Auf einmal hält sie sich beide Hände vor ihr Gesicht und beginnt zu weinen – eine Frau aus Penzberg. Die Szene ist in einem Video zu sehen, das im Januar dieses Jahres aufgenommen wurde. Die 41-jährige Reinigungskraft berichtet einer Ermittlungsrichterin, wie sie in den frühen Morgenstunden des 24. September 2023 von einem Mann, den sie kurz zuvor in einer Bar kennengelernt hatte, am Eingang zur Rathauspassage in Penzberg vergewaltigt wurde. Das Video ist Gegenstand in dem Prozess gegen den mutmaßlichen Täter, der sich seit Dienstag vor der 3. Strafkammer am Landgericht München II verantworten muss. Bei dem Angeklagten handelt es sich um einen 33-jährigen Bauhelfer aus dem Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen.
Den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge hatte der Bauhelfer die Frau in der Bar angesprochen. Als sie gegen 4 Uhr nach Hause ging, folgte er ihr. Am Eingang zur Rathauspassage soll er sie von hinten mit beiden Händen an den Schultern gepackt haben. Es kam zu einem Gerangel, in dessen Verlauf er die 41-Jährige mit Gewalt zu Boden gebracht haben soll, sodass sie auf dem Rücken lag. Nachdem er sich auf sie gesetzt habe, habe er ihr ihre Hose ausgezogen und sie vergewaltigt. Die 41-Jährige habe sich verzweifelt gewehrt, ihren mutmaßlichen Peiniger geschlagen und geschrien. Offenbar half dies. Denn der mutmaßliche Täter flüchtete. Bevor er verschwand, soll er der Frau allerdings noch gegen den Kopf getreten haben.
Doch hat sich das, was dem Bauhelfer vorgeworfen wird, tatsächlich so zugetragen? Der 33-Jährige schwieg zum Auftakt des Prozesses. Richter Martin Hofmann verlas stattdessen eine Erklärung seiner Verteidigerin, Rechtsanwältin Katharina Strassner. Danach habe der Angeklagte die Frau in der Bar gefragt, ob sie für 150 Euro bereit wäre, Sex mit ihm zu haben. Die Reinigungskraft soll eingewilligt und vorgeschlagen haben, in eine öffentliche Toilette zu gehen. Auf dem Weg dorthin habe der Angeklagte jedoch seine Meinung geändert und sein Geld zurückverlangt. Darüber sei es zum Streit gekommen. Der Bauhelfer habe die 41-Jährige geschlagen, worauf diese angefangen habe, zu schreien, und ihm in die Hand gebissen habe. Daraufhin habe sich der 33-Jährige umgedreht und sei gegangen.
Der Bauhelfer soll laut Zeugen erheblich alkoholisiert gewesen sein, ebenso das mutmaßliche Opfer. Kurz nach der angeblichen Vergewaltigung wurde bei der 41-Jährigen eine Blutalkoholkonzentration von knapp zwei Promille festgestellt. In ihrer Erklärung räumt die Verteidigerin lediglich ein, dass ihr Mandant die Frau geschlagen habe. „Zu einer Vergewaltigung ist es jedoch nicht gekommen“, behauptet sie.
Nach der angeblichen Tat wurde die 41-Jährige in der Rechtsmedizin auf Spuren untersucht, die Aufschluss über die behauptete Vergewaltigung geben könnten. Tatsächlich fanden sich welche in ihrem Intimbereich. Diese seien, so die Verteidigerin des Bauhelfers, „nicht ausreichend“. Überdies seien bei der Untersuchung der Frau auch „Spuren eines anderen Mannes gefunden“ worden. Nach derzeitigem Stand, so die Verteidigerin, sei eine Verurteilung wegen einer Vergewaltigung „eher zweifelhaft“.
Auch Richter Martin Hofmann räumte bei einem öffentlich geführten Rechtsgespräch zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ein, dass das mutmaßliche Opfer „erheblich alkoholisiert“ gewesen sei und „sich nicht mehr an alles erinnern“ könne. Gleichwohl, so der Vorsitzende, habe die 41-Jährige bei der Ermittlungsrichterin hinsichtlich der mutmaßlichen Tat ein „Kerngeschehen“ geschildert, „das durchaus nachvollziehbar scheint.“
Ein Urteil in dem Prozess wird für Ende September erwartet.