Süddeutsche Zeitung

Reden wir über:Das Vermächtnis des Kasperlgrafen

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Michael Köhle leitet seit 20 Jahren die Pocci-Gesellschaft

Von Stephanie Schwaderer

Vor genau 20 Jahren, am 25. Januar 2002, gründete der Münsinger Arzt Michael Köhle () die Franz-Graf-von-Pocci-Gesellschaft. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an einen bayerischen Tausendsassa wach zu halten. Franz Graf von Pocci (1807-1876) war nicht nur bayerischer Hofbeamter, er brillierte unter anderem als Maler, Zeichner, Schriftsteller, Komponist und Journalist. Fürs Münchner Marionettentheater schrieb er mehr als 40 Kasperl-Stücke, was ihm den Namen "Kasperlgraf" einbrachte.

SZ: Herr Köhle, erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit dem Kasperlgrafen?

Michael Köhle: Da war ich vielleicht zehn Jahre alt. Am Ammerlander Schloss, wo die Familie Pocci ihren Stammsitz hatte, gab es im Sommer gelegentlich Kasperltheater-Aufführungen. Auch mit der Schule ist man damals ins Münchner Marionettentheater gefahren.

Und der Kasperl hat Ihnen gefallen?

Natürlich. Er hat mir gefallen und er war wichtig. Vor allem im Fasching für die Verkleidung. Da ist man als Kasperl gegangen - mit einem zusammengeflickten scheckigen Gewand und einer karierten Zipfelmütze mit Bommel.

Im Fasching ist er etwas aus der Mode gekommen.

Nicht nur da. Insgesamt.

Und deshalb kamen Sie Jahre später auf die Idee, eine literarische Gesellschaft zu Ehren des Grafen zu gründen?

Mir ist aufgefallen, dass Pocci in der Öffentlichkeit nur wellenförmig wahrgenommen wird. Um 2000 herum gab es da eine Art Lücke. Zur Gründungsversammlung im Münsinger Gasthof Limm kamen 45 Leute. Das zeigt, wie groß die Lücke war. Die Mitgliederzahl ging schnell in die Höhe auf knapp 300. Dann hat die Begeisterung wieder etwas nachgelassen. Derzeit sind es etwa 130 Mitglieder.

Die Pocci-Gesellschaft konzipiert immer wieder Ausstellungen, die in der Region zu sehen sind. Wie viele Arbeiten umfasst mittlerweile ihr Archiv?

Wenn man die Bücher in den verschiedenen Auflagen dazuzählt, werden es an die 500, 600 Stück sein. Zum Archiv gehören Kompositionen, Objekte, Zeichnungen und Karikaturen. Für die Herrengesellschaft "Altengland" hat Pocci 1440 Karikaturen gezeichnet, die politische und gesellschaftliche Ereignisse widerspiegeln. 136 unveröffentlichte Blätter stellen wir zum 20-jährigen Jubiläum in einem Bildband vor, den Michael Stephan, der frühere Leiter des Stadtarchivs München und stellvertretende Vorsitzende der Pocci-Gesellschaft, konzipiert und kenntnisreich kommentiert hat.

Seit 2006 verleiht die Gesellschaft den Pocci-Preis an Marionettenbühnen und Figurentheater, aber auch an Kabarettisten und Musiker. Wer bekommt ihn heuer?

Der Vorstand hat sich für "Doctor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater" entschieden. Josef Parzefall und Richard Oehmann haben eine ganz spezifische Art entwickelt, die Pocci in manchen Aspekten nahekommt. Ihr Kasperl ist wie der Larifari ein bisschen durchtrieben, witzig, leicht gesellschaftskritisch. Und wie Pocci gelingt es den beiden, Kinder und Erwachsene gleichermaßen zu erfreuen.

Michael Stephans Bildband "Franz von Pocci. Unveröffentlichte Karikaturen für die Gesellschaft ,Altengland' von 1840 bis 1876" ist im Apelles Verlag erschienen und kostet 32 Euro.

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SZ vom 25.01.2022
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