Im März 2020 werden ein neuer Landrat, neue Bürgermeister, Gemeinde-, Stadt- und Kreisräte gewählt. Die Suche nach Kandidaten hat begonnen. Aber das Ansehen des Ehrenamts als Stadt- oder Gemeinderat hat gelitten. Einer der Gründe dafür ist, dass es vielen Bürgern nicht schnell genug geht mit Entscheidungen und deren Realisierung. Aber auch der Zeitaufwand, schlechte Stimmung in manchen Gremien oder das Anspruchsdenken der Bevölkerung hält viele davon ab, sich aufstellen zu lassen und Verantwortung zu übernehmen. Professor Ursula Münch, die Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, bricht eine Lanze für die Kommunalpolitik.
SZ: Verkehrskonzepte, Freizeitkonzepte, Umweltkonzepte, Wohnbaukonzepte - ohne Konzepte kommt offensichtlich keine Kommune mehr aus. Und ohne externe Planer schon gar nicht mehr. Trauen sich Kommunalpolitiker nicht mehr, selbst Entscheidungen zu fällen? Man könnte meinen, Planungsbüros haben die Verantwortung über die Städte und Dörfer übernommen.
Ursula Münch: Tatsächlich werden die Materien komplizierter, die Anforderungen an die Kommunen höher. Es werden viele Vorgaben gemacht, ob es um Umwelt oder Generationengerechtigkeit geht. Aber das sind auch unsere eigenen Anforderungen. Wir Bürger sagen doch, müssen sie das Loch jetzt machen, und nächstes Jahr graben sie wieder auf. Damit das nicht passiert, braucht es einen Plan. Es gibt so viel zu bedenken: Wird die Gemeinde nur noch außen besiedelt? Wie verhindern wir, dass Ortsmitten veröden? Wie schafft man Wohnraum für die Einheimischen? Wie hält man auch deren Kinder am Ort? Das kann man nicht spontan entscheiden. Die oft lange Planung ist nicht böser Wille, sondern der Versuch, stimmige Kommunalpolitik zu machen.
Sind dann Laien, wie es ja ehrenamtliche Gemeinde- und Stadträte sind, schlicht und einfach überfordert?
Natürlich wächst man in das Amt hinein. Man lernt, wie man einen Bebauungs- oder einen Haushaltsplan liest. Das setzt Interesse voraus, eine gewisse Leidensfähigkeit, und natürlich darf man nicht auf den Kopf gefallen sein. Außerdem braucht es die Bereitschaft, sich von anderen etwas sagen zu lassen. Auf alle Fälle kostet das Amt viel Zeit.
Für die es lediglich eine Aufwandsentschädigung gibt.
Sich als Gemeinderat oder Stadtrat zu engagieren, ist ein Ehrenamt, das kann man nicht oft genug betonen. In der Bevölkerung wird das viel zu wenig wahrgenommen.
Dafür kritisieren die Bürger sehr schnell und vergreifen sich dabei nicht selten im Ton.
Die Ansprüche der Bürger sind unheimlich hoch. Wir haben eine gebildete, selbstbewusste und streitbare Bevölkerung, gerade in unserem begnadeten Landstrich. Hier vor Ort leben kluge Leute, die ihre Eigeninteressen vertreten und sich einmischen, aber andererseits selbst nicht in die Verantwortung treten wollen. Ihre Kritik tun sie dann kund, beschweren sich, schreiben Leserbriefe, verbinden sich online ganz schnell mit anderen und überschütten diejenigen, die Verantwortung übernehmen, mit Häme. Kein Wunder, dass dann mancher Stadtrat oder Gemeinderat sagt: "Wisst ihr was, das tu ich mir nicht mehr an."
Das wirkt sich ja auch auf die Stimmung in den Gremien aus.
Ja, und die schlechte Stimmung spricht sich auch wieder herum. Das ist keine gute Werbung für das Ehrenamt und hält sicher viele davon ab, sich kommunalpolitisch zu engagieren.
Um unliebsame Diskussionen zu vermeiden, greifen Gemeindechefs gern zum Mittel der nichtöffentlichen Sitzung oder zu Klausuren.
Stimmt, das ist ein großes Problem, eben, weil die Materien so komplex sind. Man muss so viele verschiedene Interessen unter einen Hut bringen. Dann einigt man sich intern, aber die Transparenz geht dabei natürlich verloren. Und das stößt wiederum auf Unverständnis der Bürger. Da geraten dann zwei Welten aufeinander. Der Gemeinderat will schnell und effizient sein, da "stört" Öffentlichkeit natürlich. Gleichzeitig will die Bevölkerung über alles informiert werden, beteiligt sich aber nur, wenn ihr etwas nicht passt.
Und traut "denen da oben" immer weniger.
Es hat sich ein unterschwelliges grundsätzliches Misstrauen eingeschlichen gegenüber "denen da oben". Aber: Die sind ja gar nicht "oben". Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, Gemeinderäte und Gemeinderätinnen sind Teil der Gesellschaft, die ihre Freizeit opfern, ohne dafür allzu viel Geld zu bekommen.
Wo ist eigentlich die Lust am konstruktiven Streit geblieben? Entweder es wird auf unterstem Niveau diskutiert wie in Starnberg, oder es wird nur abgestimmt ohne Debatte.
Das stellen wir überall fest. Das ist in der großen Politik so, aber auch im privaten Bereich. Da herrscht die Wahrnehmung vor, mit dem kann man überhaupt nicht mehr reden. Das stimmt meist nicht. Aber es würde Zeit und Geduld brauchen. Die nehmen wir uns nicht mehr.
Ein Bürgermeister sollte also ein guter Moderator und Streitschlichter sein?
Er oder sie brauchen Kommunikationsgeschick mit Blick auf die Bürger, aber auch mit Blick auf die Ratsmitglieder. Und er oder sie sollten Konfliktmanagement beherrschen. Damit sind manche überfordert und stehen dann natürlich noch mehr unter öffentlicher Beobachtung. Beispiel Starnberg: Wegen des Tunnelstreits gibt es so viele offene Gräben und Gruppierungen, die nicht mehr miteinander reden. Die Fronten sind so verhärtet, da findet man ohne Konfliktmediation nicht mehr raus.
Dabei drängt sich manchmal der Eindruck auf, es gebe sowieso keinen Unterschiede mehr zwischen den Fraktionen.
Auf Gemeindeebene braucht man nicht unbedingt ein Parteibuch. Das ist ja auch der Wunsch der Bevölkerung. Darum gibt es auch so viele freie Wählergruppen. Ein Tunnel ist weder schwarz noch rot noch grün noch gelb noch blau. Da geht es um Interessen: Nutze ich den Tunnel, oder wohne ich daneben. Da spielt das Parteibuch keine Rolle.
Aber sollten die Parteien denn nicht auch die Lust an der Kommunalpolitik wecken?
Wir stellen insgesamt eine Abkehr von Parteien und Institutionen fest. Damit geht viel verloren. Viele Ortsverbände können stolz darauf verweisen, dass ihre Mitglieder Sachverstand auf den unterschiedlichsten Gebieten haben. Das ist ein unheimliches Pfund, mit dem die Parteien wuchern könnten. Aber wir wissen auch: Nur vier Prozent aller Parteimitglieder sind aktiv, 96 Prozent treten nicht in Erscheinung. Hier liegt eine Ressource, die die Parteien viel mehr nutzen müssten.
Was könnten sie tun?
Ihre Aufgabe wäre es, vor Ort der Politikverdrossenheit entgegenzutreten. Den Mitgliedern das Gefühl zu geben, wir brauchen euch, euren Sachverstand und euer Umfeld. Aufgabe von Parteien ist es, die Verbindung zwischen Amts- und Mandatsträgern und der Bevölkerung lebendig zu halten. Das haben die Parteien in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt.
Wäre der Wechsel zu den freien Wählergruppen eine Alternative?
Wenn wir nur noch kommunale Wählervereinigungen hätten, fehlte die Verbindung zur Landes- und Bundespolitik. Da brauchen wir uns dann nicht mehr zu wundern, wenn das Maximilianeum und der Bundestag keine Ahnung mehr haben von dem, was in den Kommunen passiert. Wie es uns und unseren Familien geht, ob wir im Stau stehen müssen, wie unsere Umwelt aussieht, das entscheidet sich fast alles auf kommunaler Ebene. Das sind die Gegenwarts- und Zukunftsthemen. Wenn vor allem die Volksparteien so abstürzen, hat das nicht nur mit Frau Kramp-Karrenbauer oder mit Frau Nahles zu tun, sondern auch mit der Arbeit der Parteien vor Ort.
Sollte politische Bildung nicht schon früher beginnen?
Kommunalpolitik gehört viel stärker in die Schulen hinein. Dort kann man den Kindern und ihren Eltern klarmachen, wie wichtig die Kommunalpolitik ist für das tägliche Leben. Dass die Gemeinde nicht nur Dienstleister ist, sondern wir alle Teil der Gesellschaft sind. Nicht nur die Gemeinde muss liefern, sondern jeder von uns.
2020 sind Kommunalwahlen. Werben Sie doch mal für das Ehrenamt.
Das Tolle im Gemeinderat und Stadtrat ist, dass man so viel erreichen und gestalten kann. Viele Frauen verbringen ihre Zeit im Elternbeirat von Krippe, Kindergarten und Schule. Ihnen sage ich: Schickt eure Männer dort hin und geht in den Gemeinderat. Dort könnt ihr für eure Familien viel mehr bewirken. Aber man muss auch den Wählern deutlich machen, dass zur Stärkung der Kommunalpolitik ein anderes Verhalten gehört. Nicht nur zu schimpfen, sondern denen Respekt zu zollen, die überhaupt noch bereit sind, das zu machen. Sonst haben wir irgendwann niemanden mehr oder nur noch die letzten Luschen. Das wollen wir alle nicht.