Klassik-Konzert in Wolfratshausen:Schillernde Orchesterkunst

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Für das Orchester der Neuen Philharmonie München und den großen Chor bei Mahlers zweiter Sinfonie mussten die ersten Stuhlreihen in der Loisachhalle weichen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Große Themen stehen in Gustav Mahlers zweiter Symphonie im Zentrum: Tod und Auferstehung. Die Neue Philharmonie München widmet sich dem Stück mit begeisternder Leidenschaft und feiert damit ihr 20-jähriges Bestehen.

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Es gibt musikalische Werke, die Menschen zusammenschweißen. Für kostbare Momente machen sie Ausführende und jene, die zuhören, zu einer Gemeinschaft von Enthusiastischen, Leidenden, Fragenden: „Ist das alles nur ein großer, furchtbarer Spaß?“, fragte Gustav Mahler selbst angesichts seiner zweiten Symphonie. Wenn sie so überlebensgroß, explosiv, mit unbedingtem Ausdruck zwischen düsterem Brodeln und sonnenstrahlendem Glanz interpretiert wird wie von der Neuen Philharmonie München, dann kann man sich dem Sog, diesem großen, furchtbaren Spaß des Werks nicht entziehen. Es war ein denkwürdiges Konzert in der Wolfratshauser Loisachhalle mit über 200 Mitwirkenden, mit dem das Studierendenorchester des Ickinger Vereins Musikwerkstatt Jugend sich und sein 20-jähriges Bestehen gebührend feierte.

Den Namen „Auferstehungssymphonie“ hat Mahlers Symphonie, weil sie einen großen dramaturgischen Bogen spannt vom ersten Satz, einem Trauermarsch, zu dem grandiosen Schlusschor mit Worten aus Friedrich Gottlieb Klopstocks Gedicht „Die Auferstehung“. Es geht um eine Reise vom Tod ins ewige Leben, um nicht mehr und nicht weniger. Das fordert einiges an Kräften. Für das besonders große Orchester und den (in jeder Hinsicht) starken Chor – eine Kombination aus Gerd Guglhörs orpheus chor münchen und Markus Zwinks Ammergauer Motettenchor – musste Platz geschaffen werden bis weit in den Bereich der Wolfratshauser Loisachhalle, den sonst die Stuhlreihen einnehmen. Als Notlösung standen Stühle auch an den Flanken des Saals. Denn die Plätze sind begehrt. Das Niveau der Neuen Philharmonie hat sich in 20 Jahren herumgesprochen.

Zwischen dem jungen Orchester und seinem Dirigenten Fuad Ibrahimov herrscht eine Wahlverwandtschaft

Dass das junge Orchester so spielt, wie es heute spielt, hat viel mit Fuad Ibrahimov zu tun. Zwischen dem aserbaidschanischen Dirigenten und dem Ensemble herrscht eine Wahlverwandtschaft, die sich direkt umsetzt in vitale, charaktervolle Musik. Mahlers „Todtenfeier“, so der ursprüngliche Name für den Kopfsatz der Symphonie, gestaltet das Orchester unter Ibrahimovs sprechenden Gesten als eine marche funèbre mit starren Gliedern. In moderatem Tempo marschiert man durch die Partitur, lässt die Streicher knirschen und das Schlagwerk donnern, wo es angebracht ist.

Fuad Ibrahimov, Chefdirigent der Neuen Philharmonie München. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Immer wieder jedoch lässt Ibrahimov Licht in den Satz durch die hellen Dur-Episoden, die in der Dramaturgie des Werks wie Erinnerungen an bessere Zeiten wirken. Höchstes spielerisches Können beweist das Orchester, wenn es die Impulse des Dirigenten zu teils halsbrecherischen Accelerandi und wilden Akzenten reaktionsschnell aufnimmt und in den musikalischen Verlauf integriert. Das funktioniert, weil das Orchester gelernt hat, zuzuhören. Am stärksten zu erleben ist das in den immer wieder wichtigen Dialogen der Instrumentalstimmen untereinander. Die Konzertmeisterin reagiert auf einen Kommentar der Oboe, diese lässt sich von der Flöte etwas zwitschern.

Nach dem ersten Satz mit seinem Katastrophen-Ende, einem orchestralen Sturz ins Grab, herrscht konzentrierte Stille. Jeder, der es vorher nicht wusste, weiß nun: Dieses Konzert der Neuen Philharmonie München wird bleibende Wirkung entfalten. Mahler selbst fordert nach dieser Eröffnung eine mindestens fünfminütige Pause. Ganz so lange wartet Ibrahimov nicht, doch ein wenig hört auch er in die gespannte Loisachhalle, ehe er den Einsatz gibt zu einem warmen Ländler-Satz mit stürmischer Einlage.

Der gemächliche zweite Satz mit seiner vordergründigen Idylle und den schmeichelnden Glissandi, die die Streicher der Neuen Philharmonie mit sichtbarem Spaß ausführen, bereitet nicht vor auf den Schrecken, der im dritten Satz wartet. Auch hier, in Mahlers Verarbeitung seines Lieds „Des Antonius von Padua Fischpredigt“, klingt es zunächst lustig. So lässt schon die unerwartet knallende Pauke das Publikum kollektiv zusammenzucken, was einige schmunzeln lässt. Auch die permanent leiernden Melodien zeugen von Sinn fürs Groteske, zumal Ibrahimov in jedem Moment die Übersicht wahrt, auch sonst schwer zu hörende Trompetentriller hörbar macht. Doch dem Orchester gelingt es, hinter der fließenden, volkstümlich gefärbten Tonsprache den Schauer spüren zu lassen, der in einem niederschmetternden Knall kulminiert. Diesen „Schrei des Ekels“ (Mahler), den die Neue Philharmonie mit angemessenem Orchesterlärm, Tam-tam-Dröhnen und Blech-Schmettern aufführt, markiert den Riss im Werk. Von hier an ist alles anders. Das braucht Lautstärke, auch wenn es die Loisachhalle zittern lässt.

Bewegt und bewegend, raumfüllend und tränentreibend - so interpretierte Nathalie Lewis das Lied „Urlicht“ im vierten Satz der Mahler-Sinfonie. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Nach dem Tosen führt Mahler die Sprache ins Symphonische ein, mit dem Lied „Urlicht“. Nathalie Lewis singt es mit ideal gerundetem, warmem, substantiellem Alt, bewegt, bewegend, raumfüllend, tränentreibend. Mit einem Wort: perfekt. Der pianissimo-Oktavsprung auf das Wort „Himmel“ wird vielen noch lange im Ohr bleiben. Dabei ist die junge Sängerin, Mitglied des Opernstudios des Bayerischen Staatsoper, nur eine Stimme in der fabelhaft guten Vokal-Gruppe dieses Abends. Im Finale steht ihr etwa Lydia Teuscher zur Seite, die ihren Gold-Sopran schimmern lässt, ohne dabei je aufzutrumpfen. Jede Phrase wird integriert in das sängerische Bett der beiden Chöre, die selbst im Fortissimo nicht forciert wirken, sondern ein Beispiel homogener, ausgewogener Klangkultur darstellen.

Ein Projektorchester, das sich seit 20 Jahren in jedem Konzert neu erfindet

Was bleibt nach neunzig Minuten schillernder Orchesterkunst, nach Glockenklang und gut improvisiertem Fernorchester, nach der instrumental-stimmlichen Erzählung von Tod und Auferstehung? Vor allem die Freude darüber, dass es in dieser Region ein Projektorchester gibt, dass große internationale Strahlkraft entwickelt hat, sich seit 20 Jahren in jedem Konzert neu erfindet und es schafft, mit der hörbaren Freude am Spiel ein Publikum in sein leidenschaftliches Musizieren einzubinden. Der lange Beifall und die Bravo-Rufe wollen sagen: Herzlichen Glückwunsch, wir freuen uns auf die nächsten Jahrzehnte mit der Neuen Philharmonie München.

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