Süddeutsche Zeitung

Projekt zur "Baukultur":Kino im Hallenbad, Leben in der Molkerei

Wiener Architekturstudenten haben sich mit der Entwicklung Dietramszells beschäftigt - und kreative Ideen entwickelt, die viele Bürger begeistern.

Von Petra Schneider

Der sperrige Titel trügt, denn das Leader-Projekt "Baukulturregion Alpenvorland" hat in Dietramszell für eine regelrechte Aufbruchsstimmung gesorgt. Wie wollen wir in Zukunft in ländlichen Regionen leben, und wie könnte das in Dietramszell konkret aussehen? Diesen Fragen widmet sich das Projekt unter Federführung von Elisabeth Leitner, an dem sich Dietramszell als einzige Kommune im Landkreis beteiligt. Neben Workshops und einem "Baukultur-Stammtisch" war auch eine Kooperation mit Architekturstudenten der TU Wien Teil des Projekts, die ihre Ergebnisse am Freitag präsentierten. Der frische Blick von Außen gab neue Impulse, die von den Bürgerinnen und Bürgern im vollen Pfarrsaal St. Martin für Begeisterung sorgten.

Eine Koi-Karpfenzucht oder ein Kino im Hallenbad in Ascholding? Eine neue Fußgänger- und Radbrücke über die Isar bei Ascholding? Ein Mehrgenerationenwohnen samt Indoor-Spielplatz in der ehemaligen Molkerei in Baiernrain? Die 16 Studierenden präsentierten viele kreative Ideen, die sich vermutlich nicht alle umsetzen lassen. Von Luftschlössern konnte freilich keine Rede sein; die jungen Leute hatten sich in nur zwei Monaten gründlich mit den verschiedenen Ortsteilen und möglichen Problemfeldern auseinander gesetzt, ihre Überlegungen bei einem einwöchigen Aufenthalt in der Gemeinde konkretisiert, mit Bürgern gesprochen und Präsentationen erarbeitet. Die originellste Idee unter dem Motto "Ob' zapft is" präsentierte eine Gruppe für das Ascholdinger Hallenbad. Laut ihren Kalkulationen wären 30 000 Euro nötig, um aus dem maroden Bad, das in absehbarer Zeit trocken gelegt wird, einen Veranstaltungsraum für 250 Leute zu machen, zum Beispiel für einen "Pflanzen-Bazar". Mit weiteren 50 000 Euro für Event-Technik und eine zweite Fluchttür könnte dort das "erste Dietramszeller Kino" für bis zu 450 Zuschauer entstehen. Möglich wäre im Becken auch "Aquaponik", eine Kombination von Süßwasserfischzucht und der Kultivierung von Gemüse und Salat.

Auch an das heikle Thema Hindenburg hatte sich eine Gruppe gewagt. Ihr Vorschlag: Den Bronzekopf noch einmal aus dem Keller der Familie Schilcher holen, ihn bei der Eröffnung des geplanten Geschichtswegs kopfunter an seinem ursprünglichen Platz an der Klostermauer anbringen, allerdings nur provisorisch. Eine Art finaler Performance, denn anschließend sollte die Hindenburg-Bronze nach Ansicht der Studenten für immer in einem Museum verschwinden und die Inschrift an der Klostermauer mit einer Infotafel verdeckt werden.

Die Gruppe hatte sich auch Gedanken zur Gestaltung der Dorfmitte gemacht und die aktuellen Pläne berücksichtigt. Die Wiener finden nicht alles gelungen: Die Pläne, die Angerwiese mit einem Fußweg zu "durchschneiden" nehme dem Areal viel Potenzial; denn es könnte als variable Fläche für Veranstaltungen und Feste genutzt werden. Dazu müsste freilich auch der dort geplante Geschichtspfad verlegt werden. Die Studenten schlagen statt eines linearen Wegs einen Rundgang vor, mit in der Dorfmitte verteilten Infotafeln an den historischen Stationen. Der Platz vor dem neuen Eiscafé, das sich zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt, könnte mit mehr Sitzgelegenheiten und Spielgeräten aufgewertet werden.

Großen Anklang fanden die Ideen, die die Studenten für die seit Jahrzehnten leer stehende Molkerei in Baiernrain entwickelt hatten. Sie sehen den großen Gebäudekomplex, der sich in Privateigentum befindet, als ein Modell für gemeinschaftliches Leben und Arbeiten: In dem lang gestreckten Hauptkörper, in dem bereits Wohnungen sind, könnten Gemeinschaftsformen wie Mehrgenerationenwohnen entstehen, Großraumbüros, eine Gemeinschaftswerkstatt und ein Indoor-Spielplatz. In der ungenutzten Tenne könnten sie sich einen Dorfladen und einen Platz für den Bauernmarkt oder einen Christkindlmarkt vorstellen. Das Dach zwischen Haupttrakt und Nebenbau sollte nach Ansicht der Studenten geöffnet und so ein Laubengang geschaffen werden. Der Gemeinderat dürfe diese Ideen doch bitte nicht in einer Schublade verstauben lassen, mahnte Zuhörerin Waltraud Bauhof, "das sind tolle Vorschläge."

Viele weitere wurden in der zweieinhalbstündigen Präsentation vorgestellt: E-Ladestationen und Ruftaxis, ein Ausbau des Fahrradnetzes und eine Fußgänger- und Radbrücke über die Isar bei Ascholding, die die Strecke nach Geretsried verkürzen würde. Mehr architektonische Vielfalt und mehr Qualität beim Bau neuer Ställe; Leerstände nutzen und Lücken schließen, statt gleich neue Wohngebiete auszuweisen. Ein neuer "AK Baukultur" soll sich nun in der Gemeinde weiter mit dem Thema beschäftigen.

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SZ vom 19.07.2021/aip
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