Geschichte im OberlandEin Denkmal gegen das Vergessen

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An die japanischstämmigen Befreier vom 522nd Field Artillery Batallion erinnert jetzt ein Denkmal. An der Einweihung nahm auch Howard S. High, Präsident der Japanese American Veterans Association, teil.
An die japanischstämmigen Befreier vom 522nd Field Artillery Batallion erinnert jetzt ein Denkmal. An der Einweihung nahm auch Howard S. High, Präsident der Japanese American Veterans Association, teil. (Foto: Manfred Neubauer)

Japanischstämmige US-Soldaten haben die Überlebenden des Dachauer Todesmarschs nahe Reichersbeuern befreit. Daran erinnert ein Festakt mit Zeitzeugen zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren.

Von Benjamin Engel, Reichersbeuern

Als Abba Naor am 2. Mai zwischen Reichersbeuern und Waakirchen im Freien aufwacht, ist er von Schnee bedeckt. Der Morgen ist kalt. Die Bewacher von der SS, die ihn und die übrigen Häftlinge aus dem KZ Dachau tagelang gewaltsam Richtung Süden getrieben hatten, sind verschwunden. Zwei Stunden später trifft der damals 17-jährige Jude aus dem litauischen Kaunas auf japanischstämmige Soldaten des 522. Feldartillerie-Bataillons. Damit ist für ihn der Zweite Weltkrieg beendet - und er endgültig frei.

Auf den Tag genau 80 Jahre später ist es am gleichen Ort an der Bundesstraße 472 um die 27 Grad warm. Die Frühlingssonne scheint auf Abba Naor und die vielen anderen Gäste beim Festakt zum Kriegsende, unter ihnen auch Vertreter der US-Regierung und japanischstämmige Veteranen der US-Streitkräfte. Gemeinsam weihen sie die neue Informationstafel und das Denkmal für das 522nd Field Artillery Batallion am Mahnmal für die Häftlinge des Todesmarsches aus dem KZ Dachau ein.

„Die Todesmärsche markieren das tragische Ende eines Systems der Grausamkeit“, sagt Florian Völler später im Festsaal des Reichersbeurer Gasthauses Altwirt. Der Beauftragte des Deutschen Volksbunds für Kriegsgräberfürsorge im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen initiierte die Gedenkveranstaltung. Ein altes Foto hatte ihn neugierig gemacht, er begann, die Geschehnisse von damals genauer zu recherchieren. Die Aufnahme zeigte drei KZ-Häftlinge und den japanischstämmigen George Oiye um ein Lagerfeuer nahe Waakirchen. Er zählte zu den US-Soldaten des 522nd Field Artillery Batallion, die dort am 2. Mai 1945 die Überlebenden des Dachauer Todesmarsches befreiten. „Mein Ziel war es Befreier und Befreite zusammenzuführen und Geschichte lebendig zu machen“, sagt Völler.

Erinnerung an das Grauen vor 80 Jahren:  Bürgermeister Ernst Dieckmann aus Reichersbeuern, Zeitzeuge Abba Naor und Landrat Josef Niedermaier (v.l.) bei der zentralen Gedenkfeier des Landkreises.
Erinnerung an das Grauen vor 80 Jahren:  Bürgermeister Ernst Dieckmann aus Reichersbeuern, Zeitzeuge Abba Naor und Landrat Josef Niedermaier (v.l.) bei der zentralen Gedenkfeier des Landkreises. (Foto: Manfred Neubauer)

Genau das zeigt die zentrale Gedenkfeier des Landkreises Bad Tölz-Wolfratshausen und der beiden Nachbargemeinden Reichersbeuern und Waakirchen. Im Altwirt spricht etwa die US-Kongressabgeordnete Aumua Amata Coleman Radewagen (Republikanische Partei) aus Amerikanisch-Samoa, der Bürgermeister Ernst Dieckmann (Freie Wähler) aus Reichersbeuern eine Mehrliterflasche Reutberger Bier samt Krug überreicht. Zu den Rednern gehören auch Howard S. High, Präsident der Japanese American Veterans Association, der US-amerikanische Generalkonsul James Miller aus München und Ellen Germain, Sondergesandte für Holocaust-Fragen im US-Außenministerium.

Es sei wichtig, weiterzugeben, was die Zeitzeugen erzählten, sagt Landrat Niedermaier

Was Menschen anderen Menschen vor acht Jahrzehnten angetan haben, sei einfach furchtbar gewesen, sagt Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler). „Wir müssen uns gewärtig werden, dass diese Seiten des Menschen in unserer zivilisierten Welt nicht mehr hochkommen.“ Doch jeder könne Täter und Verbrecher oder Helfer, Freund wie Feind sein, mahnte er. Die Würde des Menschen sei unantastbar. Es sei wichtig, das, was Zeitzeugen erzählten, bei jeder Gelegenheit weiterzugeben.

Welche Gräueltaten sich auf diesem ruhigen Stück bayerischen Lands - so drückt es US-Generalkonsul Miller aus - unter der Nazi-Diktatur ereignet haben, scheint an diesem sonnigen Nachmittag acht Jahrzehnte später kaum vorstellbar. Abba Naor war damals gerade erst 17 Jahre alt, hatte bis dahin aber schon weitaus mehr verkraften müssen, als in ein durchschnittliches Erwachsenen-Leben passt.

Am Todesmarsch-Mahnmal an der B 472 wurde ein Denkmal für das 522nd Field Artillery Batallion und eine neue Informationstafel eingeweiht.
Am Todesmarsch-Mahnmal an der B 472 wurde ein Denkmal für das 522nd Field Artillery Batallion und eine neue Informationstafel eingeweiht. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Nazis erschießen seinen älteren Bruder Chaim, als dieser Brot aus der Stadt Kaunas zur Familie ins Ghetto schmuggeln wollte. Seine Mutter und sein Bruder Berale werden in Ausschwitz-Birkenau ermordet. Er selbst landet im Kauferinger Außenlager des KZ Dachau, wo er Betonplatten herstellt. Ende April 1945 zwingt die SS die ausgemergelten und geschundenen Häftlinge nach Süden durchs Oberland. Sie fressen Gras, um den nagenden Hunger irgendwie zu stillen. Wer nicht mehr weiterkann, wird erschossen. Warum er mit 97 Jahren noch lebe? „Keine Ahnung“, sagt Abba Naor. Womöglich deshalb, weil er auf seine Urenkel aufpassen müsse, antwortet er. Elf hat er bis jetzt. Gerade vor Schülern berichtet Abba Naor bis heute als Zeitzeuge über das, was ihm die Schergen der Nazi-Diktatur angetan haben.

„Das ist der schönste Ort meines Lebens“, wird Abba Naor von Landrat Niedermaier am Denkmal für den KZ-Todesmarsch und das 522nd Field Artillery Batallion zitiert. Der Kaplan der US-Armee, David Schnarr, der evangelische Dekan im Dekanat Bad Tölz, Florian Gruber, und der katholische Pfarrer Stefan Fischbacher aus dem Pfarrverband Waakirchen-Schaftlach segnen die neue Informationstafel und das zusätzliche Denkmal. Fischbacher erinnert an jene Häftlinge, die noch in der Nacht vor der Befreiung erfroren sind. Nun könne an dem Ort an das Leid derer gedacht werden, die dem Nazi-Terror ausgesetzt waren, an ihre Angehörigen, an die Mitglieder der US-Streitkräfte und an alle, die damals Menschlichkeit gezeigt haben.

Der KZ-Häftling Nick Hope konnte einem seiner grausamsten Peiniger nach Kriegsende vergeben

Die zeigte Nick Hope in besonderer Form: Bei einer zufälligen Begegnung in der Nachkriegszeit hat er seinem grausamsten Peiniger aus dem Konzentrationslager die Hand gereicht. Hope hatte im Außenlager Allach für BMW gearbeitet und war auf dem Todesmarsch befreit worden. Im März 2025 ist er im Alter von 100 Jahren gestorben. Von all dem berichtet sein Sohn George Hope beim Reichersbeurer Festakt bewegend und selbst emotional betroffen. Er hebt den Mut, die Widerstandsfähigkeit und die Bereitschaft seines Vaters zur Vergebung hervor. Eine Eigenschaft, die angesichts all der Gräuel alles andere als selbstverständlich ist. Und doch so essentiell für das menschliche Miteinander.

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