Roland Astor:"Kraus würde heute wahrscheinlich durchdrehen"

Schauspieler Roland Astor über das Anti-Kriegs-Manifest "Die letzten Tage der Menschheit" und was von der Friedensbewegung noch übrig geblieben ist.

F. Amler

Es beginnt mit der Ermordung des Thronfolgers in Sarajevo und endet mit dem Untergang der Welt: "Die letzten Tage der Menschheit" ist ein schier unspielbares Drama des großen österreichischen Publizisten und Satirikers Karl Kraus. An diesem Donnerstag präsentieren der österreichische Schauspieler Roland Astor und sein aus Wolfratshausen stammender Kollege Claus Obalski Szenen aus den "Letzten Tagen" als Lesetheater im Irschenhausener "Hollerhaus" (20 Uhr, Karten-Telefon 08178/4408).

Scheinwerfer

Der österreichische Schauspieler Roland Astor und sein  Kollege Claus Obalski präsentieren Szenen aus den "Letzten Tagen" als Lesetheater im Irschenhausener "Hollerhaus". (Archiv)

(Foto: iStockphoto)

SZ: "Die letzten Tage" sind ein monumentales Anti-Kriegs-Manifest, verfasst vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs. Bis zu den Kriegen unter deutscher Beteiligung heute wähnten wir uns weit entfernt von solch blutigem Gemetzel und von chauvinistischer Verherrlichung. Was hat uns Kraus heute noch zu sagen?

Roland Astor: Er war sehr vorausschauend. In diesem Stück gibt es viele Szenen, die man auf heute anwenden könnte. Kraus hat ja einen Satz gesagt, dass Operettenfiguren die Tragödie der Menschheit spielten. Ich denke da so an Berlusconi oder Sarkozy - es sind immer noch Operettenfiguren, die die Tragödie der Menschheit spielen. Es gibt auch einen Satz darin: "Krieg wird es immer geben." Das war übrigens der Ur-Gedanke, warum ich das machen wollte.

SZ: Andere Bezüge zu heute?

Astor: Das Thema Mindestlöhne oder Zeitarbeit - gab's damals auch. Es gibt eine Szene von einem Fabrikbesitzer, der befreundet ist mit einem General. Und der General sagt: Du bist eigentlich blöd. Warum zahlst du deinen Leuten noch so hohen Lohn? Ich zieh' die alle zum Militär ein, und am Nachmittag sind sie Kriegsdienstler und kriegen nur Sold. Es ist auch drin der Ausländerhass, solche Szenen gibt's en masse.

SZ: Der heutige deutsche Kriegsminister, den wir trotz allem einen Minister der Verteidigung nennen, ist der mit Abstand beliebteste deutsche Politiker. Wäre das ein Stoff für Kraussche Polemik?

Astor: Ja, das finde ich schon. Der hat ja eine Maske. Der sieht ja sehr sympathisch aus - da gibt's einen österreichischen Ausdruck: ein Feschak. Das ist wie ein Operettentenor - der kommt auch vor im Stück. Es ist ein ganz bunter Reigen von Figuren aus der Geschichte. Und die Geschichte ist praktisch nicht zu Ende.

SZ: Sie sind 1942 geboren, also mit den 68ern und der Friedensbewegung groß geworden. Was ist von der Wirkkraft solcher Strömungen übrig geblieben?

Astor: Ich bin ein echter Achtundsechziger. Es kommt dazu meine Biografie, mein Vater war Widerstandskämpfer in Österreich und war im KZ. Und irgendwie kriegt man in seinem eigenen Lebenslauf was mit. So war ich eigentlich immer ein Linker. Ich habe ja auch in "Hair" mitgespielt, das war auch ein Anti-Kriegs-Musical.

SZ: Ist von der Friedensbewegung heute noch etwas da?

Astor: Nein, aber sie kommt vielleicht wieder. Wenn man Stuttgart21 anschaut: Da ist doch irgendwas drin.

SZ: Karl Kraus hat im real existierenden Journalismus ein Grundübel seiner Zeit gesehen. Stichwort: "Der Untergang der Welt durch schwarze Magie". Welche Rolle zu Krieg und Frieden spielen Ihrer Ansicht nach die Medien heute?

Astor: Ich schaue mir wahnsinnig gern Talkshows an. Man erfährt da die ungeheuerlichsten Sachen. Und dann ist die Sendung fertig, und ich sage: Und jetzt? Es passiert nichts. Die ungeheuerlichsten Sachen werden zutage gebracht, und es passiert aber nichts. Nach keiner Sendung wird jemand eingesperrt. Wenn wir gerade von der heutigen Gesellschaft gesprochen haben, sieht man ja, dass vielen alles wurscht ist. Viele sagen: Na ja, sind eh alle gleich. Das stimmt halt nicht. Außerdem kann man selber was dazu tun. Die Leute gehen ja auch nirgendwo hin, das ist sehr enttäuschend. Aber ich glaube, das ist ein Zug der Zeit.

SZ: Was sagen Sie zur aktuellen politischen Entwicklung in Österreich?

Astor: Das ist sehr bezeichnend: Es reicht, wenn man einfach gegen Ausländer ist. Das reicht, um etwa in Wien gerade in den Arbeiterbezirken Erfolg zu haben, in Favoriten hat die FPÖ jetzt 35 Prozent. Es ist eine Zeit, die macht fast depressiv. Jetzt hören wir, wie groß der Wirtschaftsaufschwung ist, und auf der Welt geht's zu... Wenn man sich dafür sehr interessiert - was ich tue -, dann kann man schon traurig sein. Ich finde ja, dass nicht die Politiker die Macht haben, sondern wirklich die Großindustrie. Die Lobbyisten sind so stark in den Parlamenten. Man sieht das jetzt wieder mit den Strompreisen.

SZ: Karl Kraus hätte viel zu schreiben heute?

Astor: O, ja. Wahrscheinlich würde er durchdrehen.

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