Projekt-Seminar:Geschichte vor der Haustür

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Geretsrieder Gymnasiasten erarbeiten eine eindrucksvolle Ausstellung über Föhrenwald-Waldram. Sie zeigen Anschauungsmaterial von der Bombe bis zum selbst gedrehten Film.

Von Felicitas Amler

Marika und Johanna am Eingang zur Ausstellung mit den Straßennamen, die in Föhrenwald dreimal wechselten, von der Nazi-Zeit in die DP- und dann in die Nachkriegszeit. (Foto: Hartmut Pöstges)

Yannick Dederichs und Tobias Hamm kennen das Badehaus vermutlich besser als mancher Nachbar des geschichtsträchtigen Gebäudes am Kolpingplatz in Waldram. Sie wissen über jedes einzelne Fenster und jede Stützmauer Bescheid. Die beiden 19-jährigen Schüler haben das 1939 errichtete Haus fast originalgetreu nachgebaut: aus Holz, Gips, Pappe und Papier, im Maßstab 1:25. Das Modell ist eines von vielen eindrucksvollen Ergebnissen eines Projekt-Seminars, das Geschichtslehrerin Eva Greif in den vergangenen eineinhalb Jahren am Gymnasium Geretsried geleitet und begleitet hat.

Ein Dutzend Schüler hat sich mit der Historie jener Siedlung befasst, die erst Föhrenwald, dann Waldram hieß: Mit dem Ort am Rande der Stadt Wolfratshausen, der in der Nazi-Zeit Rüstungsarbeiterlager war; an dem der Todesmarsch der Dachauer KZ-Häftlinge vorbeizog; der nach der Befreiung als Lager für Displaced Persons ein jüdisches Schtetl war und von Mitte der 1950er Jahre an kinderreichen Vertriebenen eine neue Heimat bot. Diese vier Geschichtsetappen führen die Geretsrieder Gymnasiasten in vier Räumen vor Augen. Die Ausstellung in der Aula der Schule wurde am Mittwochabend feierlich eröffnet.

Ein alter Holztisch mit Stühlen, daneben ein Stockbett: Skizzenhaft zeigt der Raum, den Marika Bruschek, 17, und Johanna Rau, 18, gestaltet haben, wie Zwangsarbeiter und sogenannte Dienstverpflichtete des NS-Regimes in den gleich gestalteten Föhrenwald-Häusern lebten. Ans Stockbett sind Schwarz-Weiß-Fotos gepinnt: Frauen, die ihre Beine aus Stockbetten baumeln lassen; Frauen, die an Tischen sitzen und die Köpfe zusammenstecken. Eva Greif konnte diese auch schon historischen Aufnahmen beitragen, denn ihre Mutter arbeitete seinerzeit in Föhrenwald.

Geschichte so nah erfahrbar zu machen, das war ein wesentliches Ziel dieser Projektarbeit. Und dies an einem Beispiel aus der unmittelbaren Nachbarschaft des Gymnasiums - der heutige Wolfratshauser Stadtteil Waldram grenzt an Geretsried, und die Arbeiter der NS-Zeit schufteten in den Geretsrieder Rüstungsbetrieben. "Geschichte vor der Haustür" nennt Johanna Raus Vater Bernhard dies. Er ist sehr zufrieden damit, dass seine Tochter einen so konkreten Geschichtsunterricht erhält. Und er ist stolz auf Johanna und deren Mitschüler: Es sei "phänomenal", was die Jugendlichen geleistet hätten, sagt er. Zu Hause habe er ja mitbekommen, wie Johanna sich über Wochen hinweg vorbereitet, wie sie in Archiven recherchiert und sich mit ihrer Aufgabe auseinandergesetzt habe: "Das ist nicht lernen, das ist das Thema aufbereiten", sagt er anerkennend.

Johanna sagt, sie interessiere sich sehr für die NS-Zeit. Was sie am meisten verblüfft habe, sei, aus wie vielen Ländern die Rüstungsarbeiter kamen: Polen und Russland, das sei ihr klar gewesen, aber Frankreich, Italien, Holland . . . Ihre Kooperationspartnerin Marika stimmt zu. Die ganze Arbeit habe viel an Erkenntnis gebracht: "Ich wusste vorher nur, dass da ein DP-Lager war, nicht, was es davor war."

Fotos und Dokumente, selbst gedrehte Filme und Zeitzeugengespräche, eine Bombe, die in den Geretsrieder NS-Rüstungsbetrieben hergestellt wurde, Zeittafeln, die das lokale Geschehen in den internationalen Zusammenhang einordnen - die Jugendlichen haben alles getan, um ihre Ausstellung so anschaulich wie möglich zu machen. Einer von ihnen, Colin Jatho, hat dazu ein typografisches Logo geschaffen mit einem braunen und leicht überwucherten Schriftzug FöhrenWaldram vor grünem Hintergrund.

Eva Greif, die engagierte Geschichtslehrerin, die selbst in Waldram lebt, hat eigens ein Lied über diesen Ort getextet, das ihre Kollegin Conny Schubert vertont hat. Gemeinsam trugen sie es zur Ausstellungseröffnung vor: "Ich schlendre durch den kleinen Ort, stell mir vor, wie es war, das Leben vor mehr als fünfzig Jahre . . ." Und genau das wissen ihre Schüler jetzt: wie es war, das Leben in Föhrenwald und Waldram.

© SZ vom 18.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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