Süddeutsche Zeitung

Pistole aus dem Onlineshop:"Migrantenschreck" aus Ungarn

Weil er sich unsicher gefühlt haben will, hat sich ein Geretsrieder im Internet illegal eine Waffe besorgt und wird verurteilt

Von Benjamin Engel, Geretsried

In seiner Terrassenwohnung im Erdgeschoss hat sich der 61-jährige Geretsrieder 2016 unsicher gefühlt. Er befürchtet, dass jemand einbrechen könnte. Er traut unter anderem wegen der Vorkommnisse mit Flüchtlingen zu Silvester 2015/2016 der Sicherheitslage nicht mehr. So schildert er es im Sitzungssaal vor dem Amtsgericht Wolfratshausen am Montag. Der Mann hat sich im Juli 2016 einen Revolver, Kaliber neun Millimeter, für Gummigeschosse über den Onlineshop "Migrantenschreck" aus Ungarn bestellt. So kam er an die Pistole ohne die in Deutschland nötige waffenrechtliche Erlaubnis zu haben. Weil der Zoll ermittelte, landete der Mann vor Gericht und wurde verurteilt - zu einer Geldstrafe von 4050 Euro wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr.

Gegen die Betreiber des Onlineshops für illegale Waffen hatten die Zollfahnder ermittelt. Sie gaben ihre Informationen zu den Kunden an das Hauptzollamt in München weiter. Wie eine Sachbearbeiterin aussagt, hätten sie 20 Namen bekommen und gegen die Personen ermittelt. Daraufhin durchsuchten sie die Wohnung des Geretsrieder Angeklagten. In dessen Nachtkästchen fanden sie die Pistole samt Gummigeschossen und Platzpatronen. "Es sind tödliche Waffen", berichtet die Zollfahndungsbeamtin. "Ein Schuss auf die Achsel oder den Hals kann tödlich sein." Gleichwohl sei die Waffe in europäischen Nachbarländer legal einfach so zu erwerben.

Die Motive der Kunden für den illegalen Waffenkauf gleichen sich nach Aussage der Zollfahnderin. Von Selbstschutz sei "durch die Bank" gesprochen worden. Die Leute hätten die Situation in Deutschland als gefährlich beschrieben. Der Angeklagte habe sich bei der Durchsuchung kooperativ verhalten. Anhaltspunkte für fremdenfeindliche Einstellungen gebe es nicht.

Auf der Anklagebank gibt sich der Mann unwissend. "Ich habe gemeint, dass ist eine nicht erlaubnispflichtige Waffe", erklärt er. Im Rechtsinformationssystem "EUR-Lex" zu Vorschriften der Europäischen Union habe er sich eigens kundig gemacht. Über das Internet habe er nur gekauft, weil das frühere Waffengeschäft in Wolfratshausen nicht mehr existierte. Der Onlineshop sei bei seiner Suche nach einer Waffe einfach aufgeploppt und er bestellte. Im Onlineshop habe es geheißen, die Waffe sei legal.

Im Wald bei Königsdorf hatte er den Revolver ausprobiert. Zwei bis dreimal habe er damit Gummigeschosse abgefeuert. Ein Jahr später habe er noch in einem Tölzer Waffengeschäft Platzpatronen gekauft.

Warum den Mann schon der Name des Onlineshops nicht stutzig gemacht hat, kann die Staatsanwältin nicht verstehen. Bei der Bezeichnung "Migrantenschreck" dränge sich auf, dass damit etwas nicht stimme, wundert sie sich. Und dann werde die Waffe auch noch aus Ungarn versandt. "Ich kaufe Ihnen das nicht ab", sagt sie. Ihre Frage, warum er sich nicht näher über legale Waffen in Deutschland habe beraten lassen, beantwortet der Angeklagte nicht. Er entgegnet nur, dass er damals unter starkem Stress gestanden habe. Er habe sich von seiner Frau scheiden lassen. Zudem habe er seine schwer kranke Mutter pflegen müssen.

Der Darstellung des Mannes glaube sie nicht, so die Staatsanwältin. Ihrer Ansicht nach habe der Angeklagte sein illegales Handeln durch den Internetkauf verschleiern wollen. Sie fordert eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten. Dagegen hält die Verteidigerin eine Geldstrafe von 1800 Euro für ausreichend. Ihr Mandat sei davon ausgegangen, den Revolver legal erworben zu haben. Im Onlineshop habe er nur wie viele andere auch bestellt.

Aus Sicht von Amtsrichter Helmut Berger lässt das Vorgehen des Angeklagten nur einen Schluss zu: "Über die mehr als fragwürdige Seite wollten Sie die gesetzlichen Vorgaben umgehen", sagt er. Von einem vorsätzlichen Vorgehen gehe er in diesem Fall aus. Hätte der Angeklagte wirklich um seine Sicherheit gefürchtet, wäre es naheliegend gewesen, die Polizei aufzusuchen. Auch hätte er sich im Landratsamt erkundigen können, was erlaubt und illegal sei, oder sich in einem Waffengeschäft im Oberland beraten lassen können. "Ganz so unmöglich wäre es nicht gewesen, eines zu finden."

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Quelle:
SZ vom 17.01.2018
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