Promotion mit 70 :Glückwunsch, Frau Doktor

Promotion mit 70 : Vor vier Jahren promovierte Heidrun Franz (li.) mit 70 Jahren an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Vor vier Jahren promovierte Heidrun Franz (li.) mit 70 Jahren an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

(Foto: Privat/oh)

Die Geretsriederin Heidrun Franz hat sich einen Traum erfüllt: Sie studiert mit 60 Jahren und promoviert mit 70. Sie sagt: "Es braucht schon Mut".

Von Klaus Schieder

Manche Träume gehen spät in Erfüllung. Heidrun Franz hatte sich immer gewünscht, ein Studium zu absolvieren. Ungefähr so, wie man sich wünscht, im Leben eine Weltreise zu unternehmen, irgendwann, wenn dafür mal Zeit ist, dereinst. Mehr als drei Jahrzehnte lang kümmerte sich die Geretsriederin um ihre Familie, stellte ihr großes Ziel hintan. Aber als ihre Kinder aus dem Haus waren, "da dachte ich, jetzt bin ich dran", sagt sie. An der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München studierte sie Philosophie und schrieb mit 60 Jahren ihre Magisterarbeit über die Tölzer Mühlfeldkirche. Daraus wurde ein Buch, das die Autorin auf Einladung des Historischen Vereins Bad Tölz in der Franzmühle vorstellte.

"Es braucht schon ein bisserl Mut", sagt die mittlerweile 74-Jährige, die vor vier Jahren auch noch promoviert hat. In den Hörsälen der Universitäten sitzen etliche Zuhörer älteren Semesters, aber nur selten Senioren, die wirklich ein Studium durchziehen. Dr. Heidrun Franz war anfangs etwas ängstlich zumute, aber das mulmige Gefühl hat sich nach den ersten Prüfungen gelegt. "Es stellt sich ein Sog ein, und dann läuft es." Die Verwirklichung ihres Traums, den sie ein halbes Leben lang gehegt hatte, barg keine Enttäuschung. Das Studium habe ihr "wahnsinnig viel Spaß" gemacht, sagt sie. "Es war die schönste Zeit meines Lebens." Dazu trug auch bei, dass sie von den jungen Studenten ohne Wenn und Aber akzeptiert wurde. Diese seien auf sie zugegangen und hätten gesagt: "Mensch, Heidi, du fällst überhaupt nicht auf", sagt Franz. "Du stehst die ganze Zeit auf gleicher Stufe."

Das einzig Ungewöhnliche war das Thema ihrer Magisterarbeit. Eine kleine Barockkirche im Fach Philosophie? Es sei möglich gewesen, den Abschluss ins Fach Kunstinterpretation zu legen, sagt die 74-Jährige. Damit nicht genug: Über ihre Kunstprofessorin kam sie danach an die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, wo sie ihre Doktorarbeit wieder im Fach Kunstgeschichte schrieb. Sie befasst sich darin mit einem Altarretabel aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert, das im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart zu sehen ist. Der Altaraufsatz wurden von dem Astrologen und Astronomen Marcus Schinnagel geschaffen - "eine wahnsinnig spannende Sache", sagt Franz.

Die Mühlfeldkirche hatte sie schon früh im Blick. Als Schülerin besuchte sie das Tölzer Gymnasium und hatte das Gotteshaus oftmals vor Augen, wenn sie im Klassenzimmer aus dem Fenster sah. "Auch die Schulgottesdienste waren in der Mühlfeldkirche, daher kannte ich das Deckengemälde." Das Chorfresko "Maria Helferin der Kranken" stammt aus dem Jahr 1737 und wurde von Matthias Günther geschaffen. Das Kunstwerk nimmt breiten Raum ein in ihrem 120 Seiten starken, reich illustrierten Buch "Die Geschichte der Mühlfeldkirche in Bad Tölz", das von Franz Roeckl, dem Historischen Verein und der Stadt gesponsert wurde. Mit dem barocken Gotteshaus habe sich die Autorin "die vielleicht lieblichste der Tölzer Kirchen" ausgesucht, sagte Claus Janßen, Vorsitzender des Historischen Vereins, bei der Präsentation in der Franzmühle. Heidrun Franz habe nicht einfach "aus dem 19. Jahrhundert abgeschrieben", sondern sie sei in die Archive gegangen, habe Akten über Akten gewälzt und sich richtig Mühe gemacht - "aufwendige Fieselarbeit". Herausgekommen ist ein Buch, das in wissenschaftlicher Akribie nicht bloß Bilder, Reliquien, Altäre beschreibt und erläutert. Zum Beispiel die zwei "Silbernes Tölz" genannten Votivtafeln, die "auf keinen Fall unerwähnt bleiben dürfen, wenn man über die Mühlfeldkirche spricht", wie Franz sagt. Vor allem erfährt der Leser immer wieder interessante Begebenheiten aus der Lokalhistorie - kleine Farbtupfer auf dem Gemälde der großen Geschichte.

Da sind der Zimmermann Thomas Wörschhauser und der Schlosser Georg Steinlin, die 1631 - mitten im Dreißigjährigen Krieg - an einem Biertisch in Tölz hocken und auf die Idee kommen, eine Kapelle zu bauen: Der eine will eine ganz kleine, wo bloß ein Gläubiger hinknien kann, der andere ein etwas größeres Kirchlein. Heidrun Franz erzählt vom Gerichtsstreit zwischen dem Tölzer Magistrat und dem Pflegsverwalter Eremiasus Paur, als die Kapelle "Unser Lieben Frauen auf dem Mühlfeld" nach Kriegsende erstmals erweitert wurde. Wohl nicht zuletzt wegen des Gnadenbildes der Mutter Gottes mit Jesuskind aus dem Jahr 1632, dem Wunderwirksamkeit zugeschrieben wurde, hatte das Kirchlein einen großen Andrang erlebt - im Prozess ging es unter anderem um die Frage, wer die Verwaltung und damit auch die Einnahmen bekam. Da ist die Junggesellenbruderschaft, die vom Tölzer Pfarrer, Franz Xaver Freyherr von Eckher, gegründet wurde. Von dieser 3000 Mitglieder zählenden Kongregation, der auch verheiratete Männer, ja sogar Frauen angehörten, zeugen heute noch der Kreuzweg und die Prozessions-Barette. Da sind der Kaufmann Anton Niggl und seine Frau Antonia, die in der Säkularisation eine Monstranz und einen Kelch für 129 Gulden kauften, um sie für den liturgischen Gebrauch zu retten. Und da ist noch einmal der Maler Matthias Günther, der sich im Deckengemälde am unteren Rand vermutlich selbst als Pilger dargestellt hat. Der Hund neben ihm trage im Halsband ein großes M, außerdem habe der Pilger eine Kerbe im Kinn, wie sie auch in einem Selbstporträt Günthers aus späteren Jahren zu sehen sei, so Franz.

Für ihre Magisterarbeit hat sich die 74-Jährige ein Thema ausgesucht, das in Bad Tölz überraschend gut ankommt. Eine halbe Stunde vor ihrem Vortrag stehen wenige Stuhlreihen im Saal der Franzmühle, aber schon bald müssen immer mehr Sitzgelegenheiten herbeigeschafft werden: Am Ende sind es mehr als 70 Zuhörer, die ihr aufmerksam lauschen, so viel Publikumsandrang hat der Historische Verein sonst nur gelegentlich. Ihre Arbeit, sagt sie, sei ein Stück Kirchengeschichte, ein Stück Kunstgeschichte, ein Stück Heimatgeschichte. Den zuletzt wieder arg strapazierten Begriff Heimat verteidigt sie gegen Missbrauch: "Heimat ist nicht nur ein Verankertsein in der Region, sondern ein Verankertsein in der Gesellschaft."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: