Süddeutsche Zeitung

Prozessbericht:Drogen statt Geld

Ein Ehepaar bezahlt einen jungen Mann mit Amphetamin, weil er dessen Kindern Nachhilfeunterricht gibt. Später kaufen die Eheleute von ihm das Suchtmittel in größeren Mengen wieder zurück.

Von Benjamin Engel

Der Anfang erscheint wie die Vorlage zu einem Kriminalfilm. Im April 2016 liegt ein Drogenabhängiger bewusstlos in seiner Penzberger Wohnung. Vier Tage später stirbt er an einer Überdosis im Krankenhaus. Die Ermittler werten dessen Handy aus. Sie stoßen auf Chatprotokolle mit einem damals 18-Jährigen. Darin haben beide ihre Drogengeschäfte aus dem Darknet abgesprochen.

Als die Ermittler daraufhin die Wohnung des gerade volljährig gewordenen Mannes durchsuchen, packt dieser aus. Im August 2015 hat ihn ein drogenabhängiges Ehepaar aus dem Südlandkreis - da war er noch minderjährig - für die Nachhilfestunden für dessen Kinder mit Amphetamin bezahlt. Später kaufen sie von ihm insgesamt 400 Gramm Amphetamin. So geraten ihnen die Ermittler auf die Spur.

Mehr als zwei Jahre später sitzen die inzwischen getrennten Eheleute - sie kennen den Toten von Penzberg - auf der Anklagebank im Wolfratshauser Amtsgericht. Die unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen und der Handel damit wird ihnen vorgeworfen. Bei einem Geständnis stellt das Gericht eine Bewährungsstrafe von nicht mehr als einem Jahr und zehn Monaten in Aussicht. Daher räumen beide die Vorwürfe ein - und kommen mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten davon.

Der Mann ist wohl spielsüchtig, die Frau abhängig von einem Schmerzmittel

Schuld an ihrer Misere ist für die Angeklagte aber der Nachhilfelehrer ihrer Kinder. Der Jugendliche habe sich in ihrem Haushalt eingenistet. Ihr habe er erzählt, dass er in seiner Familie keinen leichten Stand habe. Dort drehe sich alles nur um seinen kranken Bruder. "Mir hat er leidgetan", erzählt die Angeklagte. "Er hat bei uns gegessen ist mit uns weggegangen."

Das Ehepaar hat schon eine lange Suchtkarriere hinter sich. Beide kiffen seit dem 16. Lebensjahr. Der Mann ist wohl spielsüchtig. Die Frau ist vom Schmerzmittel Phentanyl abhängig. "Ich war schwerst abhängig, oft nicht ansprechbar", berichtet sie. So habe sie von den Geschäften des jungen Mannes im Darknet nichts mitbekommen. "Das hat er weidlich ausgenutzt", berichtet sie. Im Haus seien fremde Leute ein- und ausgegangen. Vermutlich habe er mit ihnen Kontakte für den Drogenhandel geknüpft. Er habe gut reden können, sei als "Geschichtenerzähler" bekannt gewesen. Wie ein Minderjähriger sei er ihr nicht vorgekommen. "Ich habe ihn für einen Erwachsenen gehalten."

Weder sie noch ihr Mann hätten ihm etwas abgekauft. Zufällig habe sie auf ihrem Computer geöffnete Darknet-Seiten für Drogen-, Waffen- und Ausweiskäufe entdeckt. Für sie sei erschreckend gewesen, was alles möglich sei. Schließlich habe ihr junger "Gast" bei gemeinsamen Spieleabenden mitgemacht. Darüber hätten sie auch den verstorbenen Drogenabhängigen aus Penzberg gekannt. Als der Mann bewusstlos wird, seien sie anwesend gewesen. Auf dem Computer des Toten fand die Polizei später ebenfalls Darknet-Seiten zum Drogenkauf. Kurz danach habe sie ihren "Gast" rausgeschmissen.

Drei Beratungsgespräche bei der Caritas zusätzlich zur Strafe

Der junge Mann ist den Ermittlern bereits als Drogenkonsument bekannt. Ihnen erzählt er, dass er Amphetamin für Nachhilfestunden für die Kinder der Angeklagten bekommen habe. Danach hätten sie ihm insgesamt 400 Gramm Amphetamin abgekauft. Als Polizisten deren Wohnung durchsuchen, stoßen sie auf zerriebenes Marihuana und Utensilien zum Drogenkonsum. Wie einer der Beamten aussagt, seien ihm die Schilderungen des jungen Mannes glaubhaft erschienen. Seinem Eindruck nach habe er ausgesagt, weil er damit gerechnet habe, dass auch das Ehepaar ihn belasten werde. Inzwischen ist der Mann zu einer Jugendstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt worden.

Die Angeklagte lässt sich derzeit entgiften, hat schon einen Termin für eine stationäre Therapie. Über den Fortgang zu berichten, macht Amtsrichter Helmut Berger zur Bewährungsauflage. Ihren Mann verpflichtet er zusätzlich zur Strafe zu drei Beratungsgesprächen bei der Caritas-Suchtberatung. "Ich glaube, es ist kein Fehler, wenn Sie sich fachlich beraten lassen", erklärt er.

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SZ vom 19.12.2017/aip
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