nähe gezeigt, dass in die Infrastruktur Bahn mehr investiert werden muss. Man hat das offensichtlich über Jahrzehnte hinweg nicht ausreichend getan. Der zweite Punkt: Wir haben über 40 000 Autos auf der Straße, wir werden mehr Leute, Mobilität ist nach wie vor ein Thema. Sie müssen, da wiederhole ich mich, wenn Sie die Leute umlenken wollen, leistungsfähige Systeme anbieten. Deswegen komme ich zu dem Resümee: Die S-Bahn kommt, weil sie kommen muss.

Kürzlich haben Sie einschränkend gesagt, nicht mehr während Ihrer Amtszeit. Nun wissen wir nicht, an wie viele Amtszeiten Sie noch denken...

Ich kann nur von der Amtszeit sprechen, für die ich gewählt bin, das sind jetzt noch vier Jahre. Ursprünglich wurde mal gesagt, 2024 wird mit dem Bau begonnen. Heute lese ich in der Zeitung: Kostenexplosion und Verzögerung der zweiten Stammstrecke. Das ist ja ein Projekt, das eine deutlich andere politische Lobby hat als die S-7-Verlängerung. Wenn es schon bei der Stammstrecke so schwierig wird, was heißt denn das für uns draußen in der Peripherie? Da darf man schon ernsthaft Zweifel haben, ob bei uns in den nächsten vier Jahren was passiert.

Dieses Bild einer heranbrausenden S-Bahn würden die Geretsrieder gern mal in ihrer Stadt sehen. (Foto: Hartmut Pöstges)
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