Pop-up-Festival:Kunst im Kollektiv

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Lea Wilfsdorfs Handy-Installation erschließt sich dem Besucher nur im Liegen.

(Foto: Nila Thiel)

Elena Carr und "Komplizen" beim Pop-up-Festival in Berg

Von Ute Pröttel, Berg

Lea Wilsdorf freut sich. Die gelbe Yogamatte, die sie im ehemaligen Heulager des Berger Marstalls ausgerollt hat, wird rege benutzt. Vernissagebesucher jeden Alters rollen sich auf die leuchtend gelbe Unterlage. Sie ist Teil einer Medieninstallation von Wilsdorf. Das Kopfteil der Matte liegt unter einem ausgedienten Glas-Couchtisch, darauf im Karree vier Handys mit Display nach unten. Nur wer sich mit dem Rücken auf die Matte legt, kann die Installation ganz wahrnehmen.

Wilsdorf ist eine "Komplizin" der Künstlerin Elena Carr. Für die vierte Auflage der "Pop-up-Kunst im Berger Marstall" hat Kuratorin Katja Sebald die Starnbergerin Elena Carr und ihre "Komplizen" eingeladen, das Heulager unter dem Dach des ehemaligen königlichen Reitstalls zu bespielen. Herausgekommen ist eine junge frische Ausstellung, in der 14 Kunstwerke von fünf Künstlern miteinander in Verbindung treten. Nicht jede Arbeit ist für die Ausstellung neu entstanden.

Mit einem Heulager hat die Örtlichkeit nichts mehr gemein. Eher wirkt der mit großen Lichtschächten versehene, von alten Holzbalken durchzogene Raum mit hellem Boden wie ein schickes Loftatelier. Genau 43 Stufen führen hinauf. Besonders empfehlenswert ist ein Besuch der Ausstellung zur blauen Stunde.

"Lea Wilsdorf konzipiert vom Handy aus", so stellt Kuratorin Sebald die gebürtige Augsburgerin vor. "In kurzen Videos hält sie Beobachtungen vom Objekt Handy, dessen Verwendung, Sog und Beweglichkeit wie auch Stillstand fest." Wilsdorf, Jahrgang 1992, studiert ebenso wie Elena Carr an der Akademie der bildenden Künste in München. Für ihre Examensausstellung fertigte Carr ein "Telefonbuch" an, in dem sie all ihre "Komplizinnen und Komplizen" auflistete.

Informationen zu den im Kollektiv entstandenen Arbeiten gab es per Telefonnummer. Für die Pop-up-Kunst hat Carr nun einige dieser Leute zum "Komplott unterm Dach" eingeladen. Neben Lea Wilsdorf sind auch Jonas Beutlhauser, Marius Meusch und Lorenz Schreiner beteiligt.

Während man landläufig unter Komplott eine heimliche Verabredung zu gemeinsamem Handeln, nicht selten in böser Absicht versteht, überhöhen die "Komplizen" den Begriff zur "bewussten Verknäulung, Verkomplottierung, Verkomplizierung". Sie verabreden sich zu gemeinsamen Kunstaktionen. So entstanden die Gruppenzwangsjacke oder die Kunstzeitung "Oral History", eingespannt an einem Holzhalter, als Gemeinschaftswerke. Sie werden später auch Teil der Performance "Moritat am Apparat, Gebrüder Gandorfer & Komplizinnen" am Samstagabend sein. Die Performer sind Marius Meusch, Elena Carr und Jonas Beutlhauser.

Beutlhauser ist es auch, der durch die Hintertür Oskar Maria Graf in die Ausstellung geschleust hat. Der 1990 in Straubing geborene Beutlhauser absolviert seit 2017 den Masterstudiengang "Kunst und ihre Vermittlung" an der Münchner Akademie der Bildenden Künste. In seinem Masterprojekt beschäftigt er sich mit "Postakademischen Figuren". Hierbei ist er auf Gusto Gräser gestoßen. Der deutsch-österreichische Künstler (1879 bis 1958) gilt als Vater der Alternativbewegungen. Der Aussteiger war Mitbegründer der Reformsiedlung Monte Verità bei Ascona, die auch Oscar Maria Graf besuchte. Und Gräser taucht sogar im literarischen Werk von Graf auf. In "Wir sind Gefangene" beschreibt Graf in dem Kapitel "Im Sumpf" einen Besuch bei seinem Malerfreund Georg Schrimpf. In dessen Münchner Atelier hatte sich ein Naturmensch eingenistet, über den Schrimpf und Graf sich bestens amüsierten, eben Gusto Gräser. Beutlhauser hat sich intensiv mit Gräsers Sprachfundus auseinandergesetzt und Gräser-Zitate wie "Wichtig Wicht" oder "Üppigkeit & Übel stecken in einem Kübel" in seiner Kunst wieder aufleben lassen. Die offenen Werke dieser jungen, aber bestens informierten Künstlergeneration, die mit dieser Ausstellung im Marstall aufploppen, fordern von ihrem Betrachter, dass er sich ihren Fragen stellt, sich positioniert - im Extremfall auf dem Rücken liegend - und eine Haltung einnimmt.

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