Was nimmt man auf eine Reise mit? Unterhosen zum Beispiel. Auch ein Unterhemd und Waschmittel in der Tube, so spart man sich ein bisschen Gepäck. Ein Nachthemd, das möglichst gegen Flöhe schützen sollte, muss in den Koffer, ein Notizbuch, um Reiseeindrücke zu dokumentieren, und auch eine Kamera. Augentropfen, Sonnencreme, Wasser. Eine Nagelfeile? Nicht unbedingt. „Die Nägel kann man sich auch an den Pyramiden feilen, dazu sind die ja da“, sagt Ruth Geiersberger. Bald wird sie das ausprobieren können, denn die Performance, mit der sie und der Zitherspieler Georg Glasl für eine gute Stunde den Kochler Ortskern in Bewegung bringen, ist der Auftakt zu einer besonderen Reise: auf den Spuren von Herzog Max in Bayern, dem Zithermaxl, und seinem Freund und Zitherlehrer Johann Petzmayer nach Ägypten.
„Einfach mal am Fuße einer Pyramide hocken mit meinem Zitherspieler“
Als diese 1838 zu ihrer Nil-Fahrt aufbrachen, wurde standesgemäß ein Auszug inszeniert, der dem Beginn der Reise eine passende Form gab. Georg Glasl kommt aus Kochel, entsprechend wird der Beginn seiner Reise im Schusterhaus gefeiert, inzwischen „so der Mittelpunkt in Kochel“, wie der Musiker erklärt. Im ersten Stock des historischen Gebäudes hat sich Ruth Geiersberger aufs Bett gelegt, herzoglich bequem, die Füße ruhen auf dem Gestell. Dort liest sie aus den Erinnerungen des Herzogs, veröffentlicht als „Wanderung nach dem Orient im Jahre 1838“. Sie selbst folgert: „Ich muss nach Ägypten.“ Georg Glasl spielt dazu orientalisierende Zither-Klänge. „Einfach mal am Fuße einer Pyramide hocken mit meinem Zitherspieler.“ Geiersberger lächelt zu Glasl und jauchzt aus vollem Hals in einen Schalltrichter.
Dabei tut sie es nur der Großen Neunheit gleich, wie das Ensemble von altägyptischen Schöpfergottheiten auch genannt wird. Diese jauchze, erklärt sie, während sie sich über die alten Dielen des Schusterhauses bewegt. Aus dem Erdgeschoss tönt eine weitere Zither. Dazu treten die Klänge der Kochler Blaskapelle. Eine gute Handvoll der jungen Musikerinnen und Musiker steht und sitzt im Treppenhaus verteilt und spielt sich gegenseitig Motive zu. Die Motive sind den Kompositionen des musikliebenden Herzogs entnommen und von Kaspar Loipolder, dem Leiter der Blaskapelle, kundig für diese Besetzung arrangiert worden. Den Puls gibt die große Trommel vor, direkt neben dem Eingang zur Küche positioniert, aus der es verführerisch duftet. Der kontinuierliche dumpfe Trommel-Ton wird zum Herzschlag, verwandelt das Haus gleichsam in einen Organismus, lässt die Zuhörenden zumindest zeitweilig an der Reiselust und der Reiseaufregung teilhaben.
„Das atmende Haus“ hat Georg Glasl die Aufführung genannt, die etwa drei Dutzend Leute interessiert verfolgen. „Ist ja richtig was los in Kochel - toll!“, heißt es da. Ein anderer Gast des Schusterhauses hinter seinem Bier: „Also i bin total von gestern, i versteh goar nix.“ Und ja, wenn die Performerin nunmehr im Erdgeschoss jault, jauchzt oder singt, begleitet von Kuhglocken, die sie mithilfe ihres Smartphones bimmeln lässt, kann das irritieren, wenn man in jeder Geste und jedem Klang etwas verstehen möchte. Vielmehr geht es hier wie überhaupt bei dem ganzen Projekt um offene Fragen, um eine Suche. „Die Reise ist für mich auch eine Klangsuche“, sagt Glasl. In seinem Reisegepäck dürfen Notenpapier und Aufnahmegerät daher nicht fehlen.
Um das Reisegepäck kümmert sich Ruth Geiersberger dann auf der anderen Straßenseite. Geschlossen begibt man sich in Kochels „Werkstatt für Transformationen“. Flankiert wird die temporäre Reisegesellschaft dabei von den Fahnen, die Ergül Cengiz aus Baufolie hergestellt hat. Dabei verbindet die Künstlerin Motive der Lüftlmalerei mit den subtilen Formen islamischer Ornamente, arbeitet also genau in dem Spannungsfeld zwischen dem Vertrauten und dem Fremden, dem Hiesigen und dem Fernen, das Glasl und Geiersberger interessiert. Die filigranen Objekte sind im Juli als Projekt mit dem Titel „Fundamentale Leichtigkeit“ in der Kochler Werkstatt entstanden. Dort hat Geiersberger nun Platz genommen, begleitet von einer Gummiente als Nofretete und einem blauen Nilpferd, das die Reise an den Nil mitmachen soll. „Die Spitzen der Pyramiden blitzen“ – Geiersberger rezitiert auch lyrische Texte wie diesen, eine Sprachkomposition von Hans Arp. Das Klangspektrum wird dabei noch einmal erweitert. Alphorn und Zither, in diesem Fall eine mit dem Bogen gestrichene E-Zither, stehen für die „zwei Sehnsuchtsmomente der Alpenmusik“, wie Glasl sagt.
Auch das Publikum wird aktiviert, soll eigene Vorschläge einbringen. Glasl und Geiersberger schlagen damit eine Brücke in die Gegenwart. Schließlich sei das Ägypten von heute nicht das des 19. Jahrhunderts, die Reise, die Herzog Max und sein Kammervirtuose unternommen haben, könne nicht kopiert werden, nur als Inspiration dienen. Glasl wird deshalb auch ganz bewusst moderne Klänge etwa der Großstadt Kairo in seine Klangrecherche integrieren.
Doch muss man erst einmal hinkommen. Glasl nimmt seine handliche Kiendl-Zither – eine ähnliche hat auch der Herzog gespielt – und marschiert mit Ruth Geiersberger als Doppelspitze einer Mini-Prozession unter Blaskapellen-Klängen zum Kochler Bahnhof. Ein würdiger Abschied. Die Daheimgebliebenen winken, sind traurig, dass sie selbst nicht nach Ägypten können und trösten sich einstweilen damit, am Sonntag, 10. November, die Ergebnisse der Klangsuche im Schusterhaus präsentiert zu bekommen.