Die Bundesregierung hat das Ziel, den aus erneuerbaren Energien gewonnenen Strom bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei die Windkraft. Mit dem „Wind-an-Land-Gesetz“, das am 1. Februar 2023 in Kraft trat, soll der Ausbau forciert werden. Das bringt die Bundesländer in Zugzwang, denn ihnen wurden Flächenziele für die Ausweitung der Windenergie zugewiesen. Doch nicht in allen Landstrichen weht eine steife Brise, um Windräder auch wirtschaftlich sinnvoll nutzen zu können. Das macht die Suche nach sogenannten Vorrangflächen nicht gerade einfach. In Bayern wurde die Aufgabe, geeignete Areale zu finden, den Planungsverbänden zugewiesen.
Einer davon ist der Planungsverband Region Oberland (Region 17). „Die Windkraft ist kein Sonnenscheinthema“, sagt dessen Vorsitzender, der Tölzer Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler). Zank sei programmiert – das zeigten schon die lebhaften Diskussionen bei den Treffen der Verbandsmitglieder. Und auch die Kritik, dass der Süden Bayerns eine Vorgabe aus Berlin übergestülpt bekommen habe, deren Vollzug große Probleme mit sich bringe.
Zunächst einmal ist Niedermaier froh darüber, dass Bayern die staatliche Aufgabe, nämlich die Suche nach Vorrangflächen, nach unten delegiert hat. „Bei allen Widrigkeiten des Föderalismus ist es mir schon lieber, die Entscheidung liegt bei uns.“ Die Alternative wäre gewesen, der Freistaat erstellt zentral einen Plan, wo Windräder errichtet werden dürfen – ohne großes Mitspracherecht der Landkreise, Städte und Gemeinden. Nun liegt es an den Kommunen, das vorgegebene Soll zu erbringen. In jedem Bundesland ist ein prozentualer Anteil der Landesfläche für die Windenergie an Land auszuweisen. Nach dem Windenergieflächenbedarfsgesetz sind die Planungsregionen in Bayern verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2027 jeweils 1,1 Prozent ihrer Fläche für Windenergie auszuweisen. Weitere 1,8 Prozent der Landesfläche sollen bis Ende des Jahres 2032 folgen. Die Staatsregierung hat bisher allerdings nur festgelegt, dass jeder der 18 regionalen Planungsverbände auf seinem Gebiet das erste Ziel erreichen muss. Wie es danach weitergeht, ist offen.
Den Planungsverbänden obliegt die Regionalplanung nach dem Bayerischen Landesplanungsgesetz und dem Landesentwicklungsprogramm (LEP). Gemäß Letzterem sind in den Regionalplänen nicht nur Vorranggebiete für die Errichtung von Windenergie-Anlagen festzulegen, es können ferner Ausschlussgebiete bestimmt werden. Die Region 17 umfasst die Landkreise Garmisch-Partenkirchen, Weilheim-Schongau, Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach.
Besondere Schwierigkeiten bereiten in diesen Überlegungen jene Ausschlussgebiete, auf denen aus diversen Gründen keine Windräder aufgestellt werden können oder dürfen. Davon gibt es in der Region eine ganze Menge. Ein Argument, warum Anlagen nicht überall sinnvoll sind, liegt auf der Hand: Ein Windrad ist nur dort effizient, wo auch ein entsprechend starkes Lüftchen weht. Allein daran hapert es schon in der Region Oberland. Windräder erfüllen ihren Zweck, wenn die Luftströme gleichmäßig in eine Richtung blasen, Verwirbelungen dieser Ströme machen die Standorte für potenzielle Investoren uninteressant. „Wir haben nun mal wenig Wind und viele Wirbel“, lautet das Fazit Niedermaiers, der auch Sprecher der bayerischen Planungsverbände ist. Im Süden weht generell durchschnittlich weniger Wind (vor allem im Alpenvorland), und in Teilen Niederbayerns sind die Windstärken zu schwach für einen wirtschaftlichen Betrieb entsprechender Anlagen.
Es fehlten „klare Standards“, sagt Niedermaier
Auf den Bergen, ja, sagt Niedermaier, da blase der Wind natürlich ordentlich. Doch die seien nicht nur durch den Alpenplan geschützt. Kein Investor könnte es sich finanziell leisten, die Bauteile für Windräder ins Gebirge zu schaffen, dort aufzubauen und zu betreiben. Vor allem könnten die Bauteile nicht mit einem Hubschrauber in diese Höhen transportiert werden. „Das ist technisch nicht möglich“, so der Verbandsvorsitzende.
Auch die Belange des Naturschutzes haben für sich betrachtet die möglichen Aufstellungsflächen in den vier Landkreisen drastisch zusammenschmelzen lassen. Wiesenbrüter, Raufußhühner, wahlweise Steinadler oder Rohrweihen – die Liste bedrohter und schützenswerter Arten ist lang. Bei Vögeln muss jedoch ausgeschlossen sein, dass sie durch die Rotorblätter der Windräder in Gefahr kommen. Hoffnung hatten sich die Planungsverbände gemacht durch einen Vorstoß des Bayerischen Landesamts für Umwelt. Die Behörde erarbeitet Kriterien, unter welchen Bedingungen Windräder in Wasserschutz- und Naturschutzgebieten aufgestellt werden könnten. Das Ergebnis sei aber „leidlich“ und „der Regierung von Oberbayern nur bedingt bekannt“, sagt Niedermaier. Es fehlten „klare Standards“, obschon diese zugesagt worden seien. Ferner kritisiert er, dass sich Gesetze in diesen Fragen widersprächen.
In den vergangenen eineinhalb Jahren hätten militärische Belange „enorm an Gewicht“ gewonnen, erzählt der Tölzer Landrat. Auch dies sei ein Grund, warum Vorrangflächen aus der Planung fielen. Die Luftlande- und Lufttransportschule der Bundeswehr in Altenstadt ist so ein Beispiel. Es gab Pläne, den Standort aufzulösen. Daher wurde bereits 2015 dort ein Windenergie-Vorranggebiet im Regionalplan festgeschrieben. Vier Windräder waren im Sachsenrieder Forst vorgesehen. Doch die Bundeswehr bleibt in Altenstadt. Eine Untersuchung ergab, dass die Rotoren im „flugsicherheitsrelevanten Bereich“ des Flugplatzes liegen würden, und dass nicht nur die Maschinen beim Landeanflug, sondern auch Fallschirmspringer gefährdet seien. Dabei wehe in der westlichen Ecke des Landkreises Weilheim-Schongau „der Wind eigentlich ganz gut“, sagt Niedermaier. Neben Altenstadt gebe es noch andere Berührungspunkt mit dem Militär. Die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr sei allerdings nicht einfach: „Das ist ein Staat im Staat.“ Auskünfte zu erhalten, sei schwierig, sagt Niedermaier. „Keine gute Arbeitsgrundlage.“
Saubere Energie wollen zunächst eigentlich alle. Aber wenn ein Standort für Windenergie-Anlagen gesucht wird, liegt der Teufel im Detail. In Weilheim-Schongau hätte die Unesco fast Windkraftanlagen im sogenannten Pfaffenwinkel verhindert, um das kulturelle Erbe der Wieskirche zu schützen. Der Landkreis erstellte daraufhin in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege ein Denkmal-Konzept für die bekannte Wallfahrtskirche. 130 Seiten Umfang, 100 000 Euro Kosten. Mit der Studie wird festgelegt, dass in einem Korridor von zehn Kilometern vom Welterbe aus kein Windrad gesehen werden soll. Das ist das Ergebnis, das auch die Unesco in Paris akzeptiert hat.
Im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat hinkt der Ausbau der Windkraft in Oberbayern hinterher. Dass Franken auf diesem Gebiet deutlich weiter ist, musste sich Niedermaier schon des Öfteren anhören. „Der Vorwurf, wann der Süden auch mal seinen Beitrag zur Energiewende leisten werde, kommt von den Kollegen regelmäßig“, betont er. Nicht von ungefähr würden Projekte wie im Höhenkirchner oder im Hofoldinger Forst medienwirksam mit großer Politikerpräsenz zelebriert.
„Wir leben seit 100 Jahren mit Beeinträchtigungen durch erneuerbare Energien“
Wobei Niedermaier die Schelte aus Franken so nicht stehen lassen möchte. Gerne zeigt er dann historische Fotografien der oberen Isar in Vorderriß und Wallgau, von Loisach und Walchensee. Das Vorher, als es etwa das Walchenseekraftwerk nicht gab; und das Nachher, als aus Wasserkraft Strom erzeugt werden konnte, was bis heute bleibende Schäden bei Flora und Fauna hinterlässt. „Wir leben mit den Beeinträchtigungen durch erneuerbare Energie schon seit 100 Jahren“, betont der Landrat.
Niedermaier hadert ordentlich mit dem „Wind-an-Land-Gesetz“ aus Berlin. „Das war nicht klug durchdacht“, sagt er. Seine Vorstellung wäre, dass man bei der Zuteilung der Windkraftquoten für die einzelnen Regionen anrechnen sollte, was bisher dort an erneuerbarem Strom produziert wird. Das wiederum würde zu einer Art Rabatt für den Süden führen, da an den großen Gewässern dort seit Langem Wasserkraftwerke in Betrieb sind. Man hätte eine Strommenge vorgeben können, die eine Region erbringen müsste. „Mit Photovoltaik-Anlagen würden wir uns – neben der Wasserkraft – um ein Vielfaches leichter tun.“ Eine regional unterschiedliche Verteilung der Windräder in Bayern ließe sich plausibel begründen – ähnlich wie in ganz Deutschland, wo eine Reihe von Bundesländern mehr Platz für Windkraft schaffen muss als der Freistaat: etwa Niedersachsen mit etwa 2,2 Prozent seiner Landesfläche. „Jede Region könnte so entscheiden, mit welcher Form von Beeinträchtigung sie leben möchte“, sagt Niedermaier. „Das wäre gerechter und würde zudem zu mehr Akzeptanz bei den Bürgern führen.“
Fakt ist, dass es innerhalb der Region 17 zu einer gehörigen Unwucht kommen wird: Der Landkreis Garmisch-Partenkirchen ist aufgrund der zahlreichen Ausschlusskriterien praktisch außen vor, was Flächen für Windräder angeht. Im Kreis Miesbach sieht es ebenfalls schlecht aus. Die Vorrangflächen konzentrieren sich auf Weilheim-Schongau und auf den nördlichen Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Im März dieses Jahres hatten sich die Planungsverbandsmitglieder auf eine „konsolidierte Suchkulisse“ geeinigt: 3,9 Prozent der gesamten Regionsfläche. Noch sind die Standorte nicht festgelegt. Momentan werden die 98 Kommunen, die zur Region Oberland gehören, abgefragt, ob sie Anmerkungen zu den Plänen haben. Bis Herbst sollen diese Informationen eingearbeitet sein. „Dann starten wir in das Anhörungsverfahren“, sagt Niedermaier. Im Frühjahr hofft er, die Fortschreibung des Regionalplans im Bereich „Windkraft“ abschließen zu können – zumindest mit jenen zunächst geforderten 1,1 Prozent der Regionsfläche. Niedermaier war in allen vier Mitglieds-Landkreisen in den Bürgermeisterdienstbesprechungen. Es gebe Kritik, sagt er, aber auch viel Zustimmung.
Ob die Investoren, die Windenergie-Anlagen zwischen Schongau, Garmisch, Icking und Tegernsee errichten möchten, dereinst Schlange stehen werden, bleibt dahingestellt. 2023 mussten einige Windpark-Betreiber Insolvenz anmelden. Die Frage stelle sich für ihn nicht, betont Niedermaier. Der Planungsverband müsse die Gesetze vollziehen. Und auch, wenn das Forcieren der Windkraft im Oberland „wirtschaftlich nicht an jeder Ecke sinnvoll“ sei, müsse man doch jede Form von Ideologie vermeiden. Darauf hofft Niedermaier auch, wenn die öffentliche Beteiligung startet. Denn die Fortschreibung des Regionalplans im Bereich Windkraft soll rechtssicher sein. „Auf dass es keine Klagen vor Gericht geben wird.“