SZ-Kulturpreis Tassilo:"Da hat etwas geklappt"

SZ-Kulturpreis Tassilo: Gisela Geiger am "Roten Kamin" von Sabine Straub.

Gisela Geiger am "Roten Kamin" von Sabine Straub.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Kandidatin fürs Lebenswerk: Gisela Geiger hat die größte Campendonk-Sammlung der Welt nach Penzberg geholt und der alten Bergwerkstadt einen frischen Anstrich verpasst.

Von Stephanie Schwaderer, Penzberg

Für ein gutes Bild muss man mitunter frieren. "Ohne Mantel ist es besser", sagt Gisela Geiger und öffnet schon die Knöpfe. Dass an diesem Januarmorgen ein eisiger Wind um das Penzberger Museum streicht - egal. "Dieses Rot!", schwärmt sie. "Das Blau des Himmels! Und die schwarze Wand!" Es ist eine starke Komposition, keine Frage. Und mittendrin: sie selbst, eine Frau, deren Schultern in den vergangenen Monaten so spitz geworden sind, dass man fürchten könnte, der nächste Windstoß trüge sie davon. Eine Frau, deren Beharrlichkeit und Kraft es maßgeblich zu verdanken ist, dass es all dies in Penzberg gibt: den "Roten Kamin", der wie ein Ausrufezeichen an der Karlstraße steht, den schwarzen Zwillingsbau, der die größte Campendonk-Sammlung der Welt beherbergt, diese frische Brise Kunst in der alten Bergarbeiterstadt.

Als Gisela Geiger Ende der Neunzigerjahre mit ihrem Mann und vier Kindern nach Penzberg zog, hingen im Museum, einem alten Bergwerkshaus, mit Molton bespannte Tafeln, auf die mit Nadeln Fotos gepinnt waren. Heute steuern Busse die Adresse an; die Sammlung Campendonk wird in einem Atemzug mit den Expressionisten-Tempeln in Kochel, Murnau und Bernried genannt.

SZ-Kulturpreis Tassilo: "Ich liebe alle seine Werke": Gisela Geiger vor Campendonks Hinterglasbild "Gralsburg".

"Ich liebe alle seine Werke": Gisela Geiger vor Campendonks Hinterglasbild "Gralsburg".

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Dabei hatte Geiger zunächst nur nach einer Möglichkeit gesucht, Keramik-Arbeiten auszustellen. "Beim Einkaufen traf ich die Kunstlehrerin Gabriele Lampadius und bin mit ihr ins Gespräch gekommen", erzählt sie. "Dann ging alles sehr schnell, weil wir wahnsinnig Lust hatten, etwas zu tun." Mit Gleichgesinnten gründeten sie die Kunstzeche, einen Verein, der seither mehr als 70 Ausstellungen, Aktionen und Jazzkonzerte verwirklicht hat. Ihrer ersten Schau im Stadtmuseum 1998 gaben sie den Titel "Bewegung". Ein Name, ein Programm.

Kurze Zeit später trat Heinrich Campendonk in Form einer Postkarte in Geigers Leben. Das jüngste Mitglied der Künstlervereinigung Blauer Reiter war 1911 im Alter von 21 ins Oberland gekommen, hatte einige Jahre in Sindelsdorf gelebt und anders als Franz Marc oder Wassily Kandinsky auch Gefallen an Penzberger Motiven gefunden.

Geiger erkannte, welches Potenzial darin lag. Die Begeisterung bei der Stadtverwaltung habe sich zunächst in Grenzen gehalten, erzählt sie. "Aber ein Nein schreckt mich nicht. Ich hatte die Nase im richtigen Wind." 2002 organisierte sie die erste Campendonk-Schau. Fünf Jahre später übernahm sie die Leitung des Stadtmuseums.

Heute gilt Geiger als führende Campendonk-Expertin. Dank der Kontakte, die sie zu Kunstförderern, Leihgebern und Stiftungen aufgebaut hat, verfügt das Museum über rund 300 seiner Werke: Ölbilder, Aquarelle, Graphiken. Ein besonderer Schatz sind seine Hinterglasbilder, die dank Geiger mittlerweile interdisziplinär durchleuchtet wurden.

Der Kernbestand der Sammlung ist im schwarz verklinkerten Neubau zu sehen, der für diesen Zweck konzipiert und 2016 eröffnet wurde. Entworfen hat ihn der Penzberger Architekt Thomas Grubert, ein langjähriger Weggefährte und Mitstreiter Geigers. Was sie beide verbinde? Geiger zögert keinen Moment: "Da sind zwei Spinner aufeinandergetroffen."

SZ-Kulturpreis Tassilo: Das alte Bergwerkshaus und sein kohlschwarzer Zwilling bilden seit 2016 eine Einheit.

Das alte Bergwerkshaus und sein kohlschwarzer Zwilling bilden seit 2016 eine Einheit.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Kataloge, die Geiger verfasst hat, gelten in der Fachwelt als Standardwerke. Und ihre Campendonk-Monografie wird auch in New York gelesen, wie eine Mail beweist, die sie gerade erreicht hat. Eine Frau, die ein Bild des Künstlers geerbt hat, bedankt sich bei der Autorin: "Endlich erfahre ich etwas über den Maler." Auch zur Stadtgeschichte hat Geiger immer wieder Ausstellungen konzipiert. "Am wichtigsten war wahrscheinlich die Aufarbeitung der Penzberger Mordnacht", sagt sie.

Eine einzige Erfolgsgeschichte also? Nicht ganz. Den ersten Tiefschlag erlebte Geiger 2010, als der Stadtrat völlig unerwartet den von ihr ausgehandelten Ankauf des Campendonk-Nachlasses platzen ließ. Bilder für 4,1 Millionen Euro hatte sie ausgewählt, auch die Finanzierung stand. Alles umsonst. Als Retter sprang die Unternehmerfamilie Mast ein. Sie kaufte den Nachlass auf und stellt ihn seither der Stadt als Leihgabe zur Verfügung.

Geiger hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie das Votum des Stadtrats für eine eklatante Fehlentscheidung hielt. "Bis heute habe ich dort viele Feinde", sagt sie. "Noch immer denken viele, das Museum sei Luxus und nur etwas für Reiche." Bei der Vergabe des städtischen Kulturpreises wird Geiger seit Jahren konsequent ausgeblendet.

Eine schlimme Zeit machte sie 2017 durch, als die Stadt sie gegen ihren Willen in den Ruhestand schicken wollte. Erst als die Leihgeber damit drohten, Bilder zurückzuziehen, wurde ihr eine Verlängerung von knapp einem Jahr gewährt. "So etwas tut nicht gut", sagt sie heute. "Danach bin ich krank geworden."

Ins Museum sei sie aber immer gerne gegangen. Dort sitzt sie auch jetzt, genießt das Licht im Zwischenbau und trinkt in winzigen Schlucken einen Kaffee. "Wenn einem traurig zumute ist, muss man nur ins Gästebuch schauen", sagt sie. Das gut gefüllte Stück liegt ein paar Schritte weiter gleich neben dem Eingang.

Mit Max Kruse erfand sie das "Penzberger Urmel"

Zwei Besucher kommen herein, kaufen Karten. Sie haben die Wahl, zuerst nach links zu Campendonk zu gehen oder sich rechts im Altbau die Ausstellung "Notstromaggregat" anzusehen - eine kunterbunte Schau, die Geiger und die Kunstzeche relativ spontan mit Hilfe vieler Gastkünstler auf die Beine gestellt haben. Hingucker ist eine Schrottskulptur, die Achtklässler aus dem benachbarten Gymnasium beigesteuert haben. Auch das ist ein Markenzeichen von Geigers Schaffen: dass sie immer Kinder und Jugendliche in den Kunstbetrieb einbezogen hat. Zusammen mit dem Autor Max Kruse hat sie den Literaturpreis "Penzberger Urmel" erfunden.

Ihre Heimat, sagt die 71-Jährige, sei die deutsche Sprache. Wenn es ihr richtig schlecht gehe, lese sie Goethe. "Das umhüllt und umgibt mich." Aber ein bisschen stolz ist sie natürlich schon auf das, was sie in Penzberg angestoßen hat - "und was längst noch nicht am Ende der Entwicklung ist". Von der anderen Straßenseite aus kann man es am besten sehen. Da stehen der "Rote Kamin" und zwei miteinander verbundene Häuser, das eine alt, das andere modern. Ein schönes Ensemble. "Das ist das Bild", sagt Geiger. "Da hat etwas geklappt."

Bis Mitte Februar stellen wir Ihnen Kandidatinnen und Kandidaten für den Tassilo-Kulturpreis 2023 vor. Alle Nominierten unter www.sz.de/tassilo

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Museum Penzberg
:"Notstromaggregat" zum Mitnehmen

Die Kunstzeche präsentiert bei "Kunst & Wein" den Katalog zur aktuellen Ausstellung.

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