Süddeutsche Zeitung

Pfadfinder in Königsdorf:Seit 70 Jahren eine ukrainische Zweitheimat

Kinder und Jugendliche des Pfadfindervereins Plast erleben in den Wäldern um Königsdorf Abenteuer. Oft waren schon die Eltern hier.

Von Anna Ludwig, Königsdorf

"Auch wenn es ein wenig kitschig klingt, es ist immer wie ein Gefühl von Heimkommen", sagt Agatha Heinold, Jugendleiterin des ukrainischen Pfadfinderlagers "Plast". Vielen dürften in den vergangenen Wochen die großen Massen an jungen Pfadfinderinnen und Pfadfindern in der Jugendsiedlung Hochland bei Königsdorf aufgefallen sein. Das zwölfte Jugendlager des Bunds der Pfadfinder fand dieses Jahr in Königsdorf statt. Zeitweise tummelten sich dort 5000 Jugendliche. Doch kaum jemand war sich des kleinen versteckten Waldwegs im hinteren Teil des Lagers bewusst, der zu einer abgelegenen Lichtung führte. Dort, umringt von Bäumen verbringt eine andere Pfadfindergruppe bereits seit mehreren Jahrzehnten ihre Sommer in der Region.

Mit den Betreuern und Mitarbeitern lebten von 31. Juli bis 13. August etwa 180 junge Leute zwei Wochen lang auf dem Zeltplatz und genossen das Beisammensein im Umfeld des Waldes. Darunter auch Geflüchtete aus der Ukraine. Agatha Heinold und Uljana Kovalchuk gewähren einen Einblick in das Leben eines ukrainischen Pfadfinderlagers. Wie zuvor schon ihre Eltern sind die beiden und ihre Geschwister seit ihrer Kindheit bei der Pfadfindergemeinschaft "Plast"; sie besuchen Königsdorf bereits seit mehr als zehn Jahren.

Der ukrainische Pfadfinderverbund feierte 2012 sein 100-jähriges Bestehen. Mittlerweile hat sich die Organisation in verschiedenen Ländern auf der ganzen Welt ausgeweitet und in einigen davon bereits weitere Zeltlager organisiert, beispielsweise in Polen oder Kanada. Dieses Jahr findet das Zeltlager in Königsdorf zum 70. Mal statt - für das Team von Plast ein weiteres Jubiläum.

Während ihrer Zeit in Königsdorf war vor allem ein entspanntes Zusammenleben das Ziel. Die Kinder sollten sich wohl fühlen und ihre Kultur in einem fremden Land wiederfinden können. Dies soll vielen ein Stück Sicherheit geben. "Es ist immer faszinierend zu sehen, wie aus diesen 80 teilweise fremden Kindern spätestens ab dem dritten Tag wirklich eine Familie geworden ist", bemerkt Uljana Kovalchuk.

Ähnlich wie im Lager des großen Pfadfindertreffens nur wenige hundert Meter entfernt waren auch hier Ausflüge geplant. So besuchten die Teilnehmenden die Rodelbahn am Blomberg, unternahmen eine zweitägige Wanderung zur Tutzinger Hütte und betätigten sich im Kletterwald. Im Camp lernten die Kinder und Jugendlichen praktische Dinge wie Pflanzenkunde, Kartenlesen oder das Konstruieren der Holztore am Eingang. Zum kreativen Ausgleich spielten sie Theater oder malten im ukrainischen Stil der Petrykiwka. Die Abende verbrachten die Gruppen an einem großen Lagerfeuer. Dort sangen sie Lieder aus der Heimat, spielten, führten Sketche auf oder rezitierten Gedichte. Auch feierten sie das ukrainische Sommersonnenwendfest Ivana-Kupala. Hierfür durften alle Jugendlichen ihre ukrainische Tracht mitbringen. Gemeinsam flochten sie sich traditionelle Blumenkränze, sangen Lieder, und die Mutigsten unter ihnen sprangen über das Lagerfeuer.

Für gewöhnlich dürfen maximal 50 Kinder und Jugendliche an dem Camp teilnehmen. Dieses Jahr erhöhten die Organisatoren die Plätze auf 78, so konnten auch Geflüchtete aus der Ukraine dabei sein. Auf Meetings für die Betreuer des Lagers wurde diesen erklärt, wie sie mit traumatisierten Kindern umgehen sollten. Ziel ist es, für die Kinder eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Für viele ist ein Heimatgefühl wichtig. Innerhalb des ukrainischen Camps sprechen die Teilnehmenden ihre Muttersprache.

Trotz ausgebauter Kapazitäten mussten die Veranstalter die Anmeldungen weiterer 50 Interessenten ablehnen. Reduzieren wollen Agatha Heinold und Uljana Kovalchuk das Zeltlager in Zukunft jedoch nicht mehr. Sie sind überzeugt, dass es weiter wachsen wird. "Wir sehen nach diesen zwei Wochen, wie es gelaufen ist und worauf wir das nächste Mal bei der Organisation achten müssen; was wir besser machen können", sagt Kovalchuk. Die Organisation ist aus ihrer Sicht zwar anstrengend, aber auch erfüllend.

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