Religiöse Tradition:Leerer Magen, voller Geist

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Süßwaren wie diese frischen Baklava sind beim Radamdan-Fest, mit dem am Freitag der Abschluss des Fastens gefeiert wird, sehr gefragt. (Foto: Marcus Brandt/picture-alliance/ dpa)

Weltweit verzichten Muslime derzeit bei Tageslicht auf Essen und Trinken. Doch der Ramadan ist mehr als Fasten. Er stehe für geistige Einkehr und Reflexion, sagt Gönül Yerli von der Islamischen Gemeinde Penzberg.

Von Jana Daur, Penzberg

Um genau 4.36 Uhr putzt sich Gönül Yerli noch schnell die Zähne, dann startet ein besonderer Countdown für sie: Seit 23. März ist Ramadan, der neunte Monat des islamischen Jahres. Mit anbrechendem Sonnenaufgang beginnt deshalb aktuell für gläubige Muslime die Fastenzeit, bis Sonnenuntergang bleiben Essen und Trinken tabu. Doch es geht um mehr als das Aushalten von Hunger oder Durst. Der Ramadan ist eine wichtige Säule des Islam, auch im Oberland gehen viele Menschen der religiösen Pflicht nach. Zum Gebet treffen sie sich in der Islamischen Gemeinde Penzberg, einer der größten Moscheen südlich von München. Gönül Yerli ist dort Vize-Direktorin.

In diesem Jahr dauert die Fastenzeit insgesamt 29 Tage. Die Länge bemisst sich nach dem islamischen Mondkalender, weswegen der Ramadan etwa alle elf Monate praktiziert wird und die genaue Anzahl der Fastentage schwankt. Dass das leibliche Wohl während der Sonnenstunden zurückgestellt wird, wissen mittlerweile die meisten Leute. Doch Hunger verspüre sie gegen Ende des Ramadans kaum noch, sagt Yerli, ihr Körper habe sich schnell umgewöhnt.

Stellvertretende Vorsitzende des Forums für Islam München und Vizedirektorin der Islamischen Gemeinde Penzberg: Gönül Yerli. (Foto: Islamische Gemeinde Penzberg)

Ist es nicht ungesund, sich selbst so lange Nahrung und Wasser vorzuenthalten? Yerli entgegnet, der Koran erlaube es eindeutig, das Fasten bei Krankheit, hohem sowie jungem Alter oder anderen besonderen Umständen auszusetzen. Das sind beispielsweise Schwangerschaften oder zehrende Reisen. "Letztendlich soll der Körper nicht strapaziert werden", erklärt sie und betont, dass der Ramadan Umfassenderes im Sinn hat. "Es geht nicht nur darum, auf Essen und Trinken zu verzichten, sondern mit allen Sinnen zu fasten." Das bedeutet unter anderem den Verzicht auf Geschlechtsverkehr, Rauchen oder Kaugummikauen. Auch die Zahnpflege muss in die Nachtstunden verlegt werden. Stattdessen soll die Zeit genutzt werden, um über die Monate seit dem vergangenen Ramadan zu reflektieren und Pläne für die Zukunft zu schmieden. Die Entbehrung menschlicher Genüsse helfe, die nötige Klarheit dafür zu finden - wenngleich das hierzulande besonders schwierig sei.

"Es ist wie ein Mitfiebern."

"In Deutschland hat der Ramadan einen anderen Charakter", sagt Yerli über die Unterschiede zu muslimisch geprägten Ländern. Hier sei im gesellschaftlichen Leben nichts auf den islamischen Monat abgestimmt, der Alltag müsse trotz Verzicht normal bewältigt werden. Immerhin: Mittlerweile kann man sich für das Ramadan-Fest beurlauben lassen. Auch sonst sei eine wachsende Akzeptanz der Fastenzeit spürbar. Früher hätten sich Nicht-Muslime oft mitleidig gezeigt; heute seien sie zumeist an der religiösen Praxis interessiert. Auch aus den umliegenden christlichen Gemeinden gebe es Zuspruch. "Es ist wie ein Mitfiebern. Wir werden überschüttet mit Glückwünschen zum Ramadan", freut sich Yerli. Als Zeichen des Dankes wurden die Unterstützer am Anfang des Monats zum "Iftar", wie das Fastenbrechen nach Einbruch der Dunkelheit genannt wird, ins Islamische Zentrum Penzberg eingeladen.

Achtmal gab es dort dieses Jahr Zusammenkünfte von etwa 150 Menschen - so viele passen in das Gotteshaus - zum gemeinsamen Essen und Trinken, das traditionell mit einer Dattel oder einem Schluck Wasser begonnen wird. So kamen beispielsweise nur die Frauen oder die Jugendlichen abends in die Moschee, aber auch Kinder waren zum Iftar eingeladen. Weil diese oft ihren Eltern nacheifern wollten, nutze man solche Veranstaltungen, um sie langsam an das Fasten heranzuführen und einen verantwortungsbewussten Umgang damit zu entwickeln. Bei Yerli begann das Interesse mit zwölf Jahren. Seit sie 15 Jahre alt war, hat sie mit Ausnahme der Zeit ihrer Schwangerschaften regulär gefastet.

Volles Haus zum Ramadan-Fest

Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie waren die Zusammenkünfte wieder möglich. Die meisten haben sich über die wiederkehrende Normalität gefreut, doch Yerli erzählt, dass es "durchaus noch Menschen gab, die auch Masken getragen haben". Das Leben aber kehrt in die Islamische Gemeinde zurück - und zwar sehr rege. Mittlerweile besuchten sogar mehr Gläubige als vor der Pandemie die Gottesdienste, sagt Yerli, die Penzberger Moschee habe Mitglieder dazugewonnen.

Auch am kommenden Freitag rechnet Yerli mit einem vollen Haus. Dann findet das Ramadan-Fest zum Abschluss des Fastenmonats statt. Um sieben Uhr beginnen die Feierlichkeiten mit dem gemeinschaftlichen Gebet, im Anschluss gibt es - endlich wieder - ein großes Festmahl in den Familien. "Mittlerweile hat es die Dimension von Weihnachten", sagt Yerli. Das liege auch an den Geschenken, die Kinder zum Ramadan-Fest bekämen. Die vielen Süßspeisen, die dabei verzehrt werden, verhalfen dem Feiertag im Deutschen zum Namen "Zuckerfest". Diesen Begriff aber lehnten die meisten Muslime ab, erklärt Yerli. Da er aus der türkischen Säkularisierung kam und den Zweck verfolgte, das religiöse Fest massentauglich zu machen, gehe der Bezug zum Fastenmonat verloren. Dabei sei es der Kern des Feiertags, freudig auf den überstandenen Ramadan zurückzublicken. Außerdem solle man die Erkenntnisse der Selbstreflexion aus den vergangenen Tagen nutzen, um sich mit den Mitmenschen zu versöhnen und Konflikte zu beseitigen.

Ein leerer Magen, aber ein voller Geist - der Ramadan ist für Muslime eine besondere körperliche und seelische Erfahrung. Am kommenden Freitag können sie auf 29 intensive Tage zurückblicken.

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