Prozess im Amtsgericht:Telefonterror in der Notruf-Leitung

Weil ein 50-Jähriger unter Alkoholentzug leidet, dreht er durch. Das Gericht verurteilt ihn noch einmal auf Bewährung.

Von Barbara Briessmann

"Ich habe mich von der Polizei nicht ernst genommen gefühlt", sagt der Angeklagte am Mittwoch im Amtsgericht Wolfratshausen. 16-Mal hat er an einem Tag bei der Leitstelle des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd angerufen, ohne sagen zu können, was er wollte. Immer wieder beschimpft er die Telefonistin, wie Mitschnitte vor Gericht belegen. Bei seinem 17. Anruf behauptet er, dass er gerade einen Herzinfarkt erleide. Polizei und Rettungskräfte rücken aus. Wegen Missbrauchs von Notrufen, Beleidigung und falscher Verdächtigung muss sich der 50-jährige Politikwissenschaftler verantworten. Er ist einschlägig vorbestraft. Das Gericht verurteilt ihn noch einmal auf Bewährung.

Als am 4. Januar 2016 Polizei, Sanitäter und Notarzt bei dem Mann aus dem Landkreis eintreffen, öffnet er die Tür nicht. Erst als ein Nachbar ihm durch den Briefkastenschlitz etwas zuruft, macht er auf. Untersuchen lassen will er sich nicht. Vor Gericht berichtet ein Polizist, der Mann sei aggressiv gewesen, hektisch und habe deutliche Stimmungsschwankungen gezeigt. Er habe eingeräumt, den Herzinfarkt erfunden zu haben, damit die Polizei endlich einmal komme. Warum sie das hätte tun sollen, habe er nicht sagen können. Auch habe er die Beleidigungen am Telefon zugegeben. Die Notruf-Disponentin hat deswegen Strafantrag gestellt.

Das Gericht verlangteine stationäre Entgiftung und eine Alkoholentwöhnung

Das hat auch die Ehefrau eines Orthopäden, die von dem 50-Jährigen am Telefon übel beschimpft wurde. Am 6. Juni 2016 plagten den Angeklagten Rückenschmerzen. Er wollte so schnell wie möglich einen Arzttermin und rief bei dem Spezialisten an, der ihn schon zweimal behandelt hatte. Allerdings war der Arzt an diesem Tag in einer Filialpraxis. Das sagte ihm die Ehefrau und Mitarbeiterin dem Anrufer, bot ihm einen Termin am nächsten Tag an. Der Mann ließ nicht locker. "Acht- bis zehnmal hat er sich gemeldet", erinnert sich die Frau im Zeugenstand; er habe sogar, als sie nicht mehr abgehoben hatte, seine Nummer unterdrückt. Es kam ein Termin für den kommenden Tag zustande, diesen sagte er aber wieder ab. Bei den Telefonaten sei auch der Ausdruck "dumme Tussi" gefallen, andere Beschimpfungen wollte die Zeugin nicht wiederholen.

Kurz nachdem die Arztfrau sie vor dem Anrufer gewarnt hatte, habe sie den Angeklagten am Apparat gehabt, so die Sprechstundenhilfe aus der Filialpraxis. Nachdem er zu ihr gesagt habe, sie sei "asozial und doof", habe sie sofort aufgelegt. Sie habe auch den Kolleginnen gesagt, sie sollten nicht mehr ans Telefon gehen, wenn eine bestimmte Vorwahl erscheint.

Am Tag darauf kommt der Mann in die Praxis. Als der Arzt mit ihm über seine "nicht adäquate Wortwahl" gegenüber seiner Ehefrau sprechen will, geht der Angeklagte wutentbrannt, behauptet kurz darauf gegenüber der Arztfrau am Telefon, sie habe ihn die Treppe hinuntergeschubst. Am Abend erzählt er einem anderen Mediziner, der Orthopäde habe ihm einen Tritt versetzt. Eine Zeugin allerdings beobachtete, wie der 50-Jährige selbst auf der Treppe ohne Fremdeinwirkung ins Rutschen kam und sich dabei an der Hand verletzte.

Seit dem Jahr 2010 stand der Politikwissenschaftler immer wieder vor Gericht, weil er Notrufe blockiert und Menschen am Telefon beleidigt hatte. Laut Gutachter soll es mit der Alkoholabhängigkeit des Angeklagten zu tun haben, der offensichtlich unter Realitäts- und Kontrollverlust leidet, wenn er auf Entzug ist.

Noch einmal kommt er mit einer milden Strafe davon. Zehn Monate werden auf vier Jahre Bewährungsfrist ausgesetzt. Die Bedingung des Gerichts: eine stationäre Entgiftung und professionelle Alkoholentwöhnung.

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