Süddeutsche Zeitung

Politik im Landkreis:Dialog der anderen Art

Bürger-Fragerunden dürfen nicht in Ratssitzungen eingebettet sein

Von Felicitas Amler, Geretsried

Eine Anfrage aus Münsing hat den Stein ins Rollen gebracht: Das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen hat die Kommunen im Landkreis darauf hingewiesen, dass Bürgerinnen und Bürger keinen Anspruch auf Rederecht in oder nach öffentlichen Ratssitzungen hätten. Auch Frage-Viertelstunden, wie sie verschiedentlich üblich sind, seien unzulässig. Die Behörde verweist auf Artikel 52 der Bayerischen Gemeindeordnung. Demnach gehört die Beantwortung von Bürgerfragen "zur Organisationsgewalt des ersten Bürgermeisters". Der Gemeinde- oder Stadtrat habe hingegen "keine Organkompetenz".

Das Landratsamt hat diesen Hinweis, wie Sprecherin Marlis Peischer sagt, am Montag an die Bürgermeister versandt. Schon eine Woche zuvor hatte der Geretsrieder Bürgermeister Michael Müller (CSU) in der konstituierenden Sitzung des dortigen Stadtrats dafür gesorgt, dass die Aktuelle Viertelstunde, die bislang auf der Tagesordnung jeder Plenarsitzung gestanden hatte, abgeschafft wurde. Bei einigen Stadträten hatte dies Verärgerung ausgelöst. Müller hatte betont, der Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern stehe weiterhin im Vordergrund. Neben der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verwies er auf Bürgerversammlungen, Bürgersprechstunden, Stadtteilbesuche und "weitere Formate auch unter Einbeziehung neuer technischer Möglichkeiten".

Die Kommentatoren der Gemeindeordnung, Julius Widtmann und Walter Grasser, zeigen noch einen Weg auf, wie Bürger beteiligt werden können. Demnach sei eine Fragerunde vor der Ratssitzung zulässig, wenn sie organisatorisch von dieser getrennt wird. Es müsse ein "ausreichender" Abstand gegeben sein. Im Übrigen könnten dann, so die Kommentatoren, Fragen zu allen Themen der kommunalen Selbstverwaltung gestellt werden; sie brauchten sich nicht auf die nachfolgende Tagesordnung zu beziehen. Dies war in Geretsried anders gehandhabt worden. Bürgermeister Müller wies Besucher, die in der Aktuellen Viertelstunde andere Themen anschnitten als die in der Sitzung behandelten, zurück. Nach einer Übersicht aus dem Geretsrieder Rathaus wurde die Aktuelle Viertelstunde in der vergangenen Amtszeit während insgesamt 72 öffentlichen Stadtratssitzungen elfmal für Fragen genutzt. Demgegenüber stehen die beinahe wöchentlichen Bürgersprechstunden, die 810 Mal in Anspruch genommen worden seien.

In Geretsried hatte sich die Fragerunde stets an die Sitzung angeschlossen. In Wolfratshausen und Eurasburg findet sie bereits vor der Sitzung statt, in Penzberg zudem ausdrücklich mit einer Viertelstunde Abstand. Das Landratsamt habe den Sachverhalt aktuell überprüft, da es eine Anfrage der Gemeinde Münsing dazu gegeben habe, so Peischer.

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Quelle:
SZ vom 15.05.2020
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