Vom Seder-Teller bis zum Lied „Chad gadja“Bitter und salzig, doch am Ende hoffnungsfroh

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Brigitte Heberle (links) und Chiara Hager kennen sich mit jüdischen Riten wie dem Pessach-Fest bestens aus.
Brigitte Heberle (links) und Chiara Hager kennen sich mit jüdischen Riten wie dem Pessach-Fest bestens aus. (Foto: Hartmut Pöstges)

Zwei Frauen, die im Erinnerungsort Badehaus mitwirken, erzählen, wie das jüdische Pessach-Fest traditionell gefeiert wird. Die Speisen auf dem Seder-Teller symbolisieren Aspekte des Auszugs aus der ägyptischen Gefangenschaft.

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

„Seder“ ist das hebräische Wort für „Ordnung“. Und eben das ist es, was am Seder-Abend, zu Beginn des jüdischen Pessach-Festes, herrscht: strenge Ordnung, präzise vorgegebene Rituale, Praktiken, die gewissenhaft eingehalten werden sollten. Das reicht vom Aufräumen und Säubern der Wohnung über symbolische Speisen bis zum Lesen aus der Haggada, in der die im Buch Exodus geschilderten biblischen Vorgänge beschrieben werden: das Exil der Juden in Ägypten und der Auszug in die Freiheit – denn das ist der Sinn des Pessach-Festes, die Erinnerung an die Befreiung aus der Sklaverei.

Das Fest, das dem Mondkalender folgt, beginnt in diesem Jahr am 12. April. Chiara Hager und Brigitte Heberle, die im Erinnerungsort Badehaus in Wolfratshausen mitwirken, kennen sich mit den Bräuchen und Traditionen sehr gut aus. Hager, die 26-jährige Werksstudentin, ist bekennende Jüdin, Heberle, die 74-jährige Rentnerin, die dem ehrenamtlichen Team des Badehauses angehört, hat jüdische Wurzeln.

Das Wort „bekennend“ ist hier nicht ganz unwichtig, denn es gibt durchaus unterschiedliche Bestimmungen, wer als Jüdin oder Jude gilt. Eine, die so streng ist wie die Pessach-Regeln, und eine freiere.

Das matrilineare Prinzip

Nach der Halacha, dem überlieferten Recht des Judentums, gilt das Mutterprinzip: Jüdisch ist, wer von einer jüdischen Mutter abstammt oder konvertiert ist. Im liberalen Judentum werden auch Kinder eines jüdischen Vaters und einer nicht-jüdischen Mutter anerkannt, solange sie jüdisch erzogen sind. Die Geschichtsstudentin Chiara Hager hat eine nach liberalem Verständnis jüdische Mutter, die allerdings erst spät herausfand, dass wiederum ihre Mutter Jüdin war – nämlich, als sie im Pass den Namen Goldstein entdeckte und nachfragte. Chiaras Großmutter, deren Familie aus Ungarn über Alexandria nach Deutschland gekommen war, verleugnete im hiesigen Nachkriegsleben ihre Identität. Die Enkelin aber bekennt sich zum Judentum.  Chiara geht regelmäßig in die Synagoge der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom in München. Sie sagt: „Ich habe mich schon mit dem Judentum beschäftigt, als ich sieben Jahre alt war.“ Inzwischen hat sie ein halbes Jahr in Israel studiert und will sich wieder dort aufhalten.

Der Antisemitismus sei doch nie weg gewesen, sagt Brigitte Heberle

Brigitte Heberles Vater war ein naziverfolgter Jude aus Krakau, der aus dem Warschauer Ghetto floh und im Fränkischen landete. Allerdings hat die Tochter erst als 18-Jährige davon erfahren, denn die Mutter verleugnete den Vater genauso, wie die ganze Familie es tat. Brigitte wurde evangelisch groß, hat sich aber  stark fürs Judentum interessiert. Sie hat Hebräisch gelernt, die Riten studiert und vier Jahre lang im Israelitischen Kulturzentrum in München gearbeitet. In der dortigen Sinai-Grundschule war sie in der Nachmittagsbetreuung beschäftigt. „Ich kenne mich aus“, sagt Heberle. Man hört, dass sie stolz auf ihre Vertrautheit mit dem Judentum ist, und man sieht es – an dem Davidstern, den sie um den Hals trägt.

An den Geschichten dieser beiden Frauen sieht man aber auch, dass Jüdisch-Sein in Deutschland nicht nur unmittelbar nach der Shoa, sondern ungebrochen bis heute keinerlei Normalität bedeutete und bedeutet. So groß der Altersunterschied zwischen den beiden ist, so sehr ähneln sich doch die Erfahrungen. Die Diskriminierung: „Ich war bei den Schwestern meiner Mutter schon das Judenkind, bevor ich auf der Welt war“, weiß Heberle aus den Erzählungen ihrer Familie. Die Scham für die eigene Identität: „Meine Oma leugnet ihre jüdische Abstammung bis heute“, erzählt Hager. Und das Wissen um den Antisemitismus, der, wie Herberle sagt, doch nicht gerade erst wieder aufkomme, sondern nie weg gewesen sei.

Allerdings lässt sich die 74-Jährige davon nicht einschüchtern. Sie steht zu ihren jüdischen Wurzeln. Eigens für ein Foto hat Brigitte Heberle sich sogar die Mühe gemacht, einen Seder-Teller mit allen vorgeschriebenen Speisen zusammenzustellen. Gemeinsam mit Hager erklärt sie, was dazu nötig ist.

Das Fest der ungesäuerten Brote

Alles da, was zum Seder-Abend gehört: Wein, Mazzen, bittere Kräuter, Meerrettich, ein gekochtes Ei, das Nuss-Frucht-Mus, rohes Frühlingsgemüse und eine angebratene Lammkeule mit wenig Fleisch.
Alles da, was zum Seder-Abend gehört: Wein, Mazzen, bittere Kräuter, Meerrettich, ein gekochtes Ei, das Nuss-Frucht-Mus, rohes Frühlingsgemüse und eine angebratene Lammkeule mit wenig Fleisch. (Foto: Hartmut Pöstges)

Es sind sieben Speisen, die eine je eigene Symbolik haben. Mazzen, die dünnen ungesäuerten Brotfladen, sollen an die Eile erinnern, in der das jüdische Volk aus der Sklaverei in Ägypten fliehen musste. „Es war keine Zeit, den Teig gehen zu lassen und deshalb blieb die Mazze flach.“ Mazzen werden während des gesamten Pessach-Fests gegessen, weshalb es auch „Fest der ungesäuerten Brote“ heißt.

Maror, bittere Kräuter, und Chaseret, Meerrettich, symbolisieren die Bitterkeit der Sklaverei. Beitzah, ein gekochtes Ei, versinnbildlicht das Festopfer, das Pilger an den drei Wallfahrtsfesten Pessach, Schawuot und Sukkot im Jerusalemer Tempel darbringen mussten. Charosset, der einzig süße Bestandteil des Seder-Tellers, wird aus Früchten, Nüssen und Zimt hergestellt und steht für den Lehm, aus dem die Juden in der Sklaverei Ziegel formen mussten. Seroa, eine angebratene Lammkeule mit wenig Fleisch, erinnert an die biblische Vorschrift der Opferung eines Pessach-Lamms. Karpas, rohes Frühlingsgemüse, verkörpert als Frucht der Erde die harte Sklavenarbeit.

Die Arbeit der Hausfrau

Der erste und der letzte des sieben Tage – in der Diaspora acht Tage – andauernden Pessach-Fests sind strenge Feiertage. Doch schon 24 Stunden vor Pessach beginnen die Riten mit der Suche nach Chametz. Das ist alles „Gesäuerte“, jede Speise, die aus Getreide und Wasser besteht und die genügend Zeit hatte zu fermentieren und „aufzugehen“. Brot, Cerealien, Kuchen, Kekse, Pizza, Pasta und Bier etwa. Dazu heißt es in der Jüdischen Allgemeinen: „Die Tora verbietet den bloßen Besitz von Gesäuertem während der Pessachtage. Daher müssen wir uns noch vor Pessach von jeglichem Chametz, das sich in unserem Besitz befindet, befreien. (...) Dies kann man auch dadurch regeln, dass man das Chametz an einen Nichtjuden verkauft. Damit wäre dem Gesetz Genüge getan, Gesäuertes befände sich nicht mehr im Besitz eines Juden.“ Brigitte Heberle fasst es augenzwinkernd so zusammen: „Das Haupttrara hat die Hausfrau zu tragen.“

Ein Seder-Tuch, das im Besitz des Erinnerungsorts Badehaus ist.
Ein Seder-Tuch, das im Besitz des Erinnerungsorts Badehaus ist. (Foto: Hartmut Pöstges)

Am Seder-Abend verliest der Seder-Leiter Bibelstelle und Erklärungen aus der Haggada, die jeweils die Bedeutung der Speise erklären. Das jüngste Tischmitglied stellt vier Fragen, die Ma Nischtana, beginnend mit:  „Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten?“ Auf die symbolischen Speisen folgt das Festmahl. Dazu werden vier Becher Wein getrunken, die Gottes Verheißungen für die „Kinder Israels“ versinnbildlichen. „Ein fünfter Becher Wein wird für den Propheten Elija getrunken“, erklärt Chiara Hager. „Und die Tür wird geöffnet, damit er eintreten kann. Denn er wird erwartet, um das Kommen des Messias anzukündigen.“

Zum Fest gehören außerdem Lob- und Danklieder und zum Abschluss das Kettenmärchen Chad gadja (Lämmchen oder Zicklein), das allegorisch von Leid und Erlösung des jüdischen Volkes erzählt.

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