Psychiatrie-Patient Otto I.:Bayerns unglücklichster König

Psychiatrie-Patient Otto I.: König Otto I. von Bayern war der jüngere Bruder Ludwigs II. Regiert hat er nie, er war zu krank. Nun ist ihm erstmals eine Ausstellung gewidmet.

König Otto I. von Bayern war der jüngere Bruder Ludwigs II. Regiert hat er nie, er war zu krank. Nun ist ihm erstmals eine Ausstellung gewidmet.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Otto I. saß 30 Jahre auf dem Thron. Doch er war so krank, dass er nicht einen einzigen Tag regierte. Erstmals widmet sich eine Ausstellung seinem Leben und Leiden - und den brutalen Methoden der Psychiatrie.

Von Ingrid Hügenell

Es war ein regelrechter Eklat: Am Fronleichnamstag des Jahres 1875 stürmte der Wittelsbacher-Prinz Otto während des Hochamts in die Münchner Frauenkirche. Der jüngerer Bruder des Königs Ludwig II. trug Jagdkleidung. Er warf sich dem zelebrierenden Erzbischof Gregor von Scherr zu Füßen und bekannte auf Knien öffentlich seine Sünden.

Der 27-Jährige war schwer psychisch erkrankt und litt zudem unter religiösen Wahnvorstellungen. Er ließ sich von zwei Kirchendienern widerstandslos wegbringen. Im Schloss Schleißheim wurde er unter strenge Überwachung gestellt. Noch einmal folgte ein öffentlicher, störungsfreier Auftritt Ottos: Im August des selben Jahres nahm er an der Königsparade auf dem Münchner Marsfeld teil. Danach wurde der Prinz in verschiedenen Schlössern weggesperrt. Er verschwand aus der Öffentlichkeit und nach und nach auch aus dem Gedächtnis der Menschen.

Eine Ausstellung in der Fachberatung Heimatpflege im Kloster Benediktbeuern macht nun, hundert Jahre nach seinem Tod, erstmals die Geschichte Ottos bekannt. Alfons Schweiggert, ein profunder Kenner Ludwigs II., hat sich 30 Jahre lang auch mit dem Schicksal Ottos befasst und die erste Biografie verfasst - sie trägt den Titel "Bayerns unglücklichster König".

"Otto war länger als jeder andere bayerischer König, aber er regierte keine einzige Sekunde", sagte Schweiggert am Donnerstag bei der Eröffnung der Ausstellung. Auf 71 Bild- und Texttafeln ist Ottos Geschichte dargestellt, dazu kommen Gegenstände aus seinem Besitz in Vitrinen, Bilder und Schriftstücke, die zahlreiche Leihgeber zur Verfügung stellten. Heute weiß kaum jemand, dass Otto einst bayerischer König war. Häufig wird er zudem mit Otto von Griechenland verwechselt. Dieser war aber als Bruder Maximilians II. in jungen Jahren als König nach Athen geschickt worden. Er war der Onkel und Taufpate des jüngeren Otto, um den sich die Ausstellung dreht.

Die Regierung führt Prinzregent Luitpold

Nachdem sein älterer Bruder Ludwig II. am 13. Juni 1886 unter bis heute nicht ganz geklärten Umständen im Starnberger See umgekommen war, wurde Otto zum König proklamiert. Er war aber in einem so schlechten Zustand, dass er das gar nicht wahrnahm. Regieren konnte er nicht - er war schon seit 1878 entmündigt. Ein weiterer Onkel, Luitpold, führte die Regierungsgeschäfte als Prinzregent. Regte sich zunächst dagegen Widerstand im Volk, so wurde Luitpold nach und nach immer beliebter, auch durch seine Bescheidenheit und Volkstümlichkeit. Heute wird die "Prinzregentenzeit", die bis zu Luitpolds Tod 1912 andauerte, verklärt dargestellt.

Während Luitpold seines Amtes waltete, verfiel Otto im Schloss Fürstenried mehr und mehr. Er litt unter Halluzinationen und Angstattacken, Schlaflosigkeit und Ruhelosigkeit. Immer wieder hatte er Schreianfälle, wurde aggressiv und war danach wieder völlig apathisch. Seine Krankheit äußerte sich ebenso in stereotypen Bewegungen, er schlug immer wieder mit dem Kopf gegen die (gepolsterte) Wand. Zahlreiche Ärzte versuchten sich in Diagnosen.

Stahlbäder, Stromschläge und Morphium als Therapie

Heute ist die am weitesten verbreitete Ansicht, dass Otto an einer "paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis" litt. Diese Auffassung vertritt unter anderem Professor Hans Förstl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München. Darauf deuten nach Ansicht der Ärzte die Entwicklung seiner Symptome hin wie auch die Tatsache, dass Otto offenbar schon als Kind Stimmen hörte, zwanghaftes Verhalten zeigte und an einer Angststörung litt - ähnliche Symptome zeigte auch Ludwig.

Eine genetische Komponente der psychischen Erkrankungen der beiden Brüder liegt daher nahe, wie der Bezirksrat Professor Jan Murken bei der Ausstellungseröffnung sagte. Es müsse aber auch andere Auslöser gegeben haben. Murken ist Kinderarzt und Humangenetiker, er vertrat den Bezirkstagspräsidenten Josef Mederer. Förstl vertritt die Ansicht, Otto sei "zutiefst traumatisiert" gewesen: "Wer weiß, was ohne die Traumatisierung passiert wäre."

Die von Ärzten früher vertretene Erklärung, Otto könnte Syphilis gehabt haben, erscheint wegen des frühen Auftretens von Symptomen als unwahrscheinlich. Ottos Ärzte jedenfalls sagten den besorgten Eltern König Maximilian II. und Marie von Preußen nach den ersten Anzeichen der Psychose, das werde sich "auswachsen". Marie von Preußen, die eigentlich evangelisch war, konvertierte später zum Katholizismus. Geistliche hatten ihr eingeredet, Ottos Krankheit sei eine Strafe für ihren ketzerischen Glauben.

Die späteren ärztlichen Therapieversuche waren rabiat: Otto erhielt morgens und abends sogenannte Stahlbäder, eiskalte Duschen, er wurde in Salzsole gebadet, mit elektrischen Strom behandelt, erhielt kräftige Abreibungen am Körper und starke Beruhigungsmittel wie Morphium. Außerdem hielten ihm Ärzte und Geistliche "Mahnreden", auch religiösen Inhalts, die ihn überzeugen sollten, sich doch besser zu benehmen.

Doch natürlich halfen weder die Konvertierung der Mutter noch die Therapieversuche. König Ludwig II. ließ seinen Bruder, zu dem er ein enges Verhältnis hatte, notgedrungen 1878 entmündigen. 1883 wurde er in das für ihn renovierte Schloss Fürstenried gebracht, wo er unter ständiger Aufsicht bis zu seinem Tod lebte. Ludwig besuchte ihn dort oft und stellte sicher, dass er gut versorgt wurde. Sein Arzt war der Psychiater Bernhard von Gudden, der Leiter der Kreisirrenanstalt, der auch Ludwig behandelte und mit ihm starb. Die Beobachtungen von Ottos Krankheitsverlauf flossen in Guddens Gutachten über Ludwigs Geisteszustand ein.

München wird früh zum Zentrum der Nervenheilkunde

Assistenten bei Otto unter anderem Franz Nissl und Emil Kraepelin. Die beiden Ärzte hatten mit ihrem Patienten aber so wenig Arbeit, dass Gudden ihnen ein Labor einrichtete, in dem sie sich der Forschung widmen konnten. Die "Prinzenärzte" prägten die moderne Hirnforschung und Psychiatrie. München sei dadurch in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zu einem "Mekka der Nervenheilkunde" geworden, sagte Professor Förstl bei der Ausstellungseröffnung. König Otto half das wenig. Er starb 1916 im Alter von 68 Jahren in kompletter geistiger Umnachtung. Da war schon Ludwig III. König, der Sohn des Prinzregenten Luitpold, der 1913 die Verfassung ändern ließ, um König werden zu können. Otto behielt den Titel, Bayern hatte drei Jahre lang zwei Könige.

Geheiratet hat Otto nie. Seine Cousine Prinzessin Therese, Luitpolds Tochter, liebte ihn innig seit Kindertagen, er erwiderte ihre Gefühle aber nicht. Von ihr sind persönliche Aufzeichnungen erhalten, in denen sie Otto als sensible Persönlichkeit ebenso zeigte wie die bedrohliche Entwicklung seiner Krankheit. Therese war ihm immer eng verbunden. Sie blieb unverheiratet und wurde als Wissenschaftlerin und Forschungsreisende bekannt. Therese wollte als Krankenschwester für Otto tätig sein, was ihr jedoch untersagt wurde.

Ausstellung "Bayerns unglücklichster König", Fachberatung Heimatpflege, Maierhof des Klosters Benediktbeuern, Matthias-Ötschmann-Weg 4, Benediktbeuern. Geöffnet bis 12. Juli, Dienstag und Samstag von 13 bis 17 Uhr, Sonntag 11 bis 16 Uhr.

„Ihn oder keinen“: Vorträge über Otto I.

Begleitend zur Ausstellung gibt es sechs Vorträge zu einzelnen Aspekten von Ottos Leben. Hadumod Bußmann spricht am Sonntag, 5. Juni, unter dem Titel "Ihn oder keinen" über die Liebe der Wittelsbacher-Prinzessin Therese zu ihrem Vetter Otto. Der Vortrag findet in der Fachberatung Heimatpflege statt und beginnt um 16 Uhr. Therese war nur zwei Jahre jünger als Otto. Schon in der Kindheit entstand eine enge Freundschaft zu dem Prinzen, aus der sich bei Therese eine lebenslange, aber hoffnungslose Liebe entwickelte. Die Sprachwissenschaftlerin Hadumod Bußmann ist eine ausgewiesene Kennerin der Prinzessin. Der zweite Vortrag von Professor Reinhard Steinberg ist eine geschlossene Veranstaltung am Dienstag, 7. Juni, zu der man sich nicht mehr anmelden kann. Steinberg spricht darüber, wie sich Ottos Krankheit auf König Ludwig II. auswirkte. Alfons Schweiggert, der Kurator der Ausstellung, stellt am Donnerstag, 9. Juni, seine Biografie Ottos vor: "Bayerns unglücklichster König". Wer sich noch mehr in die Geschichte des vergessenen Königs vertiefen möchte, hat an diesem Abend Gelegenheit dazu. Die Lesung mit Gespräch findet in München statt, in der Buchhandlung "Lesetraum" in der Herzog-Wilhelm-Straße 5, Beginn ist um 19 Uhr. Anmeldung unter Telefon 089 / 232 25 42 oder per E-Mail an buchhandlung@lesetraum.de.

"König Otto und die Prinzregentschaft in Bayern. Not und Notwendigkeit" ist der Vortrag Cajetan von Aretins überschrieben. Der Rechtsanwalt und Mitarbeiter am Leopold-Wenger-Institut für Rechtsgeschichte an der Universität München beschäftigt sich mit den Herausforderungen, denen sich Luitpold gegenübersah, sowohl rechtlicher wie wirtschaftlicher Natur. Aretin spricht am Samstag, 11. Juni, von 17 Uhr an in der Fachberatung Heimatpflege.

Die beiden letzten Vorträge befassen sich mit der Psychiatrie zur Zeit der beiden Könige. Am Sonntag, 19. Juni, spricht Professor Matthias Weber über Otto in Schloss Fürstenried und die bayerische Psychiatrie in den Jahren von 1851 bis 1916. Er stellt dabei auch dar, wie sich die Erkrankung Ottos auf die Entwicklung der Psychiatrie auswirkte. Der Vortrag in der Fachberatung Heimatpflege beginnt um 16 Uhr. Einen Tag darauf hält Professor Hans Förstl einen Vortrag mit dem Titel "Ottos Krankheit und Münchens Psychiatrie", in dem er vor allem auf die Diagnose Ottos eingeht, aber auch darauf, wie die Berufung des Psychiaters Bernhard von Gudden und der "Prinzenärzte" Franz Nissl und Emil Kraepelin die Forschung und Psychiatrie beeinflusste. Förstl, der selbst Psychiater ist, spricht darüber am Montag, 20. Juni, von 18.30 Uhr an im Vortragssaal des Bayerischen Hauptstaatsarchivs in der Schönfeldstraße 5.

Der Eintritt zu den Vorträgen ist frei. Für die Veranstaltungen in der Fachberatung Heimatpflege des Bezirks Oberbayern, Michael-Ötschmann-Weg 4 in Benediktbeuern kann man sich unter Telefon 08857 / 888 50 anmelden. ihr

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