Coaching auf dem Bauernhof:Meditation mit Pferden

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Die Kraft, die von einem Pferd ausgeht, will Maria Kastenmüller auf dem Freilaufplatz in Gaißach vermitteln. (Foto: Manfred Neubauer)

Maria Kastenmüller bietet auf einem Freilaufgelände in Gaißach eine „pferdegestützte Gesundheitsbegleitung“ an. Die sensiblen Tiere sollen Menschen in Krisensituationen helfen.

Von Petra Schneider, Gaißach

Auf dem Freilaufplatz des Hofs in Gaißach stehen sechs Pferde, zupfen an der Heuraufe oder beobachten Felix, den Hofhund. Über dem benachbarten Feld kreisen zwei Milane, das Rauschen der Bundesstraße 13 dringt herüber. Irgendwann kommt Sandro an den Zaun. Ein süddeutsches Kaltblut, knapp eine Tonne schwer, mit sechs Jahren der Youngster in der Herde. Ein Bilderbuchpferd, wie man es sonst meist nur bei der Tölzer Leonhardifahrt sieht. Er lässt sich bereitwillig tätscheln, die Ohren aufmerksam nach vorn gestellt, und trollt sich irgendwann wieder zu seiner Herde. Man fühlt sich von diesem mächtigen Tier angezogen, und das scheint auch umgekehrt der Fall zu sein. Denn als man durch das Tor in den Freilaufstall tritt, löst sich Sandro aus der Herde, kommt ganz nah, schmiegt sich an. Seine weichen Nüstern nesteln an Handtasche und Schreibblock, der Atem ist warm. Es ist ein schönes Gefühl, das man in dieser Intensität nicht erwartet hat: Aufgehobensein, die Kraft, die von dem Pferd ausgeht.

Man empfindet Freude und einen kaum zu erklärender Stolz darüber, dass dieses große Tier, ohne Zwang, die Nähe zu einer fremden Person sucht. Ganz still steht man, Pferd neben Mensch, den Autolärm nimmt man nicht mehr wahr. Es ist einer jener seltenen Momente, in denen man ganz bei sich ist. Diese Erfahrung will Maria Kastenmüller jenen Menschen vermitteln, die in einer Krise sind. Seit vier Jahren bietet sie auf dem Pferdehof in Gaißach eine „Pferdegestützte Gesundheitsbegleitung“ an.

„Wir reden ganz viel, theoretisieren und haben verlernt, im Moment zu sein.“

Den Begriff Coaching mag sie eigentlich nicht, weil viele Angebote, primär im Bereich Führungskräfte, darauf abzielten, „das Pferd zu dominieren“. Kastenmüller geht es um etwas anderes; nicht um Selbstoptimierung, sondern darum, „den Kontakt zur Natürlichkeit in uns selbst wiederzufinden.“ Wie das geht? Mehr beobachten und weniger interpretieren. „Wir reden ganz viel, theoretisieren und haben verlernt, im Moment zu sein“, sagt die 30-Jährige. „Pferde spüren das.“ Als Fluchttiere hätten sie feine Antennen, weil sie im Sozialverbund der Herde agieren, aber auch Gefahren von außen erkennen müssten. Sie reagieren auf Ängste und Unsicherheiten, wenden sich ab oder werden unruhig, wenn sie solche Emotionen spüren.

Die Begegnung mit einem Pferd soll bei den Teilnehmenden des Coaching die Emotionen freilegen, ihnen aber auch Energie geben. (Foto: Manfred Neubauer/Manfred Neubauer)

Denn Fluchtimpulse gebe es auch bei Menschen. „Bei uns ist es nicht mehr der Tiger, sondern vielleicht der strenge Chef, der lauert“, sagt Kastenmüller. Aber im Unterschied zu den Tieren, könnten wir nicht einfach davonlaufen, weil gesellschaftliche Zwänge oder Rollenbilder dies verhinderten. Dadurch verliere man den Kontakt zu den eigenen Ängsten und Bedürfnissen. „Wir verlieren uns selbst“, sagt Kastenmüller. Ein Ziel ihres Konzepts ist es, diese Emotionen freizulegen. Wie sich das äußert? „Manche Klienten stehen einfach schweigend vor dem Pferd, und die Tränen fließen.“ Aus der Begegnung lasse sich aber auch Kraft und Energie tanken. Denn Pferde verhielten sich „ressourcensparend“. „Wenn keine Gefahr droht, fallen sie in eine Art Meditation.“ Eine Ruhe, die ausstrahlt.

Das Coaching mit Pferden ersetzt bei schweren psychischen Problemen nicht den Facharzt

Zu Kastenmüllers Coaching kommen Leute, die in einer Lebenskrise stecken. Entscheidungen treffen, schwierige Situationen, wie den Tod eines geliebten Menschen, Scheidung oder Beziehungskrisen bewältigen müssen. Auch Leute, die eigentlich Angst vor Pferden haben, kommen zu ihr. Die Begegnung mit den Tieren findet in einem sicheren Rahmen statt, geritten wird nicht. Kastenmüller geht mit den Klienten in den Freilaufstall, beobachtet, wer sich zu welchem Pferd hingezogen fühlt, wie Mensch und Tier interagieren. „Ich stelle Fragen, aber interpretiere nicht.“ Wendet sich das Pferd ab, weil du mit dem Kopf schon beim nächsten Termin warst? - solche Fragen. „Ich bin keine Psychotherapeutin“, betont Kastenmüller. Ihre Arbeit basiere auf einem „wissenschaftlichen Grundkonzept“, ersetzt bei schweren psychischen Problemen aber keinen Facharzt.

Maria Kastenmüller ist Tierheilpraktikerin. In Bad Tölz hat sie eine eigene Praxis. (Foto: Manfred Neubauer)

Die gebürtige Tölzerin ist gelernte Tierheilpraktikerin mit eigener Praxis in Bad Tölz. Sie ist eine aufmerksame Beobachterin. Wenn die Pferde den Klienten zu sehr auf den Pelz rücken, genügt ein sanfter Schubs. Über ihre ganzheitliche Arbeit mit Tieren „bin ich auf den Menschen gekommen“, sagt sie und lacht. Vor zehn Jahren hat sie die zweieinhalbjährige Ausbildung an der Tierheilpraktikerschule Sarah Mergen in Gelting absolviert, anschließend die Coaching-Fortbildung bei einer Akademie am Ammersee. Vor vier Jahren hat sich die Stallgemeinschaft in Gaißach zusammengefunden und das Gelände von einem Bauernhof gepachtet, weil sie ihren Tieren ein artgerechtes Leben ermöglichen wollen.

„Die Leute sagen mir dann: Genau das habe ich jetzt gebraucht.“

Boxen gibt es nicht, der Stall ist offen mit einer Teilüberdachung, die Tiere leben das ganze Jahr draußen im freien Herdenverbund. Dass die anderen Mitglieder dieser „gleichberechtigten Stallgemeinschaft“ ihre Reitpferde für die Coachings zur Verfügung stellen, das sei einfach großartig, sagt Kastenmüller. Alle sechs Tiere hätten einen ganz eigenen Charakter. Sandor zum Beispiel sei sehr „direkt“. Oder die Irish-Hunter-Stute „Ballina“, die von 99 Prozent ihrer Klienten als „mütterlich“ beschrieben werde. Nicht immer wählen die Klienten dasselbe Pferd. Ob sie sich von einem lebhaften oder eher passiven Tier angezogen fühlen, hänge von der Stimmung oder dem individuellen Problem ab. „Die Leute sagen mir dann: Genau das habe ich jetzt gebraucht.“ Manche kommen nur einmal, andere jede Woche, oft über mehrere Monate.

Ein 60- bis 90-minütiger Einzelkurs kostet 120 Euro, Kastenmüller bietet auch Tages- und Gruppenkurse, Meditationen sowie Seminare zu verschiedenen Themen an, die im „Stüberl“ stattfinden. „Aber eigentlich sind die Pferde die Coaches“, sagt Kastenmüller. 

Weitere Informationen sind unter www.nature-telling.de oder unter www.tierheilpraxis-kastenmueller.de zu bekommen.

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