Süddeutsche Zeitung

Regionales Handwerk:Flüssige Raritäten

In der Schlegldorfer Mosterei Wenig wird seit drei Generationen Obst aus dem Landkreis zu Saft gepresst. Ungewöhnlich schon deshalb, weil hier die Landwirtschaft eigentlich gar keine Früchte erzeugt.

Von Veronika Ellecosta

Vor der Mosterei Wenig stapeln sich die grünen Saftkästen bis zum Dach, wie sollte es auch anders sein. Hinter dem Holzgebäude streunt eine Katze durch den Garten der Filgertshofers, ein Hahn kräht in der Ferne und ein Enterich schnattert. Die Apfelbäume stehen gerade in weißer Blüte, einige Hummeln brummen an den Zweigen vorbei. Von denen gibt es rund um den Hof der Filgertshofers viele, sagt Anton Filgertshofer zufrieden. Das kleine Insekt scheint sich auf den Wiesen und Feldern in Schlegldorf bei Lenggries wohlzufühlen. Das ist auch gut für Anton Filgertshofer, denn die Hummel bestäubt seine Apfel- und Birnbäume, und von denen stehen immerhin etwa vierzig Stück im Garten. Im Gegensatz zur Biene kann die Hummel Wärme speichern - und also auch dann fliegen, wenn keine Sonne scheint. Das ist wiederum in einem sonnenarmen Frühling gut, wie es in diesem Jahr der Fall war.

Gemeinsam mit seinem Bruder Klaus betreibt Anton Filgertshofer die Mosterei Wenig nun schon in dritter Generation. Sein Großvater Josef Wenig hat den Hof in den 1950er-Jahren als Schäfflermeister von einem Verwandten übernommen und hat gemäß seinem Beruf Werkzeuge, Wannen und Fässer aus Holz hergestellt. Und da es früher Tradition war, dass die Bauern dem Schäffler neben ihren Holzfässern auch gleich das Obst mitgebracht haben, ist die Mosterei auch gleich mit dem Schäfflerberuf einhergegangen, erzählt Anton Filgertshofer. Holz als Werkzeugmaterial wurde dann rückläufig, aber die Mosterei konnte sich in die neue Zeit retten.

Siebzig Jahre später ist die Mosterei Wenig in der Region eine Institution geworden. Die Filgertshofers beliefern umliegende Hofläden und Supermärkte, regionale Gaststätten und kleine Getränkeläden. Gegen einen kleinen Aufpreis fährt Anton Filgertshofer außerdem persönlich bei Privatkunden vorbei und am Hof Wenig werden die Flaschen direkt verkauft.

Sogar Münchner, erzählt Anton Filgertshofer, holten ihre Bestellung gerne mal nach dem Wochenendausflug in die Berge vor Ort ab. Weil Lenggries und eigentlich der ganze Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen von Haus aus kein Obstanbaugebiet ist und damit große Anlieferer fehlen, dürfen bei der Mosterei Wenig alle ihre Früchte aus dem kleinen Garten zu Hause zu Saft pressen lassen.

Dabei wird nach dem alten Mosterei-Modell abgerechnet: Das Obst wird kostenlos vorbeigebracht, bezahlt wird die Arbeit, die in der Mosterei beim Saftpressen übernommen wird.

Die Philosophie der kleinen, familienbetriebenen Mosterei von Großvater Wenig scheinen die Brüder Filgertshofer also fortzuführen. Gepresst wird mittlerweile zwar mit moderner Technik, aber der Betrieb liegt nach wie vor in Familienhand und niemand hat vor, zu vergrößern. "Dann würden wir womöglich Qualität einbüßen", sagt Anton Filgertshofer. Denn auf die besagte Qualität, die bei den Filgertshofers in der Presse zu Saft zermalmt wird, darauf ist der gelernte Fruchtsafttechniker sichtlich stolz: Nur ungespritztes Obst darf hier verarbeitet werden, viermal im Jahr wird der Spritzmittelgehalt streng kontrolliert. "Ich würde meinen Kunden nichts vorsetzen, was ich nicht auch meinen Kindern vorsetzen würde", sagt Anton Filgertshofer dazu. Weder Ascorbinsäure noch andere Konservierungsmittel dürfen in den Wenig'schen Saft rein. Wenn das Obst beim Pressen durch Steinsieb, Waschanlage, Mühlen und Walzen gelaufen ist und im Tank oder in der braunen Flasche als Saft landet, ist es auf natürlichem Weg lange haltbar, erklärt Filgertshofer. Bis zu zweieinhalb Jahre kann er garantieren, dass der Geschmack unverändert bleibt. Vorausgesetzt natürlich, der Saft wird dunkel gelagert.

Bei seiner Kundschaft beobachtet Anton Filgertshofer in den vergangenen zehn Jahren mehr Achtsamkeit im Umgang mit Lebensmitteln. Neukunden interessierten sich zunehmend dafür, wo das verarbeitete Obst herkomme oder ob gespritzt werde, erzählt er. Besonders im ersten Corona-Frühling hätten die Menschen sich vermehrt der Regionalität und Qualität zugewandt. Im zweiten Jahr habe das nachgelassen und eine allgemeine Müdigkeit sich breit gemacht. "Geschäftlich hat die Pandemie die Mosterei hart getroffen, weil wir viele Gaststätten beliefern und das alles weggebrochen ist." Auch eine Unterstützung vom Staat ist für sie bislang ausgeblieben. Und aus dem kalten Frühling lasse schließen, dass im Herbst die Ernte wohl eher spärlich werde. Ist es nämlich zu kalt, erklärt Filgertshofer, fliegen weniger Bienen, und die sind in ihrer Arbeit viel effizienter beim Bestäuben als ihre dicken Kollegen, die Hummeln. Immerhin dieses sind heuer aber schon fleißig und bestäuben die Apfel- und Birnbäume in Filgertshofers Garten - damit es auch zukünftig saftige Erfrischungen gibt.

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SZ vom 05.06.2021
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