Süddeutsche Zeitung

Am Stadtplatz:Gesichter der Geschichte

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Schülerinnen und Schüler der Heinrich-Campendonk-Realschule malen die Opfer der Penzberger Mordnacht.

Von Paulina Porer, Penzberg

Mit weißer Kreide in den Händen knien die Realschüler am Dienstagvormittag auf ihren Sitzunterlagen vor dem Rathaus. Den Oberkörper über Papier-Schablonen gebeugt, die sie mit Klebeband auf dem Steinboden befestigt und vor dem Malen mit Cuttermessern zurechtgeschnitten haben. Je mehr sie die freien Stellen der Vorlage auf dem grauen Steinboden mit Kreide füllen, desto besser sind die Gesichter der Männer und Frauen zu erkennen - die Opfer der Penzberger Mordnacht 1945. Über diese hat die neunte Klasse der Heinrich-Campendonk-Realschule in diesem Schuljahr das Buch "Dunkelnacht" von Kirsten Boie gelesen. Die Autorin schreibt über die Menschen, die in Penzberg als Widerständler gegen das NS-Regime kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs erschossen und erhängt wurden.

Lehrer Volker Bauer und Hannah Bertle, die Deutschlehrerin der Klasse, hatten die Idee, das Jugendbuch mit den Schülern zu lesen und das Thema auch visuell darzustellen. Man sehe oft die Namen der Mordopfer, "jetzt fanden wir das aber sehr passend, auch mal die Gesichter zu zeigen", sagt die Deutsch- und Kunstlehrerin.

Vorsichtig löst Sophie das Klebeband und ihre Schablone vom Boden. Die Schülerin hat Ludwig März gemalt, der in der Penzberger Mordnacht von NS-Anhängern erschossen wurde.

In Zukunft möchten Bertle und Bauer gemeinsam auch andere Fachschaften miteinbeziehen und nicht nur malen, sondern zum Beispiel auch Hörspiele oder Broschüren zur Geschichte produzieren. Die Basis wäre immer das Buch "Dunkelnacht" und dessen geschichtlicher Hintergrund. "Wir wollen zum Beispiel auch die IT mit reinbringen, die dann so eine virtuelle Tour machen." In den Fächern Ethik und Religion könnten Fragen diskutiert werden wie: Was ist Schuld, oder wie mache ich mich schuldig?, erklärt Bauer.

Auch mit den Schülern nach draußen zu gehen und Gedenkstätten zu besuchen, sei bedeutend gewesen, sagt Bertle. "Das ist für die Schüler noch mal emotionaler, weil sie in den Straßen wohnen, die zum Teil nach den Mordopfern benannt sind, aber eben oft nicht genau wissen, woher der Name überhaupt kommt und wie das eigentlich zusammenhängt", sagt die Lehrerin. "Da gibt es viele Bezugspunkte zu der Lebenswelt der Schüler, wo wir anknüpfen können."

Die Jugendlichen wollten mit dem Thema auch in die Öffentlichkeit gehen und nicht nur in der Schule bleiben. So sei sie auf den Stadtplatz gekommen, um Menschen zu erreichen, damit sie sich mit der Geschichte beschäftigen, sagt Jasmin. "Ich find's wichtig, dass alle Leute, die in Penzberg wohnen, egal, ob Jugendliche oder älter, darüber Bescheid wissen und sich mit dem Thema befassen, weil's halt wirklich hier passiert ist und wir hier wohnen", so die 16-Jährige.

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Quelle:
SZ vom 22.07.2021
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