Pipapo-Festival in Geretsried:Mutmachende Sterbelieder

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Josef Brustmann hat Gedichte von Joseph von Eichendorff, Heinrich Heine oder Rainer Maria Rilke vertont. Andreas Arnold und Marianne Sägebrecht (von links) lassen sie mit ihm lebendig werden. (Foto: Hartmut Pöstges)

Musikalische Lesung mit Marianne Sägebrecht, Josef Brustmann und Andreas Arnold im Geltinger "Hinterhalt"

Von Christa Gebhardt, Geretsried

Sind "Sterbelieder fürs Leben" die Ansage für eine tragische Lesung? Oder könnten sie dem Sterben die Schwere nehmen, vielleicht sogar erheitern? Die Schauspielerin Marianne Sägebrecht leiht beim Pipapo-Festival im Geltinger "Hinterhalt" einem Thema ihre Stimme, das zu den elementarsten des Lebens gehört. Der Kabarettist und Musiker Josef Brustmann singt und vertont die Prosa unterschiedlicher Autoren mit Klavier und Zither. Andreas Arnold kreiert dazu mit Saxofon und Klarinette meditative Räume. Die Sammlung der Sterbelieder gibt eine Vielzahl möglicher Antworten auf existenzielle Fragen, das emotionale Spektrum ist weit: Manche sind melodisch, verströmen Wärme und spenden Trost, andere klingen trotzig, wieder andere verbreiten Gelassenheit und Weisheit angesichts der Fragen, auf die es keine allgemeingültigen Antworten gibt.

Heinrich Heine, der kritische und politisch aktive Dichter des "Jungen Deutschland" starb verfemt und verfolgt im französischen Exil. In seine Gedanken zum Tod mischt sich das Gefühl der Verlassenheit. Zu einem Romantiker wie Clemens von Brentano passt es, wenn er von der Bläue spricht, die dem Himmel abhanden gekommen sei. Rainer Maria Rilke will sich nicht mit einem allgemeinen großen Tod abfinden, sondern fordert "jedem seinen eigenen Tod". Diesem Gedanken folgt Brustmanns Zitherspiel mit Klangbildern, die an den freien Vogelflug im Herbst erinnern, begleitet von Arnolds Klarinette. Klavier, Zither und Saxofon nehmen die Texte auf und untermalen sie in ihren Grundstimmungen: Zerhackte Synkopen passen zu Bertold Brecht, wenn er angeblich weiß, dass nachher nichts mehr kommt und man das Leben lebenslänglich üben müsse; laut und zackig klingt es für Werner Bergengruen, der glaubt, man müsse einfach kraftvoller Macher sein im Leben: Bäume pflanzen, Frauen nehmen, Kinder zeugen. Eine simple volksliedhafte, fast weihnachtlich rührende Melodie vertont den Satiriker und Dichter Robert Gernhardt, und Georg Trakls dramatische den Tod ankündigende "blutende Rosen" spiegeln sich im dunklen Moll der Zithermelodie.

Die Sterbelieder fürs Leben berühren, trösten, machen nachdenklich. Auch wenn der eigene Tod, wie Ringelnatz es sich wünscht, die anderen nicht traurig machen soll: Wie verkraften die Überlebenden den Tod ihrer Lieben? Wenn plötzlich die Eltern sterben oder Freunde, ein Bruder, ein eigenes Kind? Brustmann und Sägebrecht haben diese Erfahrung gemacht, deshalb sind sie so glaubwürdig in dem, was sie lesen, singen und spielen. Die Sterbelieder haben sie zusammen mit Andy Arnold schon oft im bayerischen Raum auf die Bühne gebracht, die CD gibt es bereits seit 2010. Sägebrecht arbeitet seit vielen Jahren ehrenamtlich für die Hospizbewegung. Dazu gehört auch die Stütze und Hilfe für die trauernden Hinterbliebenen.

"Die Gewissheit des Sterbens soll mich nicht abhalten, im Leben bis zuletzt kreativ zu sein", heißt es in einem Gedicht von Bergengruen. Brustmann rät, sich im Leben nicht zu viel Gepäck an Dingen, Beschwernissen und Problemen aufzupacken. Schließlich verlasse jeder diese Welt verpackt, aber ohne Gepäck. Sägebrecht, die den Raum zwei Stunden lang mit ihrer leisen, eindringlichen und warmen Stimme in Trance versetzt hat, sagt, was sie denke und lebe, nämlich unbeirrt und voller Vertrauen an den göttlichen Kern in jedem Menschen und an die Kraft der Liebe zu glauben. So gelingt ein Abend, der ermutigen soll, das Sterben wieder ins Leben zu holen und es dankbarer anzunehmen.

Dafür gibt es zum Schluss im "Hinterhalt" einen herzlichen Applaus in familiärer Atmosphäre, gewährleistet von der Wirtin Assunta Tammelleo, die unerschütterlich und voller Vertrauen daran festhält, Künstlern zu Corona Zeiten weiterhin eine Bühne zu bieten.

© SZ vom 23.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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