Süddeutsche Zeitung

Rückkehr nach Botswana:Viola will nach Hause

Seit dreieinhalb Jahren lebt die 27-Jährige in Wolfratshausen. Sie hat Deutsch gelernt, Arbeit und Freunde gefunden, engagiert sich für Asylbewerber. Doch die junge Frau vermisst ihre Familie

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Es sind 13 Flugstunden, die Viola von ihrer Familie trennen. Von "Mama und Papa", wie sie sagt, den vier Geschwistern zwischen zwölf und 21 Jahren. Seit dreieinhalb Jahren hat Viola sie nicht mehr gesehen. Erst jetzt weiß sie, wie sehr sie ihr fehlen. Die Frau mit dem offenen, hellwachen Blick aus großen schwarzen Augen sieht nach unten und sagt: "Ich vermisse meine Familie - das ist unglaublich", und es ist einer der wenigen Momente, in denen sie nicht stark und fröhlich wirkt. Sie schluckt ein paar Tränen weg.

Die 27 Jahre alte Viola stammt aus Botswana. Als sie mit ihrem Mann und der damals drei Jahre alten Tochter Fabiona das Land verließ, hatte sie gute Gründe. Das Paar hatte für die Rechte Homosexueller demonstriert, denn Homosexualität ist in Botswana illegal und kann mit Haft bestraft werden. Die Polizei sei hinter ihnen her gewesen, sagt Viola. Aber inzwischen werde man sie wohl in Ruhe lassen. Das ist ihre Hoffnung. In spätestens vier Wochen will sie wieder in ihrer Heimat sein.

Die junge Familie hat in Deutschland kein Asyl erhalten. Sie könnte Widerspruch eingelegen, einen Rechtsanwalt einschalten, und niemand weiß, wie lange das dauern und wie es enden würde. All das will sie nicht. Viola will nach Hause. Ausgerechnet Viola, die sich so unglaublich entschlossen, zügig, schnell hier integriert hat. Die hier Freundinnen hat, die selbst im Helferkreis für Asylbewerber mitarbeitet, Flüchtlinge bei deren Ankunft berät ("Ich sage denen, die neu ankommen, immer: Wolfratshausen ist top"). Die in atemberaubendem Tempo Deutsch gelernt hat. Zuerst hat sie einen Kurs beim Kindergarten absolviert: "Mama lernt Deutsch".

Und dann hat sie sich ganz viel selbst angeeignet. Sie lacht: durchs Fernsehen. "Und ich habe wirklich viel Fernsehen geschaut." Sie zieht die Worte "wirklich viel" ordentlich in die Breite. Welche Sendungen? "Shopping Queen - das habe ich geliebt." Und eine Sendung, deren Titel sie zunächst gar nicht verstand, sie musste ihre Deutschlehrerin danach fragen: "Was heißt eigentlich 'verklag mich doch'?" Sie kichert. Und dann wandte sie sich ans Job-Center, weil sie arbeiten wollte. Man sei für sie gar nicht zuständig, hieß es dort, sie müsse ins Landratsamt, denn sie sei ja Asylbewerberin. "Die haben uns erst weggeschickt." Kein Grund für die beherzte junge Frau aufzugeben. "Ich brauche nur Beratung", sagte sie. Und schließlich schickte ihr jemand aus dem Job-Center immer wieder Stellenangebote per Post zu. Viola schrieb Bewerbung um Bewerbung: "Es war wirklich ein bisschen mühsam", sagt sie. Aber erfolgreich. Bei einem Wolfratshauser Zahnarzt konnte sie eine Ausbildung zur Helferin absolvieren, und dort arbeitet sie.

In Botswana hatte sie ein Medizinstudium angefangen, es aber wegen der Tochter abgebrochen und dann ein kleines Catering aufgezogen. Wenn sie jetzt zurückkehrt, möchte sie das Studium wieder aufnehmen und ihre Familie mit etwas über Wasser halten, was sie hier in Deutschland gelernt hat: Nähen. Sie könne ziemlich gut Patchwork-Decken herstellen, sagt sie. Viola verwendet gern Ausdrücke wie "das Ding ist" oder hängt ein "weißt du" an ihre Sätze an. "Das Ding ist", sagt sie also, "ich könnte ein kleines Geschäft mit Patchwork-Decken machen." Es gebe einen Markt mit Stoffen aus China in Botswana. Was auch immer sie tun werde: "Es wird werden", davon ist sie überzeugt. Genauso sei es ihr doch hier ergangen: "Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, aber dort schaffe ich es auch."

Seit etwa einem Jahr macht sich Viola Gedanken über eine Rückkehr. Sie habe Freundinnen, die seien seinerzeit nach Kanada geflüchtet und inzwischen wieder in Botswana. Sie hätten gesagt, da habe sich manches gebessert. Im Übrigen vertraut Viola auf die Wirkung öffentlicher Aufmerksamkeit. Eben weil politisch verfolgte Menschen aus dem Land geflohen seien, versuche Botswana jetzt, international den Eindruck zu erwecken: "Die Politik ist hier super." Das hofft sie jedenfalls.

Wann und wie sie nach Hause kommt, das liegt nun in den Händen der Organisation Coming home, die Rückkehrer berät und ihnen zur Seite steht. Es ist nicht das erste Mal, dass Viola spürt: "Ich habe jemanden, der mir hilft." Das sei die wichtigste Erfahrung, die sie aus Deutschland mit nach Botswana nehme. Die Hilfsbereitschaft, die sie hier in Wolfratshausen erlebt hat, an die werde sie sich immer erinnern. "Das ist einfach nicht zu vergessen. Ich werde die Leute hier vermissen." Und noch etwas: das Wetter. Verkehrte Welt. Während sich hierzulande viele nach Sonne ohne Ende sehnen, schaut Viola manchmal nachts um elf, wie viel Grad es gerade in Botswana hat: "Einundvierzig!" Sie stöhnt. "Und alles ist immer trocken, dieser Staub! Und hier ist alles so schön grün. Und ich liebe (das Wort ist wieder ganz breit gezogen) Schnee." Das ändert freilich nichts an ihren Plänen. Sie müsse ihr Leben jetzt in die Hand nehmen, und die Voraussetzungen dafür sieht sie in der Heimat eher gegeben als hier. In Botswana, so sagt sie, könne sie "träumen und wachsen". Hier in Deutschland sei es auch schön zu träumen: "Aber es wird nicht alles wahr."

Ihr Mann Donald will erst einmal in Deutschland bleiben. Tochter Fabiona hingegen freut sich auch schon sehr auf Botswana. Sie war zwar erst drei, als sie das Land verließ, aber sie kann sich an die Familie erinnern. Und auf die freut sie sich fast so sehr wie ihre Mutter.

Damals, als sie ging, da habe ihre Mutter verstanden, warum sie gehen musste, sagt Viola, aber sie habe sehr, sehr viel geweint. Auf die Frage, was sie als erstes tun werde, wenn sie nun heimkommt, sagt die junge Frau ohne zu zögern: "Mama küssen." Und dann lacht sie wieder und sagt: "Ich glaube, ich werde eine Woche lang mit allen in einem Bett schlafen." Was für ein Riesenbett das sein soll? "Wir schlafen auf dem Boden - das klingt hier unmöglich, aber in Botswana nicht."

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SZ vom 27.01.2016
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