Süddeutsche Zeitung

Reichersbeuern:Das Dorf der Zukunft

In der Ortsmitte von Reichersbeuern läuft gerade ein umfangreicher Erneuerungsprozess. Sogar das Rathaus soll womöglich umziehen. In dem etwas in die Jahren gekommenen Dienstsitz könnten dann günstige Wohnungen entstehen

Von Klaus Schieder, Reichersbeuern

Das Amtszimmer von Bürgermeister Ernst Dieckmann (FWG) ist mit modernen Büromöbeln ausgestattet und bietet einen Rundumblick hinaus zum Fußballplatz, zur Eislauffläche, zum Kindergarten. Drinnen in den Gängen verströmt das kleine Rathaus in Reichersbeuern mit seinem abgetretenen Steinfliesenboden, den schlecht schließenden Türen, dem grauen Anstrich und dem zugigen WC allerdings noch den spröden Charme der Sechzigerjahre.

Das soll sich bald ändern. Die Gemeinde arbeitet an einem Entwicklungskonzept im Zuge der Dorferneuerung, das die Einwohner maßgeblich mitgestalten sollen. Gedacht ist unter anderem an einen Umzug des Rathauses in das Gebäude der Raiffeisenbank neben dem Gasthof Altwirt und einen Umbau des bisherigen Verwaltungssitzes in ein Haus mit günstigen Wohnungen, Arztpraxis und Gemeinschaftsräumen. "Realistisch wäre 2021", skizziert Dieckmann den Zeitplan für die Dorferneuerung. "Vielleicht können wir einige Geschichten schon vorher umsetzen."

Reichersbeuern leiste einen Beitrag zur Energiewende, lobtder Bürgermeister

Eine davon ist schon auf den Weg gebracht. Der Gemeinderat stimmte jetzt einem Nahwärmenetz zu, das in der ersten Phase die kommunalen Gebäude versorgt. Die mit Pellets betriebene Heizzentrale wird in der Schule angesiedelt, wofür eigens zwei Räume umgebaut werden. Über eine Übergabestation mit einem Wärmetauscher versorgt das neue Netz die nahe Feuerwehr, den Kindergarten, das alte Rathaus, den Altwirt und das Gebäude der Raiffeisenbank.

"Für uns ist das der Einstieg in regenerative Energien", sagt der Bürgermeister. So leiste auch Reichersbeuern seinen Beitrag zur Energiewende. Schließlich habe sich das ursprünglich geplante Biomasse-Heizkraftwerk im Gewerbegebiet Kranzer vor einigen Jahren zerschlagen. Das neue Nahwärmenetz, das ein wenig teurer sei als etwa Erdgas, werde zum Teil mit Pellets aus Sägewerken in der Region betrieben, sagt Dieckmann.

In der zweiten Phase soll sich diese Energieversorgung noch in diverse Richtungen ausdehnen. Firmen, aber auch Privatleute können sich an ein "Infrastrukturnetz", wie Dieckmann es nennt, anschließen. Drei Jahre will er dafür Zeit geben. Falls sich genügend Abnehmer melden, soll ein Hackschnitzelwerk in einem westlichen Anbau an der Schule entstehen, das in der Regel sämtliche Heizwärme liefert - die Pelletsheizung würde dann nur die Spitzenlasten ausgleichen. Das Nahwärmenetz wird von der neu gegründeten Gesellschaft "MWB Reichersbeuern GmbH & Co.KG" gebaut und betrieben. Sie ist eine hundertprozentige Tochterfirma der Gemeinde. Die Geschäftsführung obliegt der MW Biomasse AG aus Irschenberg, die sich die Kommune als Partnerin bei dem Projekt ausgesucht hat. Für das neue Netz zahlt die Gemeinde insgesamt 500 000 Euro: 50 000 Euro als Stammeinlage, 450 000 Euro als Darlehen.

Damit ist der Boden bereitet für die Vorhaben in der Ortsmitte. Schon im Mai hatte die Gemeinde Reichersbeuern ihre Bürger zu einer Ortswerkstatt eingeladen, damit sie ihre Prioritäten und Ideen zur Dorferneuerung einbringen. Mehr als 60 Interessenten kamen damals zu der Auftaktveranstaltung. Seither haben sich mehrere Arbeitsgruppen gebildet. Eine von ihnen beschäftigt sich mit der Dorfmitte, diskutiert über Verkehrswege und Parkflächen, über Grünanlagen und Plätze zum Verweilen. Ein Knackpunkt ist unter anderem die Kreuzung der beiden Kreisstraßen am Altwirt. "Das Ziel ist, wie können wir den Ortskern lebendig erhalten und noch schöner gestalten", sagt der Bürgermeister.

Eine andere Runde befasst sich mit der Zukunft des alten Rathauses. Nach dem Wegzug der Gemeindeverwaltung könnten dort altersgerechte und günstige Wohnungen entstehen, daneben eine Arztpraxis und Räume für einen gemeinschaftlichen Zweck. Wieder ein anderer Arbeitskreis debattiert über die Situation am BOB-Bahnhof, vor allem über die dortige Verkehrssituation. "Das ist das wichtige Thema, die Geschwindigkeit der Autofahrer, die Situation der Fußgänger", so Dieckmann. In der Arbeitsgruppe, die sich der Flur rund um Reichersbeuern widmet, geht es schließlich noch um Feldwege, um mögliche Tauschgeschäfte, um landwirtschaftliche Themen.

Die Resultate sollen in einer Ortswerkstatt im Oktober vorgestellt und dann auch verbindlich gefasst werden. Die Bürgerbeteiligung ist Dieckmann wichtig. Dieser Prozess, so hofft er, führe zu einer "erhöhten Akzeptanz" des Gemeindeentwicklungskonzepts. "Die Leute, die von Anfang an dabei waren und mitgearbeitet haben, werden sich im Ergebnis wiederfinden." Die Federführung in der Dorferneuerung, die eine Art Pendant zur Städtebauförderung ist, obliegt jedoch nicht der Gemeinde, sondern dem Amt für ländliche Entwicklung. Das müsse am Ende "seinen Haken dahinter setzen", sagt der Bürgermeister.

Falls es zu einer umfassenden Dorferneuerung komme, könnten von den Maßnahmen betroffene Eigentümer eine sogenannte Teilnehmergemeinschaft bilden und einen Vorstand wählen, über den sie Einfluss ausüben können. Zahlen müssen sie nichts. Der Freistaat fördert die Projekte in diesem Programm mit 50 bis 60 Prozent, den Rest trägt die Kommune. Welche Kosten da auf Reichersbeuern zukommen werden, vermag Dieckmann noch nicht abzuschätzen - "aber es wird schon einiges sein". Auch für einen Amtssitz, in dem allenfalls noch ein altes Bild an die Sechzigerjahre erinnert.

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SZ vom 09.08.2019
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