Krisendienst:"Es soll niemand alleine sein"

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Rund um die Weihnachtsfeiertage sind die psychologischen Belastungen schon immer besonders groß, in diesem Jahr kommt auch noch der Lockdown hinzu. Für Betroffene gibt es jedoch Hilfe - am Telefon und zu Hause.

Von Felix Haselsteiner

Anders ist das Weihnachtsfest in diesem Jahr für alle - und doch werden die Festtage für die meisten zumindest ein paar Tage der Entspannung darstellen inmitten einer Zeit, in der ohnehin schon alles anders ist. Für andere wiederum wird sich in diesen Tagen das Gefühl der Einsamkeit und der psychischen Belastung noch einmal besonders steigern. Dann braucht es Menschen wie Petra Brandmaier, Marlies Podechtl, Sonja Baier und Doris Beuth, die gerade an den Feiertagen für diejenigen da sind, die dringend Hilfe brauchen.

"Der 24. und der 31. Dezember sind allerdings gar nicht die schlimmsten Tage, es sind eher die Feiertage danach", sagt Petra Brandmaier, Psychiaterin und stellvertretende Leiterin des Krisendienstes Psychiatrie für die Region. In der Münchner Leitstelle rufen Personen an, die in eine psychologische Krise geraten sind und Hilfe brauchen. An den Feiertagen werden sich viele ihrer Problematiken bewusst, dazu gibt es oft Familienstreit und andere Auslöser, die erklären, warum der 25. und 26. Dezember häufig auch Krisentage sind.

In Corona-Zeiten ist die Not der Menschen, die Einsamkeit spüren, noch einmal größer. "Klar erkennbare Peaks" habe es unter der Anzahl der Anrufer immer an den Tagen gegeben, an denen neue Lockdown-Maßnahmen verkündet wurden, sagt Brandmaier. Dann sei es besonders wichtig, die Menschen in diesen Krisensituationen daran zu erinnern, dass sie nicht alleine sind. "Wir versuchen den Anrufern zu bestätigen, dass es einen auch wütend machen darf, wenn sich unser Leben durch Einflüsse von außen verändert." In etwa 80 Prozent der Fälle, sagt Brandmaier, reicht diese telefonische Hilfe bereits aus, um den Menschen weiterzuhelfen und ihre Krisen vorerst zu mindern - für alle anderen Fälle stehen Teams vor Ort zur Verfügung, eines in Bad Tölz.

"Wir werden angerufen, wenn die Krise nicht mehr telefonisch gelöst werden kann", sagt Sonja Baier. Dann machen sie sich - immer im Zweierteam - auf den Weg, um die Anrufer persönlich zu besuchen. "Vor Ort geht es darum, einen guten Kontakt zu den Menschen zu finden und herauszufinden, ob die Krise zum Beispiel akut oder längerfristig ist", sagt Baier. Sie berichtet davon, dass Corona für viele psychisch Kranke vor allem deshalb herausfordernd ist, weil sie auf ihr gewohntes Umfeld nicht mehr zugreifen können: "Menschen mit psychologischen Krisen und Erkrankungen haben im Normalfall ein individuelles System aufgebaut, in dem sie leben." Für Doris Beuth ist daher auch wichtig, nicht nur einmal vorbeizuschauen, sondern gegebenenfalls auch nachzutelefonieren und sich um die Patienten zu kümmern. "Ganz wichtig ist, bei Einsätzen feste Vereinbarungen mit den Menschen zu treffen", sagt Beuth. Auch an den Feiertagen sind die mobilen Teams im Dienst, im Notfall können auch geschulte Polizeibeamte Besuche durchführen. "Es geht darum, den Menschen zu zeigen, dass jemand da ist", sagt Baier über ihre Arbeit.

Seit fünf Jahren gibt es den psychologischen Krisendienst mittlerweile, er habe sich "gut etabliert", sagt Marlies Podechtl, die als Koordinatorin in der Region unter anderem dafür sorgt, dass die Qualität der Beratung überall gleichwertig ist. Für sie geht es um eine zentrale Botschaft: "Es soll niemand alleine sein." Bei der Leitstelle solle jeder anrufen, wenn er sich in einer Krise befindet, auch wenn diese zum ersten Mal auftrete. "Krisen werden immer subjektiv empfunden", sagt Podechtl. Die Angst vor der Einsamkeit, vor einer Covid-Erkrankung oder auch ganz generell die Depression im Winter, das alles seien verständliche Gründe: "Es sind Ängste, die jeder spürt."

Viele der Patienten hätten in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass sie nicht mehr warten wollen, bis es gar nicht mehr geht. "Sich frühzeitig helfen zu lassen, wenn man sich unwohl fühlt, ist das Beste", sagt Podechtl. Die Pandemie sei auch für sie und ihr Team am Telefon und vor Ort eine große Herausforderung: "Wir können das alle nicht vergleichen mit irgendetwas, was wir schon einmal erlebt haben", sagt Podechtl. Doch gerade in diesen Zeiten komme es darauf an, umso mehr für die Menschen da zu sein und dann zu helfen, wenn jemand nicht mehr weiter weiß. Weder Corona noch die Weihnachtsfeiertage sollen daran etwas ändern.

Unter Telefon 0180/655 3000 ist der psychologische Krisendienst rund um die Uhr erreichbar.

© SZ vom 23.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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