Das wäre mal ein Coup gewesen: Im prestigeträchtigen Rilke-Haus im Ortsteil Irschenhausen wollte die Gemeinde Icking im großen Stil günstigen Wohnraum schaffen und gleichzeitig das schöne Gebäude erhalten. Doch das Projekt ist auf den letzten Metern gescheitert. Stattdessen wird das große Villengrundstück nun wohl zugebaut.
Zwei Jahre lang liefen die Vertragsverhandlungen hinter verschlossenen Türen. Das Vorhaben kam erst am Montag in der Sitzung des Gemeinderats öffentlich zur Sprache, nachdem die Gerüchteküche in Irschenhausen wohl schon heftig am Brodeln war. Das Vorhaben der Gemeinde sei es gewesen, das Rilke-Haus in Erbpacht zu übernehmen, zu sanieren und anschließend mit gebundenem Mietpreis zu vermieten, erklärte Bürgermeisterin Verena Reithmann (Unabhängige Bürgerliste Icking). Dabei sei es um mehr als ein kommunales Wohnbauprojekt gegangen. „Damit sollte das Gebäude für weitere Generationen gesichert werden“, sagte Reithmann, denn das Haus sei für Irschenhausen ortsbildprägend und schützenswert. Unter Denkmalschutz steht es nicht.

Die Pläne waren in den vergangenen zwei Jahren schon weit gediehen: Wie die Bürgermeisterin berichtete, wurden Untersuchungen zur Bausubstanz, Planungen und Kostenschätzungen zur Sanierung und zum barrierefreien Umbau des Gebäudes erfolgreich abgeschlossen. Es gab sogar schon grünes Licht für Fördermittel vom Staat. Im Zuge der Sanierung sollte auch die Wiederherstellung des ursprünglichen Aussehens erfolgen, nachdem die Fassade in den 1960er-Jahren verändert worden war.
Ein Vertrag kam nicht zustande – „das bedauern beide Seiten sehr“, sagt die Bürgermeisterin
Alles war weitestgehend fertig, doch am Ende ging die Rechnung nicht auf: Obwohl auf beiden Seiten „ein intensiver Wunsch nach Einigung“ bestanden habe, sei ein Vertrag nicht zustande gekommen. „Das bedauern beide Seiten sehr“, erklärte Reithmann, die im Übrigen auf die Verschwiegenheitsklausel bei privaten Vertragsverhandlungen verwies. Die öffentliche Erklärung im Gemeinderat über das nunmehr gescheiterte Vorhaben geschehe in enger Abstimmung mit dem Eigentümer.
Stillschweigen herrschte über die Summe, die die Gemeinde geboten hatte. Doch wer im Februar bei den Haushaltsberatungen aufgepasst hatte, kannte den der Betrag in Höhe von 690 000 Euro, der als Posten für den nicht näher betitelten „Kauf eines Bestandsgebäudes“ für kommunalen Wohnungsbau aufgetaucht war. Sie habe mit der gemeinsamen Erklärung im Gemeinderat einen „Schlusspunkt“ setzen müssen, erklärte Reithmann im Nachhinein, nachdem im Ort schon herumerzählt worden sei, „die Gemeinde übernimmt das Rilke-Haus“ und erste Bilder vom Originalzustand ins Rathaus geschickt wurden, die bei der Renovierung helfen sollten.

Erste Kontakte mit dem Eigentümer des teilweise leer stehenden Gebäudes hätten sich auf der Suche nach Unterkünften für Ukraine-Flüchtlinge ergeben, so die Bürgermeisterin. Der Plan sei es gewesen, die Wohnungen in „sinnvolle Einheiten“, sprich kleinere, umzubauen und gleichzeitig das über 100 Jahre alte Haus zu erhalten. „Wir hätten dem Gebäude gern eine Zukunft gegeben“, sagte sie. Die Zukunft sieht nun wohl so aus, dass das knapp 4000 Quadratmeter große Grundstück zugebaut wird. Zusätzlich zum Bestandsgebäude besteht die Genehmigung für zwei Doppelhäuser, die Baugenehmigung liege bereits vor, sagte die Bürgermeisterin. Was den Gemeinderat nun umtreibe, sei die Sorge um das Ortsbild. Denn für Irschenhausen gebe es keinen Bebauungsplan. „Neue Häuser müssen sich aber in die Umgebung einfügen“, so Reithmann.

Das Rilke-Haus heißt so, weil der berühmte Dichter Rainer Maria Rilke früher hier zu Gast war. Davon kündet auch eine Inschrift auf der Fassade. Das Gebäude war Anfang des 20. Jahrhunderts als „Pension Schönblick“ bekannt; wie eine Chronik zur Irschenhauser Lokalgeschichte zu berichten weiß, galten die Zimmer dort als „Luxus-Appartements“. Ludwig Ritter von Pflaum aus Holzen hatte das Gebäude auf dem Grund einer alten Hofstelle gebaut und verpachtete es als Fremdenpension. Im Sommer 1914 bezog Rilke zur Erholung darin ein Zimmer. Dort nahm auch die berühmte Liebesgeschichte mit der jungen Schriftstellerin Lou Albert-Lasard ihren Anfang. Später war das Haus ein Ferien-Vertragshaus für schwedische Gäste. Nach dem Tod der Erben wurde das Rilke-Haus verkauft und in Wohnungen aufgeteilt.