Reden wir über:Gedenken an das Novemberpogrom

Reden wir über: Sybille Krafft.

Sybille Krafft.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Sybille Krafft erinnert an die Vertreibung der Jüdinnen und Juden

Von Felicitas Amler

An diesem Dienstag jähren sich die Novemberpogrome der Nazis zum 83. Mal. Zudem wird heuer an 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gedacht. Die SZ sprach mit Sybille Krafft , der Vorsitzenden des Historischen Vereins und des Erinnerungsorts Badehaus in Waldram, dem ehemaligen jüdischen DP-Lager Föhrenwald.

SZ: Frau Krafft, Sie sind als Historikerin besonders in Wolfratshausen engagiert. Beim Wort "Novemberpogrom" denkt man an die Zerstörung von Synagogen in den großen Städten, an die Verschleppung Zigtausender Juden in Konzentrationslager. Hat sich in Wolfratshausen in jener Nacht etwas abgespielt?

Sybille Krafft: Auch wenn Wolfratshausen keine Synagoge hatte, hat dennoch die Pogromnacht für uns eine Rolle gespielt. An der jüdischen Mädchenschule sind in der Nacht SA und SS aufgezogen und haben die verbliebenen Lehrerinnen und Schülerinnen aufgefordert, Wolfratshausen innerhalb weniger Stunden zu verlassen. Sie mussten auf die Schnelle ihre Koffer packen und sind in der Früh in einer Art Trauerzug zum Bahnhof der Isartalbahn gegangen.

Hat die Bevölkerung das mitbekommen?

Die Wolfratshauser müssen es mitbekommen haben. Zwar nicht die nächtlichen Vorfälle - das vielleicht nur die Nachbarn. Aber die Gruppe, die zum Bahnhof ging, muss aufgefallen sein. Es ist dazu eine Begebenheit überliefert. Die Lehrerin Caroline Meier hat später in ihren Lebenserinnerungen berichtet, dass ein Mann vom Landratsamt sie beobachtet hat, wie sie zum Bahnhof getrottet sind, und ihr ins Ohr geflüstert hat: 'Fräulein Meier, ich schäme mich, Deutscher zu sein.'

Es gibt hier aber kein regelmäßiges Gedenken. Wäre der Erinnerungsort Badehaus ein geeigneter Platz dafür?

Wir gedenken sehr oft an vieles, aber wir können nicht an alles gedenken. Sonst bleibt nicht die Zeit und die Kraft für andere Themen.

Diese Vertreibung der Jüdinnen aus Wolfratshausen ist dennoch ein historisches Ereignis. Was wäre der richtige Platz, daran zu erinnern?

Ich glaube, man braucht keinen bestimmten Ort dazu. Wer sich daran erinnern will, kann das überall tun, genauso wie man überall beten kann. Natürlich wäre das Badehaus prädestiniert, vielleicht machen wir einmal eine Veranstaltung dazu. Aber regelmäßig gedenken wir am Internationalen Holocaust-Gedenktag im Januar, Ende April erinnern wir an den Todesmarsch und im Mai an die Bücherverbrennung.

Was ist über das Schicksal der vertriebenen Mädchen und Frauen bekannt?

Zum Glück konnten die meisten wohlbehalten ihr Zuhause erreichen. Dann verlieren sich von vielen die Spuren. Wir wissen aber definitiv, dass 19 ermordet wurden. Eine ganze Reihe hat überlebt; da sie so jung waren, konnten sie mit den Kindertransporten nach England gerettet werden. Von mehr als hundert Mädchen haben wir im Rahmen des Projekts "Jüdische Spurensuche" die Lebensgeschichten rekonstruiert. Die jüdische Mädchenschule hatte insgesamt mehrere hundert Schülerinnen.

Die meisten Menschen kennen keine Jüdin, keinen Juden persönlich. Gibt es in Ihren Vereinen jüdische Mitwirkende?

Das sind unsere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Wir haben einige Mitglieder, die Juden und Jüdinnen sind, die sich aktiv im Badehaus einbringen, uns ihre Erinnerungen zur Verfügung stellen, die bereit sind für Interviews, die mit uns ihre Lebensgeschichte teilen, uns Erinnerungsstücke als Exponate überlassen.

Das heißt, wenn man Jüdinnen und Juden im Alltag nicht begegnet, kann man ihnen im Badehaus begegnen?

Auf jeden Fall.

Kirsten Jörgensen / Sybille Krafft: "Wir lebten in einer Oases des Friedens...". Geschichte einer jüdischen Mädchenschule 1926-1938, hg. vom Historischen Verein Wolfratshausen, Eigenverlag des Erinnerungsortes BADEHAUS, Wolfratshausen 2009

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